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Austropop: Musik aus Österreich mit vielen Gesichtern

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Von: Christian Kisler

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Sänger Falco im Smoking bei einem Konzert in Köln 1984
Falco ist einer der größten Stars, die Österreich je hervorgebracht hat und steht wie nur wenige für Austropop © Sven Simon/IMAGO

Wer an Austropop denkt, landet schnell bei Falco und Ambros. Dabei muss nicht mehr zwangsläufig in österreichischen Dialektvarianten gesungen werden, wie etwa My Ugly Clementine oder Bilderbuch beweisen.

Der Urknall des Austropop? Darüber sind sich die Gelehrten uneins. Für die einen ging es mit „Da Mensch is a Sau“ von der Worried Men Skiffle Group los, die mit dem Song im Oktober 1970 im deutschen Fernsehen auftritt und für Aufsehen sorgt. Weil beim großen Nachbarn kein Wort des im Wiener Dialekt gesungenen Liedes verstanden wird, muss es mit Untertiteln versehen werden: „Der Mensch ist ein Schwein“. Andere wiederum machen den Beginn der Austropop-Zeitrechnung mit Marianne Mendts „Wie a Glock‘n“ fest, mit einem Text vom legendären Kabarettisten, Musiker und Autor Gerhard Bronner versehen, ebenfalls 1970.

Ambros als Inbegriff des Austropops

Ebenfalls heißer Anwärter für den Titel „Inititiator des Austropop“ ist kein Geringerer als Wolfgang Ambros, der im Alter von 19 Jahren mit dem von Joesi Prokopetz getexteten Lied „Da Hofa“ debütiert und damit gleich den ersten Hit und Klassiker des damals noch unbenannten Genres landete. Das ist 1971. Heute steht Ambros gemeinsam mit einigen wenigen anderen stellvertretend für den Begriff „Austropop“.

Ganz vorn mit dabei bei der Ende 1960er, Anfang der 1970er Jahre losgetretenen Dialektwelle sind unter anderen auch André Heller, Arik Brauer und Georg Danzer, zunächst mit den Madcaps und später solo. Tatsächlich kann man zeitlich aber noch viel weiter zurückgehen, sucht man nach den Ursprüngen einer typisch österreichischen Unterhaltungsform, und zwar bis ins 19. Jahrhundert. In den bis heute beliebten Theaterstücken von Johann Nestroy und Ferdinand Raimund gibt es bereits damals im Dialekt vorgetragene Gesangseinlagen, sogenannte Couplets.

Wienerlied als Vorläufer des Austropop

Auch das Wienerlied kann als früher Einfluss geltend gemacht werden. Das erfreut sich zunächst Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er großer Beliebtheit und erlebt von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er einen Boom. Aktuelle Bands wie Die Strottern oder 5/8erl in Ehr‘n gelten als Erneuerer des Wienerlieds oder nehmen zumindest deutliche Anleihen daran. Detail am Rande: Die Gitarristin der Letzteren, Miki Liebermann, werkte von 1989 bis 1994 an den sechs Saiten in der Chefpartie von Ostbahn-Kurti alias Willi Resetarits.

In den 1950ern erfahren die in aberwitziger Geschwindigkeit und mit Dialekteinschlag vorgetragenen kabarettistischen Lieder des Duos Pirron und Knapp regen Zuspruch. Zur gleichen Zeit bis weit in die 1960er kam die erste Welle deutschsprachigen Schlagers auf, auch mit österreichischer Beteiligung, etwa Udo Jürgens oder Peter Alexander. Schlager wird allerdings für gewöhnlich nicht zum Austropop gerechnet, auch wenn es hin und wieder deutliche Überschneidungen gibt.

Austropop aus Tirol und Vorarlberg

Und natürlich wird nicht nur in Wien und Umgebung Pop mit Mundarttexten gesungen. Wilfried bringt 1972 mit „Ziwui ziwui“ Tirol auf die Austropop-Landkarte. Das Duo Ray & Mick, eigentlich der Lehrer Reinhold Bilgeri und der Schriftsteller Michael Köhlmeier, liefert wiederum mit „Oho Vorarlberg“ die inoffizielle Landeshymne fürs Ländle.

