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Dein Bauch gehört mir

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Juliane Löffler

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Wer in Deutschland eine Abtreibung möchte, braucht einen schriftlichen Nachweis über ein Beratungsgespräch. Anti-Abtreibungsorganisationen versuchen, Frauen von einer Schwangerschaft zu überzeugen. BuzzFeed News hat recherchiert, wie eine der größten Organisationen Pro Femina Frauen manipuliert und gesetzliche Regelungen ignoriert.

– Redaktionelle Mitarbeit: Isabel Stettin –

Es gibt gute Gründe dafür, ein Kind zu bekommen. Und manchmal gibt es gute Gründe dagegen. Wenn eine Frau in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen möchte, muss sie sich damit auseinandersetzen: in einem verpflichtenden Beratungsgespräch.

Zwangsberatung nennen das Menschen, die für das Recht auf Abtreibung kämpfen. Vergabe von Tötungslizenzen nennen es diejenigen, die dagegen sind. Abtreibungsgegner versuchen in Deutschland zunehmend, schwangere Frauen zu beeinflussen. Eine Methode: Sie bieten selbst Beratungsgespräche an.

„Denken Sie denn auch manchmal noch darüber nach, wie das Leben mit diesem Kind aussehen könnte?“

per Email

„Vergessen Sie nicht: In den Schwierigkeiten liegt immer auch eine Möglichkeit.“

per Email

„Das Herz bleibt immer das gleiche. Es vergisst nicht. Es wird ihr Leben lang bleiben. “

Vor-Ort Beratungsgespräch in München

Eine der größten dieser Organisationen nennt sich Pro Femina – ihr Name klingt ganz ähnlich wie pro familia, einer der größte Beratungsanbieter in Deutschland. Mehr als 14.000 Frauen hat Pro Femina nach eigenen Angaben in diesem Jahr bereits beraten, den größten Teil per Email oder telefonisch. Der Jahresetat, finanziert aus Spenden, betrug zuletzt mehr als drei Millionen Euro.

Der Vorsitzende des Vereins sagt, Pro Femina sei angetreten als „kleine Truppe, die das Land verändern will“. Pro Femina betreibt Beratungsstellen in Heidelberg und München und plant derzeit, eine neue Zweigstelle in Berlin zu eröffnen.

BuzzFeed News hat mit mehr als einem Dutzend freier und kirchlicher Beratungsstellen gesprochen, mit Konfliktberaterinnen sowie zahlreichen Behörden, hat Beratungsrichtlinien analysiert, Zahlen verglichen – und war mit versteckter Kamera in einem Beratungsgespräch von Pro Femina. Diese Recherche zeigt erstmals im Detail, mit welchen Methoden Abtreibungsgegner versuchen, mit Beratungsangeboten Frauen zu manipulieren

BuzzFeed News hat Pro Femina in zehn ausführlichen Fragen gebeten, zu den Rechercheergebnissen Stellung zu nehmen. Der Vorsitzende des Vereins Kristijan Aufiero hat geantwortet, dass er nicht glaubt, dass wir mit unserer Berichterstattung ein differenziertes Bild zeichnen werden. Er schreibt auch, wir könnten unseren Beitrag jederzeit veröffentlichen. Aufiero hat für einen undefinierten, späteren Zeitpunkt eine ausführliche Stellungnahme angekündigt, die wir an dieser Stelle nachtragen werden.

Der Eingang zu einem Pro Femina Beratungszentrum
Der Eingang zu einem Pro Femina Beratungszentrum © Screenshot, BuzzFeed News

Verdeckt in einer Konfliktberatung 

Eine junge Frau steht vor der Tür eines großen Altbaugebäudes, rechts und links stehen denkmalgeschützte Häuser, die Isar ist gleich in der Nähe. Zwei Beraterinnen machen die Tür auf, sie lächeln, setzen sich in einen Kreis aus Ledersesseln, auf dem Tisch stehen Kräutertee und Kekse. Sie wollen der Frau zu einem Kind raten, das es gar nicht gibt.

