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Veraltete Geschlechterrollen sind nicht nur absolut dämlich, sie können auch aufs Herz gehen

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Von: Emily Erhold

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Bildmontage: Frau macht mit Kind Hausaufgaben. Das Herz einer Patientin wird abgehört.
In der Pandemie waren es vor allem Frauen, die sich um Kinderbetreuung und Homeschooling gekümmert haben. Das kann gesundheitliche Folgen haben. © blickwinkel/Chromorange/Imago/BuzzFeed Austria

Männer und Frauen sollten nicht gleich behandelt werden - zumindest im Krankenhaus und in der Forschung nicht.

Denn biologische Unterschiede, aber auch das soziale Geschlecht (Gender) haben Einfluss darauf, wie wir krank werden. Leider konzentrierte sich die Forschung bis vor wenigen Jahren zu wenig auf diese wichtigen Geschlechterunterschiede, was zum sogenannten Gender Health Gap führte. Die Gendermedizin versucht das zu ändern.

Unterschiedliche Geschlechter machen uns unterschiedlich krank

Die Gendermedizin beschäftigt sich damit, welchen Einfluss Gender und biologisches Geschlecht auf Krankheiten, medizinische Behandlungen, Forschung und Prävention hat. Das ist wichtig. Denn lange Zeit wurde vor allem am Durchschnittsmann geforscht. Und das hat auch Auswirkungen auf ärztliche Behandlungen und Diagnosen. „Wir wissen nach wie vor weniger über die für Frauen typischen Krankheitsausprägungen oder -verläufe, weil weniger Studien dazu vorliegen. Da gibt es Nachholbedarf“, erklärt uns Alexandra Kautzky-Willer. Die Fachärztin für Innere Medizin ist seit 2010 Professorin für Gendermedizin an der MedUni Wien.

Menschen unterschiedlicher Geschlechter haben unterschiedliche Körper und somit auch unterschiedliche biologische Voraussetzungen. Gleichzeitig führen gesellschaftliche Einflüsse wie geschlechtsspezifische Erwartungen dazu, dass sich die Geschlechter in ihrem gelernten Verhalten unterscheiden. Der starke Mann, der nicht weinen will und die Frau, die sich automatisch um den Haushalt kümmert, sind Beispiele dafür. „Die gesellschaftlichen Geschlechterrollen spielen natürlich eine große Rolle. Die verändern sich auch mit der Zeit“, so Kautzky-Willer. So kam es dazu, dass die eigentlich zu begrüßende Emanzipation der Frau dazu führte, dass Frauen gesundheitsschädliche Angewohnheiten der Männer übernommen haben, wie etwa Rauchen oder Alkoholkonsum.

Geschlechterrollen gehen aufs Herz

Andere Geschlechterrollen sind etwas schwieriger aufzubrechen. „Frauen sind nach wie vor sowohl im beruflichen als auch im privaten für die Pflege zuständig. Sie kümmern sich um pflegebedürftige Angehörige, Kinder und den Haushalt. Befragungen ergeben, dass hier noch immer ein großes Ungleichgewicht herrscht“, erklärte die Gendermedizinerin.

Damit künftig besser abgebildet werden kann, wie sehr sich dieses soziale Geschlecht, also Gender, auf unsere Gesundheit auswirkt, forscht die MedUni Wien gemeinsam mit der kanadischen McGill University und anderen Hochschulen im Rahmen des Projekts „Going-FWD“ daran, wie Gender besser abbildbar und messbar gemacht werden kann. „Wir versuchen hier, Gender-Scores zu entwickeln. Das bedeutet, wir schauen, welche Genderfaktoren in bereits existierenden Datensätzen vorhanden sind“, so Kautzky-Willer. So wurden also Erkrankungen beispielsweise in Zusammenhang mit dem Einkommen - Frauen haben durchschnittlich ein geringeres Einkommen - oder den Haushaltsverpflichtungen untersucht.