In den Anfängen schielen Ambros, Danzer und Co. eher auf die Folk-Welle aus den USA oder Beat- und Rockmusik aus Großbritannien. Einflüsse musikalischer Natur sind allerdings überall zu finden. Ob französische Chansons, spanische Flamenco-Anleihen, US-amerikanischer Soul, seichter Pop oder härterer Rock, gar Kinderlied oder später Hip-Hop: Erlaubt ist alles, was auch den Zuspruch durch fast alle Gesellschaftsschichten erklärt.

Blüte und Ende des Austropop

Doch auch wenn es rückblickend nicht so erscheinen mag: So schnell die Dialektwelle aufgebrandet ist, so schnell ebbt sie auch wieder ab. Ambros und Danzer können ihre bis heute beliebten größten Erfolge Mitte der 1970er Jahre verbuchen. Auch Ludwig Hirsch findet mit seinen „Dunkelgrauen Liedern“ ein beträchtliches Publikum. Sein Stück „Komm, großer schwarzer Vogel“ darf allerdings nicht nach 22 Uhr im Radio gespielt werden, fürchtet man doch, dass zu später Stunde manche besonders trüben Gedanken nachhängen.

Bald wendet sich das Publikum von Pop mit Dialekt weitestgehend ab und vorwiegend englischsprachigem Liedgut zu. Das ist naturgemäß ein breites Spektrum und zeitigt auch internationale Hits, die aber trotzdem unter dem Deckmantel „Austropop“ versammelt werden.

Austropop in Brasilien und Kanada

Während Waterloo & Robinson in schauderhaftem Englisch ein untergegangenes „Hollywood“ besingen und über die Landesgrenzen nicht hinaus kommen, belegt Bilgeri mit seinem Song „Video Life“ in Brasilien Platz eins. Die Spitze der Charts in Kanada erklimmt ein wenig später die steirische Band Opus. Ihren Hit erkennt man mit den ersten Beats: „Live is Life“. Kurt Hauensteins Band Supermax toppte sie allerdings alle. Mit „Lovemachine“ konnte er einen internationalen Nummer-eins-Erfolg landen.

In Mode sind in den 1970ern auch sogenannte Rocktheater-Projekte wie die Hallucination Company von Wickerl Adam, die Schmetterlinge mit Willi Resetarits oder Drahdiwaberl von Stefan Weber. Bei Letzteren zupft ein gewisser Hans Hölzel den Bass. In Pausen gibt er ein Stück zum Besten, das er auch solo später immer spielen sollte: „Ganz Wien“. Zu dieser legt sich der junge Musiker seinen Künstlernamen zu: Falco.

Deutschsprachiger Rap und Austropop-NDW

Mit seiner Debüt-Single „Der Komissar“ legt er nicht nur den ersten deutschsprachigen Rap hin. Er erreicht mit „Rock Me Amadeus“ nicht nur in Österreich und Deutschland Platz eins der Hitparade, sondern auch in Großbritannien und vor allem in den USA. Ein Erfolg, den er nicht mehr wiederholen kann.

In den frühen 1980ern hinterlässt die Neue Deutsche Welle auch im Austropop ihre Spuren, mit zum Teil ausgezeichneten Ergebnissen, wie Tom Pettings Herzattacken oder Minisex beweisen. Es ist aber auch die Zeit der zweiten im Dialekt singenden Generation mit S.T.S., Rainhard Fendrich und Peter Cornelius. Eine weitere Formation ist allerdings von den frühen 1980ern bis in die frühen 1990er allgegenwärtig: Die Erste Allgemeine Verunsicherung, kurz EAV. Auch wenn sie mit ihren vordergründig „witzigen“ Texten auch in Kinderzimmern und Volksschulklassen für Furore sorgt, versteckt sich dahinter oft Gesellschaftskritik in Form beißender Satire.

Düstere Zeiten für den Austropop

Die 1990er sind für den Austropop eine dunkle Zeit. Am Anfang des Jahrzehnts lassen zwar Hubert von Goisern und seine Alpinkatzen mit ihrer Mischung aus Rock und ursprünglicher Volksmusik aufhören. So unterschiedliche Künstler:innen wie Andy Baum, Die Brüder, Ballyhoo oder Die Pinguine haben abgesehen von ihrer Herkunft wenig gemein und wehren sich auch, als „Austropop“ vermarktet zu werden. Dazu kommen weitaus erfolgreichere Projekte aus heimischem Anbau wie die Bingo Boys oder Edelweiß.