Eine von ihnen sagt:

„Sie haben doch noch Zeit und da raten wir einfach, dass sie sich wirklich diese Zeit nehmen. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber diese zwölf Wochen festgelegt. Weil sich in den zwölf Wochen einfach auch viel tun kann. Da kann noch viel passieren.“

Die junge Frau ist in Wahrheit nicht hier, weil sie schwanger ist, sondern als Reporterin von BuzzFeed News. Seit Wochen recherchieren wir zu Abtreibungsgegnern. Trotz vielfacher Versuche haben wir es nicht geschafft, mit Personen in Kontakt zu kommen, die kritisch über ihre Erfahrungen mit alternativen Beratungsstellen sprechen. Aus Datenschutzgründen dürfen Beraterinnen Kontakte der Klientinnen oder Gesprächsprotokolle nicht an uns weitergeben. Positive Geschichten kann man hingegen vielfach auf der Webseite von Pro Femina nachlesen. Die Organisation gibt an, dass sich von den Frauen laut Selbstauskunft 86 Prozent nach der Beratung für eine Schwangerschaft entschieden haben. Ob dies stimmt, ist nicht überprüfbar.

Aufgrund des aktuell hohen öffentlichen Interesses am Thema Abtreibung und um herauszufinden, ob die Gespräche bei Pro Femina wirklich so manipulativ ablaufen, wie es mehrere Beraterinnen gegenüber BuzzFeed News angeben, haben wir uns entschieden, eine verdeckte Reporterin in eine Beratungsstelle von Pro Femina zu schicken.

Das Gespräch in München dauert etwa 90 Minuten. Unsere Reporterin stellt sich als Saskia vor. Die Beraterinnen sind einfühlsam, verständnisvoll, bemüht. Und sie machen Saskia immer wieder Angebote, um ein Leben mit Kind zu erleichtern. Ein Leben mit Säugling koste zunächst gar nicht viel Geld. Für die Entscheidung sei noch Zeit, betonen die Beraterinnen – mehrfach, ausführlich. Ein Abbruch sei dagegen nicht wieder rückgängig zu machen.

Die Beraterinnen sind nur etwas älter als Saskia, sie sind freundlich, ergänzen ihre Sätze gegenseitig. Doch auf Zweifel und Ängste gehen sie nicht ein. Auch konkrete Hinweise darüber, wie ein Schwangerschaftsabbruch abläuft, geben sie nicht.

Die Beraterinnen von Pro Femina bieten unserer Reporterin eine regelmäßige Zahlung zur Unterstützung an, sofern sie sich dafür entscheidet, ihr Kind zu behalten und ihr Einkommen dafür nicht reicht. Mehr als 100 Euro pro Monat seien möglich. Als unsere Reporterin fragt, wo sie sich genauer zum Thema Abtreibung informieren könne, sagen die Beraterinnen, sie solle googeln oder sich im Forum von Pro Femina umschauen.

In diesem Forum finden sich fast ausschließlich negative Kritiken über andere Beratungsstellen wie pro familia und teils verstörende Berichte über Schwangerschaftsabbrüche. Nachprüfbar sind diese anonymen Berichte nicht.

Ein zweites Gespräch unserer Reporterin mit einer Beratungsstelle von Pro Femina in Heidelberg verläuft ähnlich. Diesmal findet das Gespräch telefonisch statt. Die Beraterin fragt nach dem Namen, dem Wohnort, dem Beruf. Unsere Reporterin sagt, sie sei in der elften Schwangerschaftswoche und hätte sich bereits für einen Abbruch entschieden. Sie sei zu jung, habe keinen Partner, keinerlei finanzielle Absicherung, verspüre keinen Kinderwunsch. Die Beraterin sagt, sie solle sich Zeit nehmen und gut überlegen, schauen, was ihre Ängste seien. Sie betont mehrfach, dass eine Abtreibung „Spuren hinterlassen kann“ und eine „seelische Belastung“ sein könne.

Es fallen Sätze wie:

„Trotzdem ist es ja sicher so, dass Sie keine Abtreibung wollen.“

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich durcheinander fühlen.“

„Es ist dann einfach nichts mehr so wie davor.“

Die Beraterin rät, zu überlegen, welche Talente und besonderen Fähigkeiten ihr helfen könnten, nicht abzutreiben. Ob die Reporterin sich schon nach staatlicher Unterstützung erkundigt habe?

