Bahnbrechendes Urteil für queere Familien: Kind mit zwei Müttern bekommt Reisepass

Behörden wollten einem Kind von zwei Müttern keine Geburtsurkunde ausstellen. Der EuGH hat nun ein Urteil gefällt, das die Rechte von queeren Familien in der ganzen EU stärkt.
Demnach muss die Beziehung, die ein Kind zu den Eltern hat, in allen EU-Staaten gleichermaßen anerkannt werden. Was aber bedeutet das genau und was hat es mit den Rechten von queeren Familien zutun? Fangen wir von vorne an:
In a Nutshell:
- Was ist passiert? Ein Kind, das in Spanien geboren wurde, hat eine bulgarische und eine britische Mutter. Da das Kind zwei Mütter hat, wollten die bulgarischen Behörden dem Kind keine bulgarische Geburtsurkunde ausstellen. Ohne bulgarische Geburtsurkunde gibt es aber auch keinen Reisepass oder Personalausweis. Das bedeutet, dass es zwischen den EU-Mitgliedsländern nicht frei reisen kann. Da es auch keine spanische Staatsbürgerschaft erhält, droht dem Kind, staatenlos zu sein. Die bulgarische Mutter geht daraufhin mit ihrer Situation vor Gericht. Das Gericht wendet sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
- Was ist das Problem? Ohne Dokumente kann das Kind Spanien nicht verlassen. Auch der Zugang zu wichtigen Dingen wie Bildung und medizinischer Versorgung sind dadurch eingeschränkt. Seine Rechte sind also eingeschränkt. Und das nur, weil das Kind zwei Mütter hat und die bulgarischen Behörden dies nicht anerkennen.
- Was hat der Europäische Gerichtshof damit zu tun? Spanien und Bulgarien sind Mitglieder der EU. Der Europäische Gerichtshof hat die Aufgabe, zu kontrollieren, dass das EU-Recht in allen Staaten auf die gleiche Weise angewendet wird. Er hat nun entschieden, dass Bulgarien dem Kind einen Personalausweis oder Reisepass ausstellen muss. Es ist auch ein wichtiges Urteil für andere EU-Länder. Denn der EuGH hat entschieden, dass die von einem EU-Land anerkannte Beziehung zwischen einem Kind und seinen Eltern, auch von allen anderen EU-Ländern anerkannt werden muss.
- Wieso interessiert mich das als Österreicher:in? Das wegweisende Urteil stärkt die Rechte von gleichgeschlechtlichen Eltern in der ganzen EU. Auch Österreich ist EU-Mitglied. Das bedeutet, das EuGH-Urteil betrifft auch die Alpenrepublik. Das Abstammungsrecht von Kindern mit lesbischen Müttern ist auch hierzulande nicht komplett geklärt.
Keine Dokumente für Kind mit zwei Müttern
Eine britische Frau verliebt sich in eine bulgarische Frau. Sie heiraten und bekommen ein Kind. Die Familie lebt in Spanien. Das Kind bekommt eine spanische Geburtsurkunde ausgestellt, in der beide Frauen als Mütter eingetragen sind. Das Kind erhält aber keine spanische Staatsbürgerschaft. Weil eben eine der Mütter Bulgarin ist, ergibt sich aber nach bulgarischen Recht die bulgarische Staatsangehörigkeit für das Kind.
Weil das Kind Reisedokumente braucht, wollen die Eltern diese deswegen in Bulgarien beantragen. Für die Ausstellung eines Personalausweises oder eines Reisepasses braucht es aber eine bulgarische Geburtsurkunde. Die Behörden wollen diese aber nicht ausstellen. Die Begründung: Die öffentliche Ordnung des Landes lasse nur Geburtsurkunden zu, in denen ein Vater und eine Mutter eingetragen sind.
Zudem argumentieren die Behörden, dass man nicht wissen könne, ob die bulgarische Frau auch wirklich die leibliche Mutter des Kindes und das Kind somit überhaupt bulgarischer Abstammung sei. Die bulgarische Mutter wehrt sich bei einem zuständigen Gericht. Das Gericht ruft wiederum beim Europäischen Gerichtshof.
EuGH stärkt Rechte für gleichgeschlechtliche Paare
Der Fall wird also vor dem EuGH ausgetragen. Ein nun verkündetes Urteil hat für alle queeren Familien innerhalb der EU große Bedeutung. Die Entscheidung des EuGH: Bulgarien ist verpflichtet, dem Kind einen Personalausweis oder einen Reisepass auszustellen, ohne eine bulgarische Geburtsurkunde zu verlangen. Die spanische Geburtsurkunde muss also reichen. Das Urteil gilt für alle EU-Länder. Anerkennt ein Staat die Beziehung zwischen einem Kind und seinen Eltern, müssen das die anderen Staaten innerhalb der Europäischen Union auch tun. Die Richter:innen betonen bei dem Urteil außerdem das Recht des Kindes als EU-Bürger, sich frei innerhalb der EU bewegen zu können.
Die internationale LGBTQIA+ Organisation ILGA freut sich über das Urteil des EuGHs. Auf Twitter schreibt sie: „Wir begrüßen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Kind und seine gleichgeschlechtlichen Eltern als Familie anerkannt werden müssen.“
Das Urteil ist auch in Österreich relevant
Auch österreichische Politiker:innen begrüßen das Urteil. „Ich freue mich über das richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshof, das zur Stärkung der Rechte von Regenbogenfamilien beiträgt“, heißt es von Ewa Ernst-Dziedzic, der Sprecherin der Grünen für Außenpolitik, LGBTIQ und Menschenrechte, in einer Aussendung. Sie fügt außerdem hinzu: „Das Urteil gibt uns Anlass, auch in Österreich die rechtliche Anerkennung von Regenbogenfamilien unter die Lupe zu nehmen. In den letzten Jahren ist hier viel passiert. Was wir jetzt noch brauchen ist die Klärung von abstammungsrechtlichen Fragen bei lesbischen Paaren mit Kind.“
Seit 2019 ist die gleichgeschlechtliche Ehe in Österreich möglich. Doch einige Gesetze hinken dennoch hinterher. Die neuen Familienkonstellationen fordern etwa auch ein neues Abstammungsrecht. Wenden sich die Mütter an eine Kinderwunschklinik und werden dort behandelt, werden zwar beide in die Geburtsurkunde eingetragen. Greift das Paar aber auf einen privaten Samenspender zurück, muss die nicht schwangere Mutter ihr Kind erst mittels Stiefkindadoption adoptieren.
Wieso es in Österreich übrigens auch schwierig ist, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, lest ihr hier.