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Wer wissen möchte, ob Deutsche auch österreichisch schreiben können, sollte unbedingt Sven Regener lesen

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Von: Christian Kisler

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Autor Sven Regener und sein neuer Roman „Glitterschnitter“: Deutschlandpremiere bei radioeins.
Sven Regener bei der Präsentation seines aktuellen Romans „Glitterschnitter“. © Metodi Popow/IMAGO

Für dich ist er ein alter weißer Mann, für mich schreibt Sven Regener die besten Dialoge, die je in deutschsprachigen Romanen veröffentlicht worden sind. Eine Huldigung.

Wenn du ein Buch zur Hand nimmst - oder halt einen E-Book-Reader, wir leben ja in modernen Zeiten -, dann gib einmal einem alten, weißen Mann eine Chance: Weil: Es müssen ja nicht immer Sally Rooney, Harry Potter oder aber einer der alten Klassiker sein. Ich meine Sven Regener. Seines Zeichens Texter, Sänger, Gitarrist und Trompeter der Berliner Band Element of Crime, hat er vor gut 20 Jahren einen zweiten Karriereweg eingeschlagen. Nämlich eben den des Autors.

Zu diesem Zeitpunkt war Regener schon 40, also beileibe nicht das, was man landläufig als Jungautor bezeichnet. Mit „Herr Lehmann“ war ihm 2001 sofort Erfolg beschert, mehr noch als er ihn als Musiker genießen konnte. Element of Crime haben natürlich ihr Publikum und spielen auch in nicht eben kleinen Hallen. Seine Bücher erfreuen sich aber mittlerweile noch größerer Beliebtheit als seine Musik.

Neues Buch von Sven Regener? Ich komme!

Erfolg ist freilich kein Grund, einen seiner mittlerweile sechs Romane zu lesen. Erfolgreich sind Jojo Moyes und Sebastian Fitzek auch. Deren Machwerke würde ich aber nicht einmal mit der Kneifzange anfassen, stehen sie doch für Wegwerfliteratur nach dem Baukastenprinzip. Bringt Herr Regener hingegen ein neues Buch heraus, renn ich los und kauf es. Gibt er eine Lesung, sehe ich zu, dass ich so schnell wie möglich Tickets bekomme.

Mit seinen Platten oder vielmehr jenen von Element of Crime ist es anders. Ich höre sie selten, aber wenn sich die Gelegenheit bietet, ganz gerne. Meines Erachtens hat er einige der besten Songtexte in deutscher Sprache geschrieben, vor allem in den 1990ern, als er von englisch zu seiner Muttersprache wechselte.

Ich meine, hör dir einfach „Und du wartest“, „Wenn der Morgen graut“ oder „Seit der Himmel“ an. Da versetzt es mir heute noch einen Stich in mein kleines Herz. Musikalisch hat mich die Band auch immer wieder abgeholt, zuletzt habe ich aber doch das Gefühl gehabt, hier wird dieselbe Platte unter neuem Titel immer wieder aufs Neue veröffentlicht.

Immer wieder die gleichen Leute

Böse Zungen behaupten das auch von seinen Büchern. Tatsächlich taucht in allen seinen sechs Romanen das ewig gleiche, vorwiegend männliche Personal in unterschiedlichen Konstellationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf: der ewige Kellner Frank Lehmann, sein bester Freund, der bildende Künstler Karl Schmidt, der Beisl-Besitzer Erwin Kächele, Objektkünstler H.R. Ledigt. Es gibt immer wieder abgefuckte Lokale, Künstler:innen, Hausbesetzer:innen, Punks.

Ich nenne das konsequent. Nicht umsonst ist von der „Lehmann-Trilogie“ die Rede, wenn man von den ersten drei Langerzählungen spricht. „Herr Lehmann“, „Neue Vahr Süd“ und „Der kleine Bruder“ haben alle Frank Lehmann im Mittelpunkt.

Einmal kurz vor dem Mauerfall in Berlin 1989 als wenig ambitionierter Kellner, dann als jungen Mann in der Bundeswehr in Bremen, schließlich bei seiner Ankunft in Berlin Anfang der 1980er. Chronologisch ist hier nichts, auch Regeners folgende Romane „Magical Mystery Tour“, „Wiener Straße“ und zuletzt „Glitterschnitter“ spielen mal in den 1990er Jahren, mal um 1980.

