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Ich schaue Leuten gerne dabei zu, wie sie mit Pfeilen auf eine Zielscheibe schießen und es WM nennen

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Von: Christian Kisler

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Drei Pfeile stecken in einer Dartscheibe, daneben das Publikum bei der Darts-Weltmeisterschaft in London
Bei der Darts-Weltmeisterschaft in London gehört das Publikum zu den Hauptdarsteller:innen. © Jan Hübner/Pro Sports Images

Jedes Jahr geht Ende Dezember, Anfang Jänner die Darts-WM in London über die Bühne. Dabei gleicht die Veranstaltung eher einem großen Volksfest als einem schnöden Kräftemessen.

Darts hat eigentlich so einiges, was mich nicht anspricht und auch sonst meinen Interessen zuwiderläuft. Der Ruf des Wirtshausspiels. Die hässlichen, meist schlecht sitzenden Trikots. Grölende Massen bei großen Spielen. Ein unangenehmes „Wir“-Gefühl. Kaum Frauen im Publikum und unter den Wettstreiter:innen. Von Diversität scheint sowieso noch niemand der Anwesenden gehört zu haben.

Der Großteil der antretenden Personen erfüllt tatsächlich so manches Klischee, bekommt dem Teint zufolge wenig Sonnenlicht ab, ernährt sich den Körperformen zufolge vornehmlich von Geflügelbeinen und alkoholischen Getränken. Abteilung: Bier formte diesen Körper. Allerdings haben die meisten Profis wohl irgendwann in ihrem Stammbeisl oder -pub das erste Mal Dartpfeile in der Hand gehabt. Dort ist es meistens dunkel und die Luft alkoholgeschwängert. Viele sehen aber tatsächlich zehn Jahre älter aus als sie sind.

Darts eine durchaus telegene „Sport“art

Und dennoch bin ich vor einigen Jahren irgendwie darauf reingekippt, wann genau weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich 2015, 2016. Beim Herumzappen während der Weihnachtsfeiertage einfach hängengeblieben. Denn ähnlich wie die Billard-Variante Snooker, ist auch Darts eine durchaus telegene „Sport“art, nur spannender und unterhaltsamer.

Das liegt schon mal an den Rahmenbedingungen. Bei großen Veranstaltungen haben alle Spieler:innen ihre eigene Einlaufmusik bei ihren sogenannten „walk ons“, ähnlich wie bei Wrestler:innen oder Boxer:innen. Dabei werden sie gefeiert und abgeklatscht wie die Stars aus deiner neuesten Lieblingsserie, wenn nicht gerade eine Pandemie wütet.

Darts-Spieler:innen und ihre Spitznamen

Und Darts-Spieler:innen haben stets Spitznamen, die hin und wieder auf persönliche Vorlieben hinweisen. Rob Cross nennt sich „Voltage“, weil er früher Elektriker war, Peter Wright „Snakebite“, weil das sein Lieblingsgetränk ist, Ryan Searle „Heavy Metal“, weil eh schon wissen. Das wirkt kindisch und ein bisserl lächerlich und ist es wahrscheinlich auch, aber Inszenierung wird hier großgeschrieben, also lassen wir ihnen den Spaß.

Zumal es ja zudem altersmäßig eine ziemliche Bandbreite gibt. Als der legendäre Phil Taylor 2018 das letzte Mal an einer Darts-Weltmeisterschaft teilnahm, war er 57. Paradiesvogel und Publikumsliebling Peter Wright war 49, als er 2019 das erste Mal die WM gewann. Auf der anderen Seite gibt es im aktuellen Starter:innenfeld einige Spieler:innen, die in den Nullerjahren geboren sind. Und was man nicht vergessen darf: Die Top-Spieler:innen dieses Geschicklichkeitsspiels und Präzisionssports sind Spitzenverdiener:innen.

Das Publikum spielt eine Hauptrolle bei einer Darts-WM

Hauptdarsteller:innen bei einer Darts-WM sind nicht nur die Wettstreiter:innen, sondern auch das stets dezent ang‘soffene Publikum. Die meisten verkleidet, gerne in Gruppenkostümen, etwa als Schlümpfe, Super Marios, Bananen oder Geistliche. Umso trauriger, dass der Wettbewerb 2020/2021 pandemiebedingt gänzlich ohne Zuschauer:innen stattfinden musste.

