Das neue Disney-Remake von „Schneewittchen“ ist problematisch

Seit einigen Jahren liefert Disney verlässlich Realfilm-Remakes seiner Zeichentrickklassiker. Demnächst ist mit „Schneewittchen“ die Urmutter aller Disney-Streifen an der Reihe. Das stößt auch auf Kritik. Meine 2Cents dazu.
„Schneewittchen und die sieben Zwerge“ hat Filmgeschichte geschrieben. 1937 kam er als erster abendfüllender Trickfilm ever in die Kinos und wurde binnen kurzer Zeit zum erfolgreichsten Tonfilm seiner Zeit. Ins Kino gingen damals kaum Kinder, auch animierte Streifen zielten auf ein erwachsenes Publikum ab. Nix für die Kleinen also.
Damit das damals noch kleine Studio von Gründer Walt Disney die Herkules-Aufgabe eines Langfilms überhaupt stemmen konnte, wurde am Personal nicht gespart. Rund 750 Künstler:innen waren an dem Film beteiligt. Nicht umsonst gilt der Streifen bis heute als tricktechnisches Meisterwerk und sieht nicht veraltet aus. Auch, wenn die Handlung wie viele anderen Disney-Filmen gelinde gesagt problematische Elemente aufweist.
„Schneewittchen“-Verfilmungen ohne Zwerge
Denn: Was fällt bei den zahlreichen Verfilmungen des Stoffs auf, vor allem bei jenen in jüngster Zeit, aus dem Jahr 2012? Richtig, weder bei „Snow White and the Huntsman“ noch bei „Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“ kommen die in der Fassung von 1937 erwähnten sieben Zwerge vor. Jeder der Sieben hatte unverwechselbare Eigenschaften, sie waren Unterstützer von Schneewittchen und sorgten für skurrile und komische Szenen. „Heiho, heiho, wir sind vergnügt und froh“, singt man Stunden später noch vor sich hin, nach dem man die Gefährten Schneewittchens ihren Signature-Songs trällern hat hören.
Aber: Sieben kleinwüchsige Junggesellen offensichtlich fortgeschrittenen Alters, die gemeinsam in einem leicht vernachlässigten Häuschen wohnen? Natürlich braucht es eine Frau, wenn auch eine junge, in Gestalt von Schneewittchen, die den Haushalt auf Vordermann bringt. Putze Unterkunft, dafür darf ich hier bleiben - das ist der Deal zwischen Schneewittchen und ihren neuen Gastgebern.
Mangelnde Sensibilität bei Disney
DAS kann man heute so nicht mehr bringen. Vor 85 Jahren hat sich niemand dabei etwas gedacht, der drohende Zweite Weltkrieg hat den Menschen weit größere Sorgen bereitet. Nicht zuletzt deshalb hätte Disney etwas mehr Sensibilität walten lassen können, als man ankündigte, eine Realverfilmung von „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ angehen zu wollen.
Mit Remakes hat der Konzern bereits Erfahrung, zuletzt mit „Der König der Löwen“, „Aladdin“ und „Mulan“. „Dumbo“ etwa ging schrecklich in die Hose, und auch sonst finde ich das Konzept ein wenig befremdlich. Aber es geht auf und erfreut sich großer Beliebtheit. Sprechende Löwen, Babyelefanten mit übergroßen Ohren, ein blauer Flaschengeist haben gezeichnet oder animiert ihren Reiz, sind niedlich oder witzig. Als Realfilm geht sich das für mich irgendwie nicht aus.
Disney präsentiert stolz Latina als „Schneewittchen“-Darstellerin
Zurück zu „Schneewittchen“: Stolz gab man bekannt, dass man eine Hauptdarstellerin mit Latina-Wurzeln (kolumbianische Mutter) engagieren konnte, die 20-jährige Rachel Zegler, die mit ihrer Rolle in „West Side Story“ - ebenfalls ein Remake, wie auch etwa „Sissi“/„Sisi“ oder Top Gun - bekannt wurde. Als böse Stiefmutter wurde „Wonder Woman“-Darstellerin Gal Gadot verpflichtet. Damit sollte Diversität gelebt werden.
Allerdings zum Leidwesen von Peter Dinklage, legendär für seine Rolle als Tyrion Lannister in „Game of Thrones“. Der kleinwüchsige Schauspieler warf Disney Scheinheiligkeit vor. Einerseits hervorheben, eine Schauspielerin mit lateinamerikanischem Hintergrund zu präsentieren, andererseits an der etwas eigenen Rolle der Zwerge im Film festhalten.
Disney rudert zurück
Zu Gast im Podcast von Marc Maron beklagte Dinklage, „sie (machen) immer noch die beschissene rückständige Story über sieben Zwerge, die zusammen in einer Höhle leben. Was zur Hölle tut ihr da, Mann?“ Das mit der Höhle ist wohl überspitzt formuliert und soll eine Anspielung auf den „unordentlichen Haushalt“ sein.
Disney reagierte tatsächlich prompt und versicherte, man ziehe zur Beratung Vertreter:innen der Kleinwüchsigen-Community bei und werde die im Film von 1937 gezeigten Klischees nicht wiederkäuen. Die sieben Zwerge würden überhaupt gänzlich anders dargestellt werden. Na dann. Hoffen wir, dass sich nicht das alte Sprichwort bewahrheitet: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.
Disney schließt sich mit einer Community kurz und vergisst die andere
Denn dass Disney sich mit der jeweiligen Minderheiten-Community kurzschließt, ist das mindeste, was man von einem Großkonzern verlangen kann. Zumal er mit Geschichten, in denen deren Vertreter:innen vorkommen, letztlich ja gutes Geld macht. Auf Diversity zu setzen ist löblich, sich aber einer Gruppierung gegenüber sensibel zu zeigen und das an die große Glocke zu hängen - wie etwa bei der Besetzung der Hauptrolle - und dabei eine andere zu vergessen, eher weniger.
Und noch etwas: man vergisst ja leicht, dass die Vorlage zum Trickfilmklassiker von den Brüdern Grimm ist. In ihrer Version sind die Zwerge ordentlich und Schneewittchen muss nicht putzen und kochen. Erschienen ist das Märchen erstmals 1812.