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Was sich in Österreich noch ändern muss, damit die Gewalt gegen Frauen endlich aufhört

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Von: Emily Erhold

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Bildmontage: Eine Grafik des Zeichens für Männer und des Zeichens dür Frauen und eine Grafik, in der Gewalt in der Wohnung dargestellt wird.
Gewalt gegen Frauen ist in Österreich immer noch ein großes Problem. © Ikon Images/Imago/BuzzFeed Austria

Erschossen, erstochen, angezündet, erstickt, erwürgt: 30 Frauen wurden dieses Jahr in Österreich auf diese oder ähnliche Art und Weise ermordet. Femizid ist oft das traurige Ende einer Gewaltspirale, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts erleben. Wir haben nachgefragt, was sich ändern muss - in den Gesetzen und in der Bevölkerung.

Gewalt an Frauen ist in Österreich allgegenwärtig. Laut einer EU-weiten Erhebung aus dem Jahr 2014 erfährt jede fünfte Frau hierzulande ab ihrem 15. Lebensjahr sexuelle und/oder körperliche Gewalt. Jede Dritte wurde bereits sexuell belästigt. Jede siebte Frau ist ab diesem Alter von Stalking betroffen. Damit sich das ändert, muss auch in Österreich noch einiges getan werden.

In a Nutshell:

Gewalt an Frauen: Es ist etwas Persönliches

Eines vorweg: Es stimmt, dass Männer weltweit betrachtet viel häufiger getötet werden als Frauen. Das UNO-Büro für Drogen- und Verbrechungsbekämpfung (UNODC) fand beispielsweise heraus, dass im Jahr 2017 acht von zehn Opfern weltweit männlich waren. Wieso also Frauenmorden besondere Aufmerksamkeit schenken? Weil Männer nicht unbedingt aufgrund ihres Geschlechts ermordet werden. Frauen hingegen wird oft Gewalt angetan, weil sie Frauen sind. Das äußert sich darin, dass weibliche Mordopfer meist von jemandem getötet werden, der ihnen nahesteht. Acht von zehn Opfern, die von ihren Lebensgefährt:innen, Ex-Partner:innen oder Familienmitgliedern ermordet werden, sind Frauen.

Deswegen gibt es auch den Begriff Femizid, der diese Form der Tötung beschreibt. Er soll noch einmal besonders hervorheben, dass Frauen vor allem aufgrund ihres Geschlechts getötet werden. In Österreich gab es im Jahr 2021 bereits 30 Femizide (Stand 14. Dezember). Doch ein Mord ist nur das traurige Ende einer Gewaltspirale gegen Frauen. Die Politik reagiert deswegen mit Gesetzespaketen und Präventionsmaßnahmen im Gewaltschutz. Es hat sich zwar schon einiges getan. Seit 2021 ist beispielsweise Upskirting, also das unerlaubte Fotografieren in den Intimbereich und die Veröffentlichung der Bilder, verboten. Seit September 2021 müssen Personen, über die ein Betretungsverbot verhängt wurde, eine Beratung absolvieren. Um Gewalt gegen Frauen zu minimieren, muss sich hierzulande aber trotzdem noch viel tun.

Wir müssen erkennen, dass wir in Österreich ein Problem mit Gewalt an Frauen haben - auf allen Ebenen

Gewalt, die sich spezifisch gegen Frauen richtet, ist auch in einem Land wie Österreich noch immer ein großes Problem. Egal wie reich oder gebildet die Betroffenen oder Täter sind, egal welchen Hintergrund sie haben: Gewalt kann hierzulande in allen Schichten und Kulturen vorkommen. „Häusliche Gewalt findet in der Villa im 19ten Bezirk genauso wie in der Wohnung in Favoriten statt“, erklärt Rechtsanwältin Carmen Thornton, die auf Familienrecht spezialisiert ist. 

Sie ist der Meinung, dass im Bereich der Justiz noch viel Verbesserungspotential besteht, um Gewalt besser zu bekämpfen und den von Gewalt betroffenen Frauen besser zu helfen. „Wir haben Gesetze, die eigentlich ganz gut und ausreichend sind. Das Problem ist aber, wie diese ausgelegt werden und wie die Gerichtsverfahren laufen“, erklärt Thornton.