Auf dem Radiosender Ö3 wurde Austropop unter dem Einfluss von Musik- und später Senderchef Bogdan Roščić ohnehin nicht gespielt. Und zwar wirklich nicht. ÜBERHAUPT NICHT. 1998 verunglückt aber Falco bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik tödlich, woraufhin er nach seinem Ableben noch einmal die österreichischen Charts entert.

Keine Austropop auf FM4

Auf dem 1995 gegründeten Sender FM4 wird Musik aus Österreich zwar ausdrücklich gefördert, die läuft aber weit von dem, was man in den Jahrzehnten davor unter Austropop verstanden hat. Egal, ob Die Lieblinge der Nation, Heinz aus Wien, Schönheitsfehler oder die Sofa Surfers, egal, ob Indie-Rock, Hip-Hop oder Trip-Hop und elektronische Musik: Austropop ist das nicht, verkommt eher zum Schimpfwort. Man schielt auf internationale Vorbilder Märkte und pocht weniger auf österreichisches Selbstverständnis.

Ein Jahrzehnt später, in den Nuller-Jahren, sieht die Welt schon ein wenig anders aus. Austropop-Klassiker werden zwar noch immer nicht auf Ö3 gespielt, dafür gibt es eigene Veranstaltungsreihen, bei denen den Hits von gestern und vorgestern ausgiebig gehuldigt wird. Wolfgang Ambros, Georg Danzer und Rainhard Fendrich machen als Austria 3 gemeinsam Sache und sorgen für ausverkaufte Häuser.

Christina Stürmer als Hoffnung für den Austropop

Christina Stürmer belegt bei der ersten Staffel der ORF-Castingshow zwar nur den zweiten Platz, legt dafür eine bis heute andauernde Karriere hin, vor allem auch in Deutschland. Nicht nur dort findet sie rasch zahlreiche Nachahmer:innen, auch hierzulande können in ihrem Fahrwasser Interpret:innen wie SheSays, Luttenberger*Klug oder Zweitfrau den einen oder anderen Erfolg verbuchen. Gesungen wird dabei freilich mit einer eher bundesdeutschen Aussprache, schon gar nicht im Dialekt.

Ab 2010 landen tatsächlich Songs, die in österreichischem Dialekt gesungen werden, in den vorderen Regionen oder gar an der Spitze der heimischen Charts: „Vo Mello bis ge Schoppornou“ vom Holstuonarmusigbigbandclub, „Oida taunz!“ von den Trackshittaz oder „Brenna tuats guat“ von Hubert von Goisern. 2013 schlagen Bilderbuch mit „Maschin“ ein, eine Band, die bis dahin eher einem kleinen Indie-Publikum bekannt ist. Kurz darauf treten Wanda mit „Bologna“ auf den Plan. Im Dialekt singen beide Bands nicht, dafür mit breitem österreichischen Zungenschlag. Das gefällt auch den deutschen Nachbar:innen, sehr sogar.

Ist das noch Austropop?

Auch Bands wie Granada oder Buntspecht erfreuen sich regen Zuspruchs. Ebenso Voodoo Jürgens, die schon ewig als Kritiker:innenlieblinge geltenden Ja, Panik und der ebenfalls bereits seit längerem sein Unwesen treibende Nino aus Wien. Oder die wohlgemerkt auf Englisch singende All-Star-Band My Ugly Clementine. Die Liste ließe sich beliebig endlos fortsetzen.

Es tut sich also viel, Musik aus Österreich ist auch über die Landesgrenzen ein Begriff. Und es hört nicht auf. Bands und Künstler:innen, von denen noch einiges zu erwarten ist, die mal deutsch, mal englisch singen oder rappen, mal im Dialekt, mal nicht, die gibt es zu Hauf. Etwa Zinn, Mavi Phoenix, Sharktank, Oska, Bibiza, Eli Preiss, Doppelfinger und viele mehr. Musikalisch sind sowieso keine Grenzen gesetzt. Nur ob man das dann noch Austropop nennen mag, ist halt fraglich.

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