Volksentscheid gescheitert: Experte sieht „Stimmungsumschwung“ beim Klimaschutz
Das Volksbegehren „Berlin 2030 Klimaneutral“ ist gescheitert. Ein Politikwissenschaftler warnt: Die Menschen kehren klimapolitischen Reformen den Rücken.
Der Berliner Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele des Bündnisses „Berlin 2030 Klimaneutral“ ist gescheitert. Der Grund: Zu wenige Menschen sind zur Abstimmung gekommen. Eine knappe Mehrheit stimmte für die Initative, doch ein sogenanntes Quorum (Zustimmungsquote) wurde verfehlt. BuzzFeed News DE befragt zwei Demokratieexperten zu den Folgen der Abstimmung.
Berliner Klima-Volksentscheid hatte laut Berliner Grünen „erschwerte Bedingungen“
608 000 Ja-Stimmen wären nötig gewesen für das Ziel der Initative, Berlin schon 2030 statt 2045 klimaneutral zu machen. Doch am Ende fehlten also rund 165 000 Stimmen. Am Volksentscheid beteiligten sich 35,8 Prozent der rund 2,4 Millionen Wahlberechtigten.
Gemeinsam mit dem Bündnis „Klimaneustart“ kritisierten die Grünen-Landesvorsitzenden Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, dass der Volksentscheid nicht am selben Tag wie die Wiederholungswahl stattfand, sondern sechs Wochen später. „Der Volksentscheid hatte erschwerte Bedingungen, da die Innenverwaltung den Weg versperrte, ihn mit der Wiederholungswahl anzuberaumen“, erklärten Mertens und Ghirmai. Auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer erhebt Vorwürfe nach dem Volksentscheid und spricht von einer Niederlage für alle Einwohner:innen Berlins.
„Hätte der Volksentscheid am Wahltag stattgefunden, wäre das Quorum kein Problem gewesen“
„Eine Zusammenlegung mit der Wiederholungswahl wäre möglich gewesen“, sagt Oliver Wiedmann, der Leiter des Berliner Büros vom Verein „Mehr Demokratie“ zu BuzzFeed News DE. Schon früh hätte die Innenverwaltung damit rechnen müssen, dass das Bündnis „Berlin 2030 Klimaneutral“ die Unterschriften für das Volksbegehren zusammenbekomme und so mit den Vorbereitungen beginnen müssen. „Hätte der Volksentscheid am Wahltag stattgefunden, wäre das Quorum kein Problem gewesen“, so Wiedmann.
„Gilt bei einem Volksentscheid ein Quorum, so drückt das auf die Beteiligung, da die Gegenseite eher die Füße still hält und
darauf spekuliert, dass die Initiative am Quorum scheitert“, meint Wiedmann. Da die durchschnittliche Beteiligung bei Volksentscheiden in Berlin bei 31,5 Prozent liege, sei die Beteiligung beim Klimaentscheid mit 35,8 Prozent sogar „überdurchschnittlich“ gewesen. Dass bei Wahlen keine Quoren gelten, bei Volksentscheiden aber schon, lehne der Verein „Mehr Demokratie“ ab. „So wie in Bayern sollte auch in Berlin die Mehrheit der Abstimmenden entscheiden“, fordert Wiedmann.

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Klima-Volksentscheid „schlechtes Indiz“ für Klimaschutz in der Gesamtbevökerung
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung sieht das ein wenig anders. Er hält die Zusammenlegung mit der Berliner Wiederholungswahl für ein „vorgeschobenes Argument“. Bereits am Samstag, 25. März 2023, habe man am Brandenburger Tor gesehen, dass „die Mobilisierung äußerst mau ausgefallen war“. Statt 35.000 waren dort nur wenige tausend Menschen erschienen. „Das war jedenfalls ein möglicher Indikator dafür, dass man am Tag darauf bei der Volksabstimmung möglicherweise auch das 25-Prozent-Quorum verfehlen würde“, so Kraushaar zu BuzzFeed News DE.
Dass sich fast zwei Drittel der Berliner:innen nicht am Volksentscheid beteiligten, habe sicher unterschiedliche Gründe. „Auf jeden Fall aber ist es ein schlechtes Indiz für die Wertigkeit des beschleunigten Klimaschutz-Anliegens in der Gesamtbevölkerung.“ Wenig Erfahrung mit direkten Volksentscheiden sieht Kraushaar eher nicht als Ursache für das Scheitern des Klima-Entscheids. Der Experte macht eher einen „tendenziellen Stimmungsumschwung in dem großen Themenkomplex Klimapolitik“ aus.
Er erkenne in letzter Zeit eine „zunehmende Abkehr“ der Menschen, wenn es um Reformen für den Klimaschutz geht. Das liege an der „politischen Unausgereiftheit“ und der „Drastik der an sie gerichteten Anforderungen“. Warum sollte gerade die Bundeshauptstadt Berlin mit ihren verzögerten Großprojekten wie dem BER, den die Letzte Generation schon mal besetzte, zum Vorreiter einer beschleunigten Klimapolitik werden, fragt Kraushaar. „Die ambitionierten Erfordernisse ausgerechnet in Berlin gleich 15 Jahre früher hinbekommen zu wollen, erscheint bei Lichte betrachtet wenig realitätstüchtig gewesen zu sein.“
(Mit Material der dpa)