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„Regelschmerzen, die Ohnmacht auslösen“: Eine Endometriose-Betroffene beantwortet unsere Fragen

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Von: Natascha Berger

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Rita Hofmeister, daneben eine Frau, die sich vor Schmerzen an ihr Unterleib fasst. (Fotomontage)
Rita Hofmeister ist von Endometriose betroffen und hat ein Buch über die Erkrankung geschrieben. Im Interview beantwortet sie uns 14 Fragen. (Fotomontage) © Victoria Posch & IMAGO / agefotostock & IMAGO / Panthermedia

Zwischen fünf und 15 Prozent aller Frauen leiden an Endometriose - doch viele wissen gar nicht, was es mit der Erkrankung auf sich hat. Wir haben mit Rita Hofmeister gesprochen. Sie selbst ist betroffen und hat ein Selbsthilfe-Buch geschrieben.

Rita Hofmeister hat vor einigen Jahren die Diagnose Endometriose bekommen. Im Interview mit uns erzählt sie aus Expertinnen-Sicht und Autorin über die Erkrankung, verrät, welche Bullshit-Aussagen sie gar nicht mehr hören kann und wieso die Endometriose für sie ein Startschuss in ein besseres Leben war.

1. Was ist Endometriose? Wie würden Sie die Erkrankung Menschen erklären, die noch nie davon gehört haben?

„Endometriose sind Gewebewucherungen, hauptsächlich im Bauchraum. Dabei siedelt sich Schleimhautgewebe, das da eigentlich nicht hingehört, etwa an den Eierstöcken, an der Blase oder am Darm an. Dieses Gewebe sieht so ähnlich aus wie Gebärmutterschleimhaut und verhält sich auch so. Das heißt, einmal im Monat während der Menstruation sondert dieses Gewebe kleine Bluttropfen ab. Da das Blut dort aber keine natürliche Abflussmöglichkeit hat, entstehen Monat für Monat Entzündungen, Verklebungen und Verwachsungen, was hauptsächlich starke Menstruationsbeschwerden und Regelschmerzen verursacht.“

2. Wieso führt Endometriose in einigen Fällen zu Unfruchtbarkeit?

„Endometriose kann in Organe hineinwachsen und so zum Beispiel die Eileiter verschließen oder die Eierstöcke zerstören. Aber auch in der Gebärmuttermuskulatur kann Endometriose wachsen – dort nennt man sie Adenomyose. Alles das (und noch weitere Faktoren, über die sich die Medizin noch nicht vollends im Klaren ist) kann eine natürliche Empfängnis bzw. die Einnistung eines Embryos in der Gebärmutter erschweren oder gar verhindern.“

3. Was sind die häufigsten Symptome?

„Neben den bereits erwähnten starken Regelschmerzen – die manchmal so stark sind, dass sie Erbrechen oder Ohnmacht auslösen – zählen noch andere zyklische Beschwerden zu den hauptsächlichen Symptomen. Schmerzen beim Wasserlassen oder Stuhlgang, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Erschöpfung, um nur einige zu nennen. Und natürlich der unerfüllte Kinderwunsch.“

4. Wie unterschiedlich ist der Verlauf? Kann es auch sein, dass eine Betroffene kaum Schmerzen oder Symptome hat?

„Das Hinterlistige an der Endometriose ist, dass die Größe des Befundes oft nicht mit den Beschwerden in Einklang ist. Es gibt Frauen, die haben einen kleinen Herd und höllische Schmerzen. Andere wieder haben den Bauch voller Endometriose und merken kaum etwas davon. Endometriose kann die Lebensqualität der Betroffenen enorm einschränken, muss es aber nicht zwangsläufig.“

5. Was empfehlen Sie Frauen, die bei sich Symptome bemerken? 

„Dass sie ein zertifiziertes, auf Endometriose spezialisiertes Zentrum aufsuchen. Zu wenige Ärzti:innen kennen sich leider gut mit dieser Erkrankung aus, sodass sie leider nach wie vor oft übersehen wird und die Frauen als vermeintlich gesund oder noch schlimmer „wehleidig“ wieder nach Hause geschickt werden. In einem Endometriosezentrum ist man da am besten aufgehoben.“

Infos über Rita Hofmeister

Rita Hofmeister war Mitte 20, als bei ihr Endometriose diagnostiziert wurde. Die damit einhergehende Operation, bei der ein Stück Dickdarm entfernt werden musste, war für sie im Rückblick der Startschuss für den Beginn eines besseren Lebens. Mittlerweile hat Rita Hofmeister ihren Job in der Werbung lange an den Nagel gehängt und widmet sich heute ganzheitlicher Gesundheits- & Bewusstseins-Bildung. Mit Tools wie Impuls-Strömen, Yoga und ätherischen Ölen unterstützt sie Menschen dabei, ein selbstbestimmteres Leben mit mehr Wohlbefinden zu führen. Seit März 2020 lebt sie mit einem künstlichen Darmausgang, die Folge einer Spätkomplikation ihrer Endometriose-OP. Ihr Buch „Endometriose - ein Selbsthilfebuch“ erschien 2020. Auf Instagram gibt Rita Hofmeister außerdem immer wieder interessante Einblicke in ihren Alltag und betreibt Aufklärungs- und Bildungsarbeit.

