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Bilderbuch: Die Band, auf die sich alle einigen können

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Von: Christian Kisler

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Bilderbuch haben sich von der oberösterreichischen Schülerband zum Pop-Phänomen entwickelt, auf das sich alle einigen können. Und das über die Landesgrenzen hinaus.

So haben die meisten die Band Bilderbuch 2014 das erste Mal so richtig wahrgenommen: Sänger Maurice Ernst in einem knallgelben Lamborghini, mit knallgelben Lederhandschuhen und einer Haarfarbe in ähnlichem Farbton. Der Song „Maschin“ sofort ein Ohrwurm, dazu Textzeilen wie „Steig jetzt in mein Auto, steig jetzt in mein Auto ein“ und „Willst du meine Frau werden?“ Dabei klingt es, als wäre Prince nicht in den USA zu Ruhm gekommen, sondern im oberösterreichischen Kremsmünster. Dazu eine von Falco geborgte Schnoddrigkeit, fertig ist ein moderner Pop-Klassiker.

Bilderbuch: Eine Band zwischen Bloc Party und Albert Camus

Zu diesem Zeitpunkt ist die Band bereits seit gut einem Jahrzehnt umtriebig. Gegründet wird sie 2005 von vier Schulkollegen, in besagtem Kremsmünster in Oberösterreich. In der klassischen Besetzung mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Stimme versuchen sich Bilderbuch an Nuller-Jahre-Indie-Rock mit musikalischen wie lyrischen Querschlägern. Das können sich die Hörer:innen vorstellen, als träfen die hysterischen Gitarren von Bloc Party auf Existenzialismus im Sinne von Albert Camus. Was 2009 zum ersten Album „Nelken & Schillinge“ führt.

Die Band Bilderbuch live auf dem Hurricane Festival 2019 mit Gitarrist Michael Krammer und Sänger und Gitarrist  Maurice Ernst.
Fragwürdige Frisuren inbegriffen: Bilderbuch mit Gitarren-Wunderwuzzi Michael Krammer und Sänger, Gitarrist und Texter Maurice Ernst auf der Bühne. © Rudi Keuntje/imago

Ein erster Achtungserfolg ist der Song „Calypso“. Maurice Ernst orakelt darauf: „Der Raum ist leer, doch ein Tiger ist da/Er stinkt nach Schnaps und er arbeitet hart.“ Was uns der Künstler damit sagen will, ist zwar nicht ganz klar. Die Band Bilderbuch gibt damit aber ein erstes selbstbewusstes Lebenszeichen von sich.

BIlderbuch mit Stilwechsel

Zu Sänger und Gitarrist Maurice Ernst gesellen sich damals Gitarren-Wunderwuzzi Michael Krammer, Bassist Horazdovsky und Schlagzeuger Andreas Födinger. Letzter trommelt noch auf dem ein bisschen gespreizt betitelten zweiten Album „Die Pest im Piemont“, dann verabschiedet er sich von der Band. Ab jetzt überschlagen sich die Dinge: Die Musik geht mehr in Richtung Art-Pop, mit starken Hip-Hop-Einflüssen und schwerem Funk-Einschlag.

Was da jetzt aus Lautsprechern und Kopfhörern ertönt, ist nicht mehr klugscheißerisch und kulturbeflissen. Sondern bei aller immer noch vorhandenen Schrägheit: Sexy. Das liegt auch, aber nicht nur, am neuen Mann am Schlagzeug. Hip-Hop und R‘n‘B-Drummer Philipp Scheibl stößt 2012 zu Bilderbuch. Statt Bloc Party, Strokes und dergleichen steht jetzt Kanye West auf der Playlist.

Bilderbuch als Band mit Sex-Appeal

Mit der schwülen Single „Plansch“ von der EP „Feinste Seide“ trauen sich Bilderbuch etwas, was in den meisten Fällen mit Prolo-Disco verbunden wird und eigentlich nur schiefgehen kann. Maurice Ernst singt doch tatsächlich mit Autotune, dem Stimmverfremdungseffekt, den die meistens zum Beispiel von Chers „Believe“ kennen. Das ist im Sommer 2013, im Herbst dieses Jahres kommt sie endlich angerast, knallgelb und treibend, mit unfassbarem Sex-Appeal ausgestattet: die „Maschin“. Die im Chorus mit Kopfstimme gesungene Nummer ist nicht nur funky wie nur was und ein musikalischer Triumph.

Auch das Video setzt neue Maßstäbe, vor allem wenn man jene anderer österreichischer Bands in der damaligen Größenordnung Bilderbuchs zum Vergleich nimmt. Das wird auch gewürdigt. Beim „Miami International Film Festival“ wird das Video zu „Maschin“ als eines der besten zehn in der Kategorie „Music Video“ ausgezeichnet. Bei den Vienna Independent Shorts kann es gar den Preis für das beste österreichische Musikvideo abgreifen.

