Bei häuslicher Gewalt bietet das Gewaltschutzgesetz effizienten Schutz

Letztes Jahr verhängte die Polizei in Österreich 11.495 Betretungs- und Annäherungsverbote. Es befanden sich 2.994 Personen in Frauenhäusern und 31 Frauen wurden sogar getötet.
Häusliche Gewalt bedeutet, Verletzungen an einem Ort zu erfahren, der den Opfern vorrangig Sicherheit, Geborgenheit und Schutz vermitteln sollte. Die Statistiken für Österreich belegen, dass hauptsächlich Frauen, Kinder und ältere Menschen von Gewalt in den eigenen vier Wänden betroffen sind. Gewalt macht weder vor einem Geschlecht noch vor Bildungs- und Gesellschaftsschichten Halt. Sie kommt in allen Altersgruppen, Nationalitäten, Religionen und Kulturen vor.
Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein sehr gefährlicher Ort, häufig sind sie dort verschiedensten Formen von Gewalt ausgesetzt. Egal, ob psychisch, ökonomisch, sozial, physisch oder sexualisiert, Frauen berichten, dass sich die Gewalt stetig steigert. Nach wie vor ist häusliche Gewalt ein Tabuthema, das in vielen Fällen weder angesprochen noch zur Anzeige gebracht wird. Zu groß sind Angst, Scham und Abhängigkeit vom Täter. Kriminalstatistiken und Erhebungen von Beratungs- und Opferschutzeinrichtungen tragen inzwischen viel dazu bei, das Phänomen und seine Ausmaße durch konkrete Zahlen greifbar zu machen, über Frauenrechte aufzuklären und die Opfer durch Vorbeugung bzw. Beendigung zu schützen.
Häusliche Gewalt in Zahlen
Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser veröffentlichten im Dezember 2021 folgende Zahlen und Daten bezogen auf Gewalt an Frauen und massiven Verletzungen von Frauenrechten in Österreich:
- Jede fünfte Frau erlebt ab ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt.
- Die österreichweit agierende Frauenhelpline gegen Gewalt verzeichnete im Jahr 2020 insgesamt 10.571 Anrufe, bei 329 Anrufen mussten Polizei und/oder Behörden umgehend intervenieren.
- Im Jahr 2020 verhängte die Polizei in 11.495 Fällen ein Betretungs- und Annäherungsverbot.
- Im Coronajahr 2020 suchten insgesamt 20.587 Opfer familiärer Gewalt Hilfe und Unterstützung in Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen, darunter 81,5 Prozent Frauen und Mädchen.
- 26 österreichische Frauenhäuser haben 2020 insgesamt 2.994 Personen in akuten Krisensituationen aufgenommen, darunter 1.507 Frauen und 1.487 Kinder.
- In den Jahren von 2014 bis 2020 stieg die Zahl der weiblichen Mordopfer von 19 auf 31, ein Höchststand wurde mit 41 Morden im Jahr 2018 erreicht.
Dass die Frauenhäuser im Vergleich zum Jahr 2019 einen Rückgang der Schutzsuchenden um 9,16 Prozent verzeichneten, ist keinesfalls als positives Signal zu werten. Vielmehr lässt sich der Rückgang nicht an verminderter häuslicher Gewalt festmachen, sondern an der Covid-19-Pandemie: „Für viele betroffene Frauen war es deutlich erschwert zu flüchten, weil die Familie ständig anwesend war [und] weil sie stärker der Kontrolle des gewaltausübenden Partners ausgesetzt waren.“
Häusliche Gewalt ‒ was tun im konkreten Notfall?
Wer sich in Österreich mit häuslicher Gewalt konfrontiert sieht, kann auf ein breites Hilfs- und Beratungsangebot zurückgreifen. Die Realität hat gezeigt, dass sofortiges Handeln weiteres Leid unterbinden kann. Das Angebot ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Betroffene, Zeugen und Personen, die Kontakt zu gewaltbetroffenen Personen haben, rufen die Polizei unter 133. Wer feststellt, dass sich der Gemütszustand des Partners/der Partnerin ins Negative verändert, kann sich unter 0800 222 555 an die Frauenhelpline oder unter 0720 70 44 00 an die Männerinfo wenden. Beide Nummern sind an 365 Tagen im Jahr von 0 bis 24 Uhr besetzt.
Der Kindernotruf „Rat auf Draht“ ist unter der Nummer 147 ebenfalls rund um die Uhr erreichbar. Bei Androhung von Gewalt oder akuten Gewaltausbrüchen sollte schnellstmöglich die 133 gewählt werden (SMS 0800 133 133) bzw. der Euronotruf 112. Wichtig ist, von einem sicheren Ort aus anzurufen, zum Beispiel aus einem Raum mit abgeschlossener Tür oder nach dem Verlassen der Wohnung. Dabei sollte die betroffene Person zuerst ihren Aufenthaltsort nennen, den Vorfall kurz schildern und die Zahl eventuell Verletzter nennen. Erst danach nimmt die Polizei persönliche Daten auf und trifft alle erforderlichen Maßnahmen. Falls eine gesicherte Unterkunft benötigt wird, sind Polizei, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen, Frauenhelpline und Männerinfo als Ansprechpartner bei der Vermittlung behilflich.
