Die Grünen hatten sich in den Beratungen dafür eingesetzt, dass die Geduldeten nicht nur ein Jahr, sondern 18 Monate Zeit bekommen, um die erforderlichen Integrationsleistungen zu erbringen. Außerdem wurde der Stichtag vom 1. Januar auf den 31. Oktober 2022 verschoben. Dadurch kommen laut dem SPD-Politiker Helge Lindh ingesamt etwa 138.000 Menschen für den neuen Titel in Frage. „Das Gesetz ist Ausdruck von gesundem Menschenverstand und Pragmatismus“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung.
Originalmeldung vom 20. Oktober 2022: Die Bundesregierung hat über das neue Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht beraten. Geduldete Personen, die seit dem 1. Januar 2022 fünf Jahre lang in Deutschland gelebt haben, sollen demnach ein einjähriges Aufenthaltsrecht erhalten. In diesem Jahr können sie versuchen, die Bedingungen für ein reguläres Bleiberecht zu erfüllen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert den Gesetzentwurf. Der Zeitraum sei zu kurz und zu spezifisch angesetzt. Viele integrierte Personen blieben so weiter nur geduldet.
Bekommen Geflüchtete in Deutschland kein Bleiberecht, werden sie abgeschoben – oder zunächst geduldet. Eine Duldung ist laut Bundeszentrale für politische Bildung eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Geduldeten Personen droht ständig die Abschiebung in ihr Heimatland.
Nur für Migrant:innen, die Anfang des Jahres bereits fünf Jahre in Deutschland leben, soll das Chancen-Aufenthaltsrecht gelten. Dieser Stichtag „schließt viele lange hier lebende, gut integrierte, Geduldete aus“, schreibt Pro Asyl. Ihnen werde die Chance auf einen legalisierten Aufenthalt verwehrt. So auch dem Geflüchteten Sobkhan Pakadam, der 2007 aus dem Iran nach Deutschland kam – ein halbes Jahr zu spät, um noch unter das geplante Gesetz zu fallen. Das erzählt er im Gespräch mit Pro Asyl. In den Iran schiebt Deutschland auch homosexuelle Geflüchtete ab, obwohl sie dort verfolgt werden.
Während des einen Jahres haben die Migrant:innen Zeit, sich auf ein dauerhaftes Bleiberecht vorzubereiten. Für das müssen sie mehrere Bedingungen erfüllen: einen gesicherten Lebensunterhalt, gute Kenntnisse der deutschen Sprache und einen Identitätsnachweis. Als Nachweis gilt etwa ein gültiger Pass aus dem Heimatland. Oft sei es jedoch nicht möglich, diesen zu bekommen, „unter anderem, weil viele Botschaften ihre Mitarbeit verweigern“, schreibt Pro Asyl in einer Broschüre zu dem geplanten Gesetz. Auch Pakadam habe Schwierigkeiten, einen Pass zu bekommen. Die iranische Botschaft verweigere ihm diesen, weil er dort keinen Wehrdienst geleistet hat.
Pakadam lernte hier Deutsch, wie er Pro Ayl erzählt. Außerdem bekomme er sein festes Einkommen als Maschinenbediener: erfüllt also bereits zwei Bedingungen für ein langfristiges Bleiberecht. Das Einzige, was ihm fehlt, sei der Identitätsnachweis. „Ich wünschte, dass wir eine Chance bekommen, indem wir gut Deutsch sprechen und hier arbeiten, auch wenn wir keinen Pass haben“, sagt Pakadam gegenüber Pro Asyl.
Auch den Zeitraum von einem Jahr, indem die Bedingungen erfüllt werden müssen, findet Pro Asyl zu knapp. Ein Jahr sei nicht ausreichend, um einen Pass zu erhalten. Auch die anderen Bedingungen könnten Migrant:innen in der kurzen Zeit nur schwer erfüllen. Schaffen sie es nicht, „fallen sie trotz aller Bemühungen unmittelbar und alternativlos in den prekären Status der Duldung zurück.“ Auch der bekannte libanesische Schauspieler Hassan Akkouch war jahrelang nur geduldet und wurde zeitweise sogar abgeschoben.