Wie Österreichs Frauen im 20. Jahrhundert für die Rechte kämpften, die wir heute haben
Als 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt und die Gleichstellung der Geschlechter 1920 in die Verfassung mitaufgenommen wurde, schienen wichtige Meilensteine für die Frauenbewegungen in Österreich geschafft. Doch ihre Arbeit ist damit nicht getan.
Denn die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter war lange noch nicht gegeben.
Frauen in der Ersten Republik: Die ersten weiblichen Abgeordneten
Der Erste Weltkrieg ist beendet. Österreichs gesellschaftliches und politisches Denken hat sich in den letzten vier Jahren verändert. Am 3. Dezember 1918 ziehen 165 Abgeordnete in einen provisorischen Gemeinderat in Wien ein. Zwölf von ihnen sind an diesem Tag etwas ganz Besonderes. Anna Boschek, Alma Motzko, Gabriele Proft, Amalie Seidel, Hildegard Burjan, Anitta Müller-Cohen, Aloisia Schirmer, Anna Strobl, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Marie Schwarz und Gabriele Walter sind die ersten weiblichen Abgeordneten des Wiener Gemeinderats.
Sechs von ihnen ziehen später gemeinsam mit Maria Tusch und Therese Schlesinger als erste Frauen ins österreichische Parlament ein. Die aktive Teilnahme von Frauen in der Politik trägt schon bald Früchte. Das Hausgehilfinnengesetz von 1920 wurde geschaffen, das Dienstmädchen zu Arbeitnehmerinnen macht und ihnen Rechte wie das Recht auf Ruhezeit und verschließbarem Schlafraum sichert.
Zur gleichen Zeit beantragen Sozialdemokratinnen eine Lockerung der Abtreibungsgesetze in der Nationalversammlung. Der Antrag scheitert jedoch. Zumindest arbeitsrechtlich geht für Frauen etwas weiter. 1925 richtet die Arbeiterkammer Wien ein Referat für Frauenarbeit unter der Leitung von Käthe Leichter ein. 1929 tritt das Verbot der Beschäftigung hochschwangerer Frauen in Steinbrüchen, Hochbauten und Lehm- und Schottergruben in Kraft. Typische Frauenjobs wie Bedienerin, Wäscherin und Hausnäherin werden sozialversichert.
Das traditionelle Frauenbild ab 1934
Im Mai 1934 kommt es schließlich mit Rückendeckung des faschistischen italienischen Führers Benito Mussolini zur Etablierung eines christlichen Ständestaats. Die parlamentarische Demokratie wird ausgehebelt. Gewählte Politiker sowie die ersten Politikerinnen verlieren ihren Job.
Die sozialistische Partei ist nun illegal, was auch das Ende für die Organisation sozialistischer Frauen bedeutet. Mädchen sollen vor allem an Haushaltungs-, Hauswirtschaftsschulen und Schulen für wirtschaftliche Frauenberufe unterrichtet werden. Der öffentliche Dienst nimmt keine Frauen mehr auf. Lehrerinnen müssen ihren Beruf aufgeben, sobald sie verheiratet sind. 1938 kommt es zum Anschluss an das Deutsche Reich. Österreich ist nationalsozialistisch. Es ist das vorübergehende Aus für Frauen in der Politik. Mädchen dürfen nur dann ein Gymnasium besuchen, wenn sie eine ministerielle Genehmigung haben. Auf den Unis dürfen maximal zehn Prozent Frauen studieren.

Das nationalsozialistische Frauenbild konzentriert sich vor allem auf die Rolle der Mutter. Die Frau hat die Aufgabe, Kinder zu bekommen und zu erziehen, um so ihren Beitrag für das deutsche Volk zu leisten. Auszeichnungen wie das Mutterkreuz untermauern diese Rollenverteilung. Die Not in der Zeit des Zweiten Weltkrieges zeigt aber bald, wie unrealistisch dieses Frauenbild ist. Während die Männer an der Front kämpfen, werden Frauen in die Rüstungsindustrie eingezogen und müssen nun in Bereichen arbeiten, die eigentlich als „Männerberufe“ bezeichnet werden.