Bei der aktuellen Veranstaltung wiederum wäre es wahrscheinlich ratsam gewesen, das grölende und feiernde und höchstwahrscheinlich nicht ganz nüchterne Publikum wieder draußen zu lassen, reitet Großbritannien doch auf der Omikronwelle. Zwei Spieler wurden bereits positiv auf COVID-19 getestet und mussten die Heimreise antreten. Darunter der die letzten Jahre die Darts-Welt beherrschende Niederländer Michael van Gerwen, der prompt eine Verschiebung des Wettbewerbs forderte. Was freilich logistisch eher schwer zu stemmen ist.

Jubel bei der Darts-WM wie beim Fußball

Jeder 180-er, die höchstmögliche zu werfende Zahl, wird vom Publikum abgefeiert wie ein spielentscheidendes Tor im Fußball. Ist ja auch eine beachtliche Leistung: Drei Dartpfeile müssen auf ein Feld von gerade einmal acht Millimeter Breite platziert werden. Wer schon einmal selbst versucht hat, eine bestimmte Zahl zu treffen und nicht nur das Brett an sich, weiß, wie schwierig das ist.

Und nein, das Bull‘s eye, den Punkt in der Mitte der Dartscheibe zu treffen, ist nicht das Maß aller Dinge bei Darts. Dachte ich früher auch immer. Im Prinzip geht es darum, mit so wenigen Würfen wie nötig von einer vorher vereinbarten Zahl, meist 501, auf null zu kommen. Dabei gibt es Double- und Triple-Felder, die entsprechend zwei- oder dreifache Punktezahl bringen. Der letzte Wurf muss bei Profiwettbewerben immer ein Double sein. Im Freund:innenkreis würde ich davon abraten. Nicht ganz so einfach das ganze nämlich, und man droht sonst, EWIG spielen zu müssen.

Die Darts-Weltmeisterschaft wird von englischen Männern dominiert

Von Mitte Dezember bis Anfang Jänner wird jedenfalls in London die Darts-Weltmeisterschaft ausgetragen, genauer: das PDC World Darts Championship. PDC steht dabei für „Professional Darts Corporation“. Was für den Fußball die FIFA ist, ist für Darts die PDC - nur mit weniger mafiösen Strukturen. Ausgetragen wird der Bewerb seit gut 15 Jahren im Alexandra Palace, im Volksmund auch Ally Pally genannt.

Dabei wird die Darts-Weltmeisterschaft von englischen Männern dominiert: Von 96 Teilnehmer:innen sind 35 für England angetreten, mit Fallon Sherrock und Lisa Ashton waren nur zwei Frauen im gesamten Starter:innenfeld. Österreich war mit den Rodriguez-Brüdern Rowby-John und Rusty-Jake sowie Aushängeschild Mensur Suljović vertreten, alle drei sind bereits ausgeschieden. Mensur Suljović ist übrigens gebürtiger Serbe und kämpft seit Jahren um die österreichische Staatsbürgerschaft, erhält sie aber nicht. Wäre er Skifahrer, sähe das vielleicht ein wenig anders aus. Immerhin: Im Darts-Sport kannst du für jedes Land gesetzt werden, unabhängig von deiner Nationalität.

Darts-Spieler:innen bleiben nüchtern

Meine ursprüngliche Meinung habe ich jedenfalls längst revidiert. Während das Publikum sehr wohl häufig ein wenig bis sehr angetrunken ist, sind es Darts-Spieler:innen in der Regel nicht. Bei einem Spiel mit einer Länge von einer Stunde müssen sie stets fokussiert sein und sind dauernd am Berechnen ihrer Punkte. Zwar gibt es sogenannte Caller:innen, Dartsschiedsrichter:innen, die wie etwa Reibeisenstimme Russ Bray selbst einiges an Berühmtheit erlangt haben. Als Spieler:in muss man sich aber auf sich selbst und die eigenen Rechenkünste verlassen können. Das geht nun mal nicht in vernebeltem Zustand. Am 3. Jänner 2022 wissen wir, wer Weltmeister 2022 ist.

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