6. Wo liegt der Unterschied, ob Betroffene eine:n Frauenärzt:in oder ein Endometriosezentrum aufsuche?

„Obwohl die Endometriose so häufig ist, wurde sie in der Gynäkologie lange stiefmütterlich behandelt. Zu wenige Ärzt:innen haben wirklich Ahnung davon und können sie gut diagnostizieren. In einem Endometriosezentrum trifft man als Betroffene auf nachgewiesene Spezialisten zu dem Thema. Die Diagnosen gehen schneller und deswegen können schneller und zielgerichteter Therapien überlegt werden.“

7. Wie wird Endometriose diagnostiziert?

„Leider gibt es kein ‚einfaches‘ Diagnoseinstrument wie etwa einen Bluttest. Zur Diagnose gehören eine ausführliche Anamnese, eine gründliche Untersuchung und auf jeden Fall ein vaginaler Ultraschall. In manchen Fällen kann auch ein MRT sinnvoll sein. All diese Instrumente führen aber nur zu einer Verdachtsdiagnose – die aber sehr wahrscheinlich richtig ist, wenn ein:e Spezialist:in sie durchführt. Gesichert kann die Diagnose aber immer noch nur mittels Untersuchung einer Gewebeprobe werden, und zur Entnahme dieser ist eben in den allermeisten Fällen leider eine Operation nötig.“

8. Was passiert, wenn Endometriose unentdeckt bleibt?

„Das führt leider oft dazu, dass die Endometriose unkontrolliert wächst und wuchert, mehr und mehr Gewebe zerstört und die Beschwerden immer schlimmer werden.“

9. Warum ist die Diagnose oft so schwierig bzw. dauert lange?

„Das liegt einerseits daran, dass die Endometriose von Ärzt:innen oft übersehen wird. Aber es liegt auch daran, dass alles, was mit der Menstruation zu tun hat, immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist. Man redet nicht darüber, dass man Menstruationsbeschwerden hat, man glaubt, Regelschmerzen sind normal, weil das auch die Mutter und die Großmutter schon hatten. Man erwähnt es vielleicht gar nicht beim Arzt, weil man denkt, das ist halt einfach so. Und wenn man es erwähnt, wird man oft schnell mit der Pille „abgespeist“, die die Beschwerden ja tatsächlich oft lindert. Aber solche Beschwerden sind nicht normal. Wenn man in seiner Lebensqualität eingeschränkt ist, sollte man sich auf jeden Fall zur Abklärung in Spezialist:innenhand begeben.“

Rita Hofmeister mit ihrem Buch „Endometriose - Ein Selbsthilfebuch“
Mit ihrem Buch „Endometriose - Ein Selbsthilfebuch“ will Rita Hofmeister anderen Betroffenen helfen. © DIE IDA

10. Viele Betroffene fühlen sich mit ihren Schmerzen nicht ernst genommen. Was sind die nervigsten Dinge, die man als Betroffene von Ärzt:innen oder auch im Bekanntenkreis hört?

„Meine Top-10 der Bullshit-Aussagen bei Endometriose sind:

1. Stell dich nicht so an, Regelschmerzen sind doch normal!
2. Ich hatte auch mal eine Zyste, bei mir war das nicht so schmerzhaft.
3. Bist du schon wieder krank?
4. Meine Freundin hat auch Endometriose und der geht’s nicht so schlecht…
5. Nimm doch einfach die Pille!
6. Nach der Operation bist du ja jetzt wieder gesund, oder?
7. Krieg doch ein Kind, das soll helfen!
8. Lass dir doch die Gebärmutter entfernen, dann ist der Spuk vorbei!
9. Ich kenne viele Frauen, bei denen es hieß, sie können keine Kinder bekommen, und dann…
10. Sei froh, dass du nicht Krebs hast“

11. In den (sozialen) Medien und der Öffentlichkeit kommt das Thema Endometriose erst seit einiger Zeit stärker auf. Wieso wurde nicht schon früher so viel darüber berichtet?