Alles knallgelb bei Bilderbuch

Der gagerlgelbe Lamborghini, die Art, wie Maurice Ernst die in der Farbe dazu passenden Handschuhe anzieht, die perfekte Mischung aus Ironie und übersteigertem Selbstbewusstsein: All das macht Bilderbuchs „Maschin“ zu einem Gesamtkunstwerk. Kein Wunder, dass der Band auch über die Landesgrenzen der Durchbruch gelingt. Fast zeitgleich werden die musikalisch und optisch ganz anders auftretenden Wanda gefeiert, auch jenseits der Landesgrenzen.

Weil Menschen Schubladen lieben, wird bald vom „neuen Austropop“ gesprochen. Was von den meisten Protagonist:innen postwendend strikt abgelehnt wird. Gerade im Falle Bilderbuchs trifft das Label auch überhaupt nicht zu - außer, dass mit leicht österreichischem Zungenschlag in deutscher Sprache gesungen wird. Die Band orientiert sich auch weniger an heimischen Oldies, sondern vielmehr an dem, was international so passiert.

Bilderbuch sorgen für Begeisterung

Am Jahresende 2013 wird „Maschin“ von FM4 und anderen zum Song des Jahres gekürt, beim Amadeus gleich viermal nominiert und von The Gap später auf Nummer 2 der „100 wichtigsten österreichischen Popsongs“ gewählt. Überhaupt werden Bilderbuch in den nächsten Jahren quasi Stammgäste beim österreichischen Musikpreis. 2015 dann endlich das heißersehnte dritte Album „Schick Schock“ mit den Vorab-Singles „Spliff“ und „OM“, allesamt wieder von innovativen Videos begleitet. Die Band wird gefeiert, in österreichischen und in deutschen Medien gleichermaßen. Erstmals werden einzelne Songs auch in größeren Filmproduktionen verwendet. Und es geht gemeinsam mit Mavi Phoenix auf Tour, landauf und landab, stets vor begeisterten Besucher:innen und auf immer größeren Bühnen.

Auch Prominente entdecken Bilderbuch für sich, darunter keine Geringere als Donatella Versace. Diese verwendete den Song „Spliff“ bei der Präsentation ihrer Frühlingskollektion bei der London Fashion Week 2017. Unabhängig davon spielen bei Bilderbuch Mode und Bühnenbild eine immer wichtigere Rolle. Das fängt bei Maurice Ernst sich ändernder Haarfarbe sowie bei Gitarrist Michael Krammers und Drummer Philipp Scheibls mitunter fragwürdigen Frisuren an und hört bei hunderten weißen Sneakers als Bühnenhintergrund noch lange nicht auf.

Eine Schülerband wird zur Pop-Instititution

Bilderbuch reiten unaufhörlich auf der Erfolgswelle und veröffentlichen mit „Magic LIfe“ ihr viertes Album. Der Song „Bungalow“ daraus wird ein weiterer Klassiker der Band, die den Wandel von der Schüler-Combo zur deutschsprachigen Pop-Institution endgültig vollzogen hat. Was folgt ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Buben um Maurice Ernst stets neu erfinden wollen und bei ihnen Innovation nicht nur deshalb großgeschrieben wird, weil es ein Hauptwort ist.

Für ihre Tour 2018 stellen sie ihr gesamtes Equipment von analog auf digital um: Vorbei die Zeiten der Verstärkertürme, alles geht über Computer, Drummer Philipp Scheibl spielt auf E-Drums, das Bühnenbild besteht aus Laser-Installationen.

Bilderbuch als multimediales Kunstprojekt

Bei Festivals übernehmen Bilderbuch mittlerweile den Headliner-Slot neben Größen wie den Gorrilaz. Ende 2018 folgt überraschend das Album „mea culpa“, kurz darauf, im Februar 2019 mit „Vernissage My Heart“ das vorerst letzte Album der Band. Im Vorfeld bringt die Band „Europa 22“ heraus, einen dezidiert politischen Song. Dazu gibt es über eine spezielle Website fiktive EU-Pässe zum Download, die man mit dem eigenen Konterfei versehen kann. Ein Hit in den Sozialen Medien und ein weiterer Beleg, dass Bilderbuch Kunst multimedial denken und angehen.

Zum Abschluss der dazugehörigen Tour treten Bilderbuch vor dem Schloss Schönbrunn in Wien an zwei aufeinanderfolgenden Abenden vor 30.000 Besucher:innen auf. Beide Male ausverkauft. Maurice Ernsts ausgestreckter, mit einem gelben Handschuh bekleideter Arm reicht mittlerweile aus, um das Publikum zum Ausrasten zu bringen. Noch bevor ein einziger Ton gespielt wird, wohlgemerkt.

2021 erscheinen nach längerer Pause die beiden Titel „Nahuel Huapi“ und „Daydrinking“ und sorgen für reges Interesse. Die Zeit der ehemaligen Schülerband Bilderbuch ist noch lange nicht vorbei.

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