Frauenbewegungen in der Zweiten Republik: Mutterschutz und Fristenlösung
Mit dem Ende des Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg ist nichts mehr wie es früher war. Frauen waren während des Krieges Familienoberhaupt, die Geschlechterverhältnisse haben sich verändert. Viele Ehen werden geschieden. Gleichzeitig kommt es aber ab 1948 zu einem Arbeitsplatzmangel. Frauen werden zuerst entlassen und kehren erneut in die private Sphäre des Haushalts zurück.
In den Fünfzigern etabliert sich erneut ein traditionelles Familienbild mit der Frau am Herd und dem Mann als Versorger. Diese Rollenverteilung zieht sich auch bis in die 60er-Jahre. Familienrechtlich kommt es im Jahr 1957 zu einem Meilenstein. Das Mutterschutzgesetz bringt ein Beschäftigungsverbot für unselbstständig erwerbstätige Frauen sechs Wochen vor und nach der Geburt des Kindes. Zudem wird ihnen Wochengeld ausgezahlt und sie können sechs Monate in Karenz gehen. 1960 wird die Karenzzeit auf ein Jahr erweitert.
1966 kommt es zu einem historischen Ereignis in der Politik: Grete Rehor von der ÖVP wird als erste Frau Ministerin. Als Bundesministerin für Soziale Verwaltung gründet sie im Sozialministerium eine Frauenabteilung, die sich der sozialen Situation erwerbstätiger Frauen annimmt. Mitte der 60er bis Mitte der 70er erlebt Österreich einen wirtschaftlichen Aufschwung. Immer mehr Frauen werden am Arbeitsmarkt gebraucht. 1969 gibt es erstmals Kontaktpersonen für die Förderung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
In den 70ern entsteht in Österreich wie auch in anderen Ländern eine neue Frauenbewegung, die sich von politischen Parteien, Politik und Institutionen vollkommen unabhängig sieht. Erstmals erkennen Frauen, dass viele ihrer Probleme auf die Strukturen der Gesellschaft zurückzuführen sind. Die neue Frauenbewegung zeigt öffentlich konkrete Benachteiligungen auf und versuchen politischen Druck auszuüben.
Im Zuge dessen kommt es auch wieder zur schon nach dem Ersten Weltkrieg angefangenen Debatte um die Abtreibung. Anfang der 70er wird die „Aktion unabhängiger Frauen“ gegründet, die sich für die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs starkmacht und wesentlich zur neuen Frauenbewegung beiträgt. Nach langem hin und her zwischen der ÖVP und der SPÖ mit Einmischung der katholischen Kirche kommt es 1975 endlich zur Kompromisslösung der Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Die Fristenlösung legalisiert die Abtreibung zwar nicht, lässt sie aber bis zum dritten Monat straffrei werden.
Langsam aber sicher setzt die neue Frauenbewegung das Verständnis durch, dass auch der private Bereich der Gesellschaft, in den die Frauen jahrhundertelang gedrängt wurde, ebenfalls politisch relevant ist. Ende der 70er kommt es zu einer Reform des Ehe- und Familienrechts. Dadurch wird die rechtliche Grundlage für eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Mann und Frau geschaffen.
Denn von nun an sind beide Partner verpflichtet, zum Unterhalt der Familie beizutragen, egal ob durch Lohnarbeit oder Haushaltsarbeit. Erstmals ist der Ehemann nicht mehr das Oberhaupt der Familie und kann seiner Ehefrau auch nicht mehr verbieten, einen Beruf auszuüben. Frauen können jetzt auch einen Doppelnamen führen und müssen nicht mehr denn Familiennamen des Mannes annehmen. 1978 wird das erste Frauenhaus Österreichs mit Unterstützung von sozialdemokratischen Politkerinnen wie Johanna Dohnal eröffnet. Frauen haben erstmals eine offizielle Anlaufstelle, um vor häuslicher Gewalt zu fliehen.
Frauen bewegen sich auf dem Arbeitsmarkt
Noch 1979 wird das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft verabschiedet, was bedeutet, dass zumindest rechtlich keiner mehr aufgrund seines Geschlechts bei der Entlohnung benachteiligt werden darf. Im selben Jahr beruft Bundeskanzler Bruno Kreisky zwei Staatssekretärinnen, die für Frauenfragen zuständig sind. Johanna Dohnal wird Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen, Franziska Fast für die Belange von berufstätigen Frauen.