Zurück in die 1980er

Und das ist, was Sven Regener ausmacht: Er lässt gewisse Zeitabschnitte in der Weltgeschichte aus dem Blickwinkel seiner Protagonist:innen wieder auferstehen, etwa Berlin in den 1980ern. Man bekommt eine Ahnung wie es zumindest in Berlin-Kreuzberg gewesen sein könnte, ohne, dass man damals gelebt haben oder dort gewesen sein muss. Er zeichnet Figuren extrem genau, er lässt dich auf ihre Kosten lachen, gibt sie aber nie der Lächerlichkeit preis.

Diese dürfen auch über bis zu drei Seiten innere Monologe ohne Punkt (aber sehr wohl mit Komma) halten, ohne dass sich die Leser:innen an Thomas Bernhard oder James Joyce erinnert fühlen und sich durchquälen müssen. Sogar in einem eher handlungsarmen Buch wie dem im Herbst 2021 erschienenen „Glitterschnitter“ kann es durchaus hoch hergehen, wenn die titelgebende Band - Besetzung: Synthesizer, Schlagzeug, Bohrmaschine - unbedingt an einer Kunstmesse teilnehmen will und sich dabei nicht eben geschickt anstellt.

Hochdeutsch, Österreichisch, Berlinerisch: Regener kann ois

Und natürlich seine Spezialität: Sven Regener kann Dialoge wie kein Zweiter schreiben, sei es Hochdeutsch, Berlinerisch oder - eine neue Entwicklung - Österreichisch. Wobei ihm Letzteres für einen deutschen Autor erstaunlich gut gelingt. Wie im wahren Leben führen viele Dialoge ins Nichts und reden alle Beteiligten aneinander vorbei, nur um sich letztlich doch wiederzufinden. Die Gespräche seiner Figuren sind so realistisch, wie die Wirklichkeit in Wirklichkeit ja eigentlich nie ist.

„Irgendwie geil, das mit der Bohrmaschine“, sagte Raimund. „Irgendwie geil, Charlie. Aber auch irgendwie scheiße. Ich meine, da kommt jetzt der ganze Dreck und fliegt mir hier auf die Trommeln!“ „Sag nicht Charlie, Raimund“, sagte Charlie. „Man kann kein Omelett machen, ohne Eier aufzuschlagen“, gab Ferdi zu bedenken. „Wir wollten eine Bohrmaschine und jetzt haben wir eine Bohrmaschine und eine Bohrmaschine macht eben Dreck. Und ohne Bohrmaschine ist das alles nur halb so gut.“

Sven Regener, „Glitterschnitter“, 2021, Galiani Berlin

Weltliteratur schreibt Sven Regener wahrscheinlich nicht, das ist auch nicht sein Anspruch. Wenn du aber was Unterhaltsames lesen will, das gleichzeitig deinen Intellekt nicht unterfordert - go for it! Umgekehrt schau ich ja auch nicht „Sturm der Liebe“ oder „GZSZ“, wenn ich nach leichter Unterhaltung suche, sondern „Sex Education“, „Schitt‘s Creek“ oder „Brooklyn Nine-Nine“. Du siehst den Unterschied?

„Herr Lehmann“ und die Kneipenliteratur

Mitunter wird Regeners Werk der „Kneipenliteratur“ zugerechnet, schlicht, weil sich zumindest bei „Herr Lehmann“ ein Großteil der Handlung in einem Beisl abspielt. Wegbereiter war Frank Schulz mit „Kolks blonde Bräute“ aus dem Jahr 1991, zehn Jahre vor „Herr Lehmann“. Bier möchte man nach der Lektüre von Regeners Büchern jedenfalls schon sehr gerne konsumieren, und zwar in rauen Mengen.

Sven Regeners Bücher entwickeln auf jeden Fall einen irrsinnigen Sog, sodass man sie auch bei einer Länge von 400, 500 Seiten recht flott gelesen hat. „Herr Lehmann“ habe ich ja damals ursprünglich gar nicht auf dem Schirm gehabt, ich habe es als Geschenk bekommen und bin dann sehr schnell darauf reingekippt.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich auf der Heimfahrt im Nachtbus auf den letzten Seiten angelangt war. Und weil ich es nicht abwarten hab können, bis ich in meinem Zimmer war, habe ich es auf den Stufen vor meiner Wohnungstür sitzend ausgelesen. Dann erst habe ich aufgesperrt und bin ins Bett gegangen.

Genug gehuldigt, geh und lies seine Bücher, es soll dein Schaden nicht sein. Eines sei noch gesagt: Der beste lebende Schriftsteller deutscher Sprache ist selbstverständlich der Steirer Clemens J. Setz. Aber das vertiefen wir vielleicht ein anderes Mal.

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