„Weil es ein Thema ist, das (fast) nur Frauen betrifft und es mit dem großen Tabu Menstruation zu tun hat. Eine amerikanische Anwältin, die sich in der Endometriose-Selbsthilfe engagiert, hat einmal gesagt: „Endometriose ist eine Krankheit, für die Kastration als Therapie angeboten wird. Wenn von ihr Männer betroffen wären, würde in die Forschung so viel Geld investiert wie in die amerikanische Rüstung. Aber es geht ja ‚nur‘ um Frauen.“ Die Sicht ist vielleicht etwas radikal, aber ein Funken Wahrheit steckt schon drin. Wir Frauen haben lang gebraucht, um uns zu Themen rund um die Menstruation Gehör zu verschaffen und nicht mehr als hysterisch abgestempelt zu werden. Zum Glück werden die Stimmen – und damit auch die Aufklärung rund um Endometriose – in den letzten Jahren immer lauter.“

Wir Frauen haben lang gebraucht, um uns zu Themen rund um die Menstruation Gehör zu verschaffen und nicht mehr als hysterisch abgestempelt zu werden.

Rita Hofmeister

12. Kann Endometriose behandelt oder geheilt werden? Wenn ja, auf welche Wege? Welchen haben Sie gewählt?

„Die Schulmedizin kann die Endometriose nur symptomatisch behandeln. Nachdem man noch keine Ursache kennt, gibt es auch keine ursächliche Behandlung oder Heilung. Schmerzmittel, Hormone und Operation (Entfernung der Endometriose) sind die gängigen Therapien. In vielen Fällen helfen diese – aber nicht in allen. Und Endometriose kann auch nach erfolgreicher Behandlung wiederkommen, sie gilt als chronisch und unheilbar. Viele Frauen suchen sich deshalb zusätzlich zur Schulmedizin ganzheitliche Ansätze, die auch gut helfen können. Ich habe alles probiert: Operation, künstlicher Wechsel, die Pille. All das hat mir schon geholfen, ein ganzheitlicher Ansatz über die Schulmedizin hinaus ist aber auf jeden Fall langfristig mein Weg geworden.“

13. Was können Erkrankte selbst gegen die Schmerzen tun?

„Vielen hilft eine Umstellung der Ernährung. Regelmäßiges, warmes Essen, Verzicht auf Weizen (oder überhaupt auf Gluten), Alkohol und rotes (oder generell auf) Fleisch, Reduzierung des Zuckerkonsums und Integration von Fetten, die viel Omega 3 enthalten kann sinnvoll sein. Bewegung ist wichtig. Viele Frauen – so auch ich – schwören dabei auf sanftes Yoga. Für mich selbst war außerdem Energiearbeit ein Gamechanger. Ich habe durch die Endometriose zum Impuls-Strömen gefunden, eine genial einfache Methode der Belebung und Harmonisierung des Energiesystems, die jede selbst für sich anwenden kann.“

Es ist nicht immer alles rosarot, und die Herausforderungen hören auch nicht auf, aber Endometriosebeschwerden habe ich – vollkommen ohne schulmedizinische Behandlung – schon über zehn Jahre keine mehr

Rita Hofmeister

14. Sie bezeichnen die Diagnose Endometriose als einen „Startschuss für den Beginn eines neuen, besseren Lebens“. Wieso und was wollen Sie anderen Betroffenen gerne mit auf den Weg geben?

„In meinen ganzheitlichen Ausbildungen habe ich gelernt, Erkrankungen nicht als Schicksal oder Zufall hinzunehmen, sondern als hilfreiche Hinweise des Körpers. Wenn man sich auf dieses Denk-Modell einlässt und den Mut hat, wirklich hinzuschauen und das eigene Tun und Denken zu hinterfragen, kann man vieles von seinen Symptomen lernen. Die Endometriose hat bei mir dazu geführt, dass ich über die Jahre mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt habe. Sowohl beruflich als auch privat ist bei mir nichts so, wie es vor zehn Jahren war oder wie ich es einmal geplant hatte. Das war hart, aber heute bin ich froh, dass mich meine Erkrankung zu diesen Veränderungen förmlich gezwungen hat. Ich bin heute sogar dankbar dafür, dass ich so massive Endometriose-Beschwerden hatte. Ohne sie wäre ich vielleicht noch immer in einem Job und einer Beziehung, die mich unglücklich gemacht haben. Aber ich habe gelernt und mich weiterentwickelt, herausgefunden, wonach ich mich wirklich sehne, welche Träume ich habe, und heute lebe ich diesen Traum. Es ist nicht immer alles rosarot, und die Herausforderungen hören auch nicht auf, aber Endometriosebeschwerden habe ich – vollkommen ohne schulmedizinische Behandlung – schon über zehn Jahre keine mehr.“

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