Häusliche Gewalt und die Befugnisse der Polizei
Am 1. Mai 1997 trat mit dem „Gewaltschutzgesetz“ eine gesetzliche Regelung in Kraft, die die rechtlichen Voraussetzungen für einen raschen und effizienten Schutz von Opfern vor häuslicher Gewalt schaffen sollte. So wurde die Polizei erstmals in der österreichischen Rechtsgeschichte dazu ermächtigt, dem „Gefährder“ für die Dauer von 14 Tagen den Zugang zur Wohnung zu verbieten. Frei nach dem Grundsatz „Wer schlägt, der geht“ war die Polizei nun befugt, den Gefährder auch unter Zwang der Wohnung zu verweisen, sollte dieser nicht freiwillig dazu bereit sein. Für die gefährdete Person hatte die neue Gesetzesgrundlage den Vorteil, in der vertrauten Umgebung bleiben zu können.
Mit dem 1. Jänner 2020 wurde das sogenannte „Betretungsverbot“ um ein „Annäherungsverbot“ ergänzt. Ein Schutzinstrument, das dem Gefährder verbot, „sich dem Opfer auf weniger als 100 Meter zu nähern.“ So blieb der Schutz nicht allein auf die eigenen vier Wände beschränkt, sondern galt auch an jedem beliebigen Ort in der Öffentlichkeit. Hatte die Polizei einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit festgestellt, wurde das örtlich zuständige Gewaltschutzzentrum bzw. die Interventionsstelle informiert.
Wann immer Kinder beteiligt waren, war die Polizei verpflichtet, die örtliche Kinder- und Jugendhilfe über den Vorgang in Kenntnis zu setzen. Zum Schutz der Frauenrechte drohten dem Gefährder bei Nichteinhaltung des Betretungs- und Annäherungsverbotes hohe Strafen. Zudem waren Gefährder seit dem 1. September 2021 dazu verpflichtet, nach einem polizeilich ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverbot eine sechsstündige Gewaltpräventionsberatung zu absolvieren.
Häusliche Gewalt ‒ wenn Betretungs- und Annäherungsverbot nicht wirken
Im Verlauf des 14 Tage geltenden Betretungs- und Annäherungsverbots kann die gefährdete Person beim zuständigen Bezirksgericht einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellen. Hierfür sind sogenannte „Bescheinigungsmittel“ wie Fotos, ärztliche Befunde oder Zeugenaussagen notwendig, die eine Gewaltanwendung nachweisen. Bis zur endgültigen Entscheidung wird das bereits ausgesprochene Betreuungs- und Annäherungsverbot noch einmal um maximal 14 Tage verlängert.
Um längerfristigen Schutz vor häuslicher Gewalt zu gewähren, kann das Gericht verfügen, dass der Gefährder bis zu einem Zeitraum von sechs Monaten die Wohnung nicht mehr betreten darf. Zudem können zur Stärkung der Frauenrechte Kontaktaufnahmen, Annäherungen, Aufenthalte an bestimmten Orten und Eingriffe in die Privatsphäre gerichtlich untersagt werden.
Hält sich der Gefährder nicht an die gerichtlichen Vorgaben, drohen Geldstrafen von bis zu 2.500 Euro, Festnahmen und strafrechtliche Verfolgung. Steht eine Scheidung im Raum, kann die einstweilige Verfügung bis zum Ende der Ehe verlängert werden.
Häusliche Gewalt ‒ wenn das Opfer die Gewalt des Gefährders nicht überlebt
Die österreichische Kriminalstatistik wies für das Jahr 2020 insgesamt 31 ermordete Frauen aus, das Jahr 2021 zählte mit Stand 1. Dezember 2021 bereits 30 Frauenmorde. Damit gilt Österreich als einziges EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer einem Gewaltverbrechen zum Opfer fallen. Häufig werden die Frauen Opfer ihrer eigenen (Ex-)Partner oder Familienmitglieder. Einen in Bezug auf Frauenrechte besonders traurigen Rekord hält das Jahr 2018, in dem 41 Frauen ihr Leben ließen.
Frauenmorde nehmen unter den Gewalttaten aufgrund ihrer Schwere eine besondere Stellung ein. Werden Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet, sprechen Fachleute von Femizid. Viele Frauenorganisationen bevorzugen inzwischen diesen Begriff, um beschönigende Begriffe wie häusliche Gewalt, Familiendrama oder Ehrenmord zu umgehen. „Bei einem Femizid geht es konkret darum, dass ein männlicher Täter sich in einer patriarchalen Gesellschaft berechtigt (oder „gezwungen“) fühlt, körperliche tödliche Gewalt gegenüber einer Frau auszuüben.“ Dass die Täter häufig im familiären Umfeld zu finden sind, die ihre Tat mit einer Affäre oder dem Scheidungswunsch der Frau zu rechtfertigen versuchen, macht die Umstände rund um den Femizid besonders tragisch.
Von Gabi Knapp