Richter:innen und Polizist:innen müssen ausreichend geschult werden

Wer in Österreich von Gewalt betroffen ist, kann sich an mehrere Stellen wenden, um kostenlose Unterstützung zu bekommen. Da gibt es beispielsweise die Frauenhäuser oder Gewaltschutzzentren. Die Frauenhotline ist unter 0800 222 555 jederzeit erreichbar. Rechtlich gesehen sind Opfer von Gewalt unter anderem auch durch das Gewaltschutzgesetz geschützt. 

Wer sich an die Polizei wendet, kann Maßnahmen wie ein Betretungs- und Annäherungsverbot oder zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten wie eine einstweilige Verfügung erwirken. Wer Gewalt erlebt oder beobachtet, kann diese Straftat auch anzeigen. Hier steht es den Betroffenen übrigens zu, sich von einer Vertrauensperson wie beispielsweise der Schwester oder einer Beraterin begleiten zu lassen.

Es gibt also Möglichkeiten, um sich gegen Gewalt zu wehren. Das Problem beginnt aber manchmal schon dann, wenn sich ein Opfer an die Polizei wendet. „Bei der Polizei gibt es leider auch Personal, das in Gewaltschutz- oder in psychologischen Themen nicht ausreichend geschult ist“, kritisiert die Rechtsanwältin Carmen Thornton. Dann könne es passieren, dass die Fragetechnik nicht optimal ist oder die Aussagen der Betroffenen falsch eingeschätzt werden.

Als Opfer von Gewalt kann man es der Justiz nicht wirklich recht machen“

Mag. Carmen Thornton, Rechtsanwältin

Rechtsanwältin Thornton erklärt, dass es weder von Richter:innen noch Polizist:innen ausreichend Verständnis für die Situation von Gewaltopfern gebe. So hätten Betroffene von Gewalt aufgrund ihrer Traumata oftmals eine löchrige Erinnerung und eine sehr spezifische Wahrnehmung. Das Verhalten der Opfer werde aber bis ins kleinste Detail bewertet.

„Wenn eine Betroffene sehr emotional ist und sich nicht sammeln kann, gilt sie als hysterisch. Wenn sie sich aber behutsam alles aufgeschrieben hat, was passiert ist und das dann monoton abliest, weil sie so am besten damit umgehen kann, gilt sie als berechnend“, erläutert Thornton die manchmal unmögliche Lage für Gewaltbetroffene vor Gericht und bei der Polizei. 

Hier brauche es laut Thornton Schulungen für Polizist:innen und Richter:innen. So könne es ein besseres Verständnis dafür geben, wieso die Opfer nicht immer sofort schlüssige Tathergänge erklären können. Die Grüne Justizministerin Alma Zadic kündigte bereits an, künftig Richter:innen und Polizist:innen besser im Bereich Gewaltschutz sensibilisieren zu wollen.

Die Belastungen der Betroffenen sollten schon bei der Einvernahme so gering wie möglich sein

Zadic kündigte dieses Jahr ebenfalls an, künftig bei der Einvernahme von Opfern auf Videoaufnahmen setzen zu wollen. So kann verhindert werden, dass die Opfer und die Beschuldigten vor Gericht aufeinandertreffen. Die Betroffenen sollen dadurch entlastet werden. Auch Rechtsanwältin Carmen Thornton hält es für wichtig, die Opfer von Gewalt bei den Einvernahmen nicht zusätzlich zu belasten. „Ich fände es gut, die Einvernahmen der Betroffenen aufzuzeichnen, damit andere Stellen auf das Video zurückgreifen können. So muss das Opfer nicht immer wieder den Tathergang beschreiben. Außerdem stärkt das die Transparenz, weil man nachsehen kann, wie eine Person gewirkt hat.“

Opfer von Gewalt brauchen eine Prozessbegleitung

Im Strafverfahren haben Opfer von Gewalt bereits die Möglichkeit einen Anwalt oder eine Anwältin zu Verfügung gestellt zu bekommen, wenn sie das wollen. Das müsse es auch in anderen Verfahren geben, so Thornton: „Der Großteil der Verhandlungen bzw. anfallenden Kosten betrifft nämlich nicht den Strafprozess, sondern die oft sehr langwierigen Kontaktrechts- oder Unterhaltsverfahren. Da ist es ganz wichtig, dass die Frauen eine juristische Prozessbegleitung gestellt bekommen, um eine Chancengleichheit zu ermöglichen.“ Diese Prozessbegleitung ist in der von Zadic angekündigten Gesetzesänderung ebenfalls angedacht.