„Im Fall von Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben wir gesehen, dass diese Genderfaktoren eine größere Rolle spielen als das biologische Geschlecht. Denn vor allem jene Faktoren, die wir in unserer Gesellschaft einer Frau zuweisen, führen zu einer schlechten Gesundheit in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, erklärt die Medizinerin. Veraltete Geschlechterrollen wie die Frau, die sich um Haus und Kind kümmert und weniger finanzielle Ressourcen und sozialen Support hat, gehen also wortwörtlich aufs Herz. Andererseits haben auch Männer, die diese Rollen übernehmen, ein erhöhtes Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung.

Gender beeinflusst unsere Biologie

Die gesellschaftlichen, kulturellen und auch psychosozialen Umwelteinflüsse, die wir aufgrund unseres sozialen Geschlechts erleben, beeinflussen wiederum auch unsere Biologie, wie uns Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer erklärt. „Das zeigt sich sehr schön in der Epigenetik. Umweltfaktoren können unsere Gene beeinflussen und verändern.“ Gender- und Geschlechtsunterschiede haben also einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit und sollten daher in keiner medizinischen Forschung und Disziplin vergessen werden. Noch ist das nicht der Fall. Deswegen braucht es auch die Gendermedizin, die sich extra mit diesem Thema auseinandersetzt. „Solange der Gender-Aspekt nicht überall integriert ist und selbstverständlich aufgenommen wird, solange braucht es Expert:innen, die sich mit dieser Querschnittmaterie vermehrt auseinandersetzen.“

Der Fokus auf Gendermedizin hat immerhin auch Vorteile für Männer. „Depressionen oder Osteoporose sind beispielsweise Krankheiten, die eher der Frau zugeordnet werden“, so Kautzky-Willer. Deswegen werden diese Krankheiten in Zusammenhang mit Männern zu wenig erforscht. Männer sind hier unterversorgt. „Sie begehen zum Beispiel viel häufiger Selbstmord, sind aber viel seltener wegen Depressionen in Behandlung, weil sich die Erkrankung bei Männern anders äußern kann, wie etwa in Alkoholmissbrauch oder Aggressionen. Das spiegelt nicht das typische Bild einer depressiven Frau wider, das wir bei dieser Erkrankung sofort vor Augen haben.“

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Gendermedizin ist

Wie wichtig der Fokus auf Gender und Geschlecht ist, zeigt uns auch die aktuelle Corona-Pandemie. „Männer sterben häufiger an COVID und sind auch eher von einem schweren Verlauf betroffen“, so die Medizinerin. Der Grund dafür liegt im biologischen Geschlecht. „Das Immunsystem der Männer ist einfach schwächer. Frauen entwickeln bei Corona, aber auch bei Grippeinfektionen oder bei SARS bessere Abwehrreaktionen. Das liegt an den Geschlechtshormonen der Frau, den beiden X-Chromosomen, auf denen wichtige Gene für das Immunsystem liegen“, erklärt Kautzky-Willer.

Frauen haben in der Pandemie wiederum ein anderes Problem, dass mit Gender-Rollen zu tun hat, wie die Ärztin betont: „Frauen sind psychisch mehr belastet und in der Pandemie stärker von Depressionen betroffen, weil sie häufiger in sozialen Berufen wie der Pflege arbeiten. Außerdem übernehmen sie Homeschooling und Kinderbetreuung während dem Homeoffice.“

Die letzten Jahre haben also gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir die Unterschiede zwischen den Geschlechtern genauer ansehen. Kautzky-Willer hofft darauf, dass es künftig mehr Förderung für die Forschung der Gendermedizin gibt. Letztlich geht es aber nicht nur um die Forschung. „Es braucht auch eine Umsetzung in der Praxis“, so die Medizinerin. Damit wir in Zukunft im Krankenhaus auch anderes behandelt werden.

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