Das ist besonders wichtig, weil dadurch Frauenpolitik von Familienpolitik klar abgegrenzt wird. Frauen werden nun nicht mehr nur als Teil der Familie gesehen. Diese Abgrenzung zwischen privater und öffentlicher Sphäre wird in den 80ern und 90ern immer intensiver. Feminist:innen wollen auf der einen Seite vermehrt auf private Probleme von Frauen (etwa häusliche Gewalt) aufmerksam machen, andererseits fordern sie öffentliche Verantwortung dafür. 1989 wird durch diese Anstrengung endlich die Vergewaltigung innerhalb der Ehe verboten.
Auch außerhalb der Ehe wird Vergewaltigung strenger geahndet. Der Tatbestand ist nicht mehr von der Widerstandsleistung des Opfers abhängig. Im selben Jahr bekommen unverheiratete Mütter die gleichen Rechte wie verheiratete. Zuvor konnten sie etwa die Vormundschaft über ihr Kind nur über einen speziellen Antrag erhalten. In den 90ern kommt es zu einer zusätzlichen Aufwertung von Frauenpolitik.
1991 wird Johanna Dohnal Frauenministerin. Ende der 90er werden Opfer von familiärer Gewalt mit dem Gewaltschutzgesetz besser geschützt. Gewaltschutzzentren werden etabliert. 1996 initiiert das Unabhängige Frauen Forum ein Frauenvolksbegehren, das den „umfassenden Abbau der Benachteiligung von Frauen“ fordert. 1998 wird das ausdrückliche Bekenntnis zur Gleichstellung von Mann und Frau Bestandteil der Verfassung.
Ende des 20. Jahrhunderts sieht das Verhältnis zwischen Mann und Frau ganz anders aus als noch 100 Jahre zuvor. Frauen dürfen einem Beruf nachgehen, Karriere machen und sind nicht mehr abhängig vom traditionellen Familienbild oder festgefahrenen Geschlechterrollen. Gleichzeitig brachte das letzte Jahrhundert viele neue Erkenntnisse in Bezug auf die Benachteiligung von Frauen. Mittlerweile findet an Unis Frauen- und Geschlechterforschung statt. Feminismus ist ein selbstständiger wissenschaftlicher Zweig. Eine Vielzahl an feministischen Theorien, Bewegungen und Strömungen treffen aufeinander.
Frauen im 21. Jahrhundert: Chancengleichheit
Es geht nicht mehr nur um die Teilhabe am öffentlichen Leben und das Mitspracherecht in Politik, es geht um Chancengleichheit. Durch die EU, der Österreich seit 1995 angehört, gibt es ab 2001 eine verbindliche Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter. 2002 wird das Karenzgeld durch das Kinderbetreuungsgeld abgelöst. Dadurch ist der Bezug des Geldes auch für Väter möglich.
So soll die traditionelle Aufteilung des erwerbstätigen Mannes und der Hausfrau weiter aufgebrochen werden. Doch die Aufteilung bleibt weiterhin im Ungleichgewicht. Auch die Löhne bleiben ungleich. Der Gender Pay Gap ist selbst im Jahr 2021 noch immer nicht geschlossen. 2011 wird versucht, diesen zu verringern, indem Betriebe das durchschnittliche Einkommen von Männern und Frauen betriebsintern offenlegen müssen.
Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter noch immer nicht am Ziel ist, zeigt sich auch 2016. Zwanzig Jahre nach dem ersten Frauenvolksbegehren wird ein zweites initiiert. 2018 kommt es zur Abstimmung und schafft 481.959 Unterschriften. Mittlerweile ist Österreich in der Metoo-Ära angekommen.
Die Bewegung, die sich 2017 in den USA durch Missbrauchsfälle und sexuelle Belästigung in der Filmszene und in anderen Branchen auf die ganze Welt ausgebreitet hat, zeigt Probleme auf, denen Frauen im Berufsleben ausgesetzt sind. Festgefahrene Rollenbilder, Objektifizierung, struktureller Machtmissbrauch und Benachteiligung: Auch heutzutage müssen Frauen strukturelle Hürden überkommen, um das gleiche Leben zu führen wie ein Mann.