Wir müssen uns von veralteten Rollenbildern verabschieden

Doch, um Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen, muss man nicht nur die Gesetze anpassen. Auch in den Köpfen der Leute muss sich etwas ändern. Denn stereotype Vorstellungen über Männer und Frauen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. „Hysterisch“, „emotional“: Eigenschaften, die man in unserer Gesellschaft vor allem Frauen zuschreibt. Männer hingegen müssen immer stark sein und dürfen ihre Emotionen nicht zeigen. Diese Klischees können sich auch vor Gericht negativ auswirken, und zwar für beide Geschlechter. Denn der Hausmann, der für eine Unterhaltszahlung kämpft, ist hier ebenso betroffen wie eine von Gewalt betroffene Frau, der nicht geglaubt wird.

Noch immer sind es vor allem Männer, die Machtpositionen in unserer Gesellschaft innehaben. Diese klischeehaften, stereotypen Bilder sind ganz fest in den Strukturen unserer Gesellschaft verankert und beeinflussen unsere Wahrnehmung. Frauen werden immer noch abgewertet.

Dass Gewalt an Frauen ein strukturelles, gesellschaftliches Problem ist, sieht auch Stefanie Wöhl. Die Professorin für Politikwissenschaften an der Fachhochschule des BFI Wien forscht zu Diversität und Gendergleichheit. „All die Stereotype, die man auch über Männer kennt, spielen eine Rolle, wie man Frauen und Männer wahrnimmt. Das Problem bei Gewalt gegen Frauen ist auch, dass Frauen eben nicht als gleichwertig und nicht als respektiert wahrgenommen werden“, so die Wissenschafterin.

Wie wir aus der Forschung wissen, geht es bei Gewalt auch immer um Macht.“

Stefanie Wöhl, Professorin für Politikwissenschaft an der FH des BFI Wien

Die Lösung ist hier nicht so einfach. Denn um das ungleiche Machtverhältnis und die festgefahrenen Strukturen in unserer Gesellschaft zu ändern, muss man schon ganz früh ansetzen. „Es ist ein langwieriger Prozess, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu verändern und die Stereotype aus unseren Köpfen zu bekommen“, so Wöhl.

Hier muss man schon bei der Erziehung von unseren Kindern anfangen“, erklärt Wöhl. Laut einer Studie von mehreren US-Unis aus dem Jahr 2017 denken Kinder schon im Alter von sechs Jahren in Geschlechterklischees. So denken sechsjährige Mädchen bei einer „schlauen Person“ eher an einen Mann. Kein Wunder also, dass Frauen gesellschaftlich noch immer eine untergeordnete Rolle einnehmen.

Für Frauen muss es die gleichen Chancen geben

Geschlechtsunterschiede wie der Gender Pay Gap, der Gender Data Gap oder der Gender Health Gap zeigen: Frauen sind praktisch noch immer weit davon entfernt, tatsächlich die gleichen Chancen wie Männer genießen zu können. Das führt auch dazu, dass man schneller wieder in traditionelle Geschlechterrollen zurückfällt. Die Corona-Pandemie hat gezeigt: In Krisen übernehmen vor allem Frauen die Hausarbeit, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen. Männer gehen hingegen weiterhin der bezahlten Arbeit nach. Das kann wiederum dazu führen, dass Frauen von ihrem Partner abhängig sind. Vor allem in gewalttätigen Partnerschaften ist das ein Problem.

Wenn Frauen finanziell unabhängig sind, können sie sich auch einfacher aus gewaltvollen Partnerschaften lösen.“

Stefanie Wöhl, Professorin für Politikwissenschaft an der FH des BFI Wien

Doch nicht nur finanziell, auch in allen anderen Bereichen müssen Frauen die gleichen Chancen erhalten wie Männer. Erst so können sie die Strukturen unserer Gesellschaft aufgebrochen werden. Nur so können sich die Rollenbilder, die sich in unsere Köpfe gebrannt haben, verändern. Nur so kann sich das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern ändern und nur so sind Frauen besser vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt.

Wer von Gewalt betroffen ist oder sich nicht sicher fühlt, kann sich an diese Stellen wenden:

Rat auf Draht: 147

Frauen-Helpline: 0800 222 555

Frauenhäuser

Männer-Info: 0800 400 777

Männer-Beratung: 0512 576644

Männer-Notruf: 0800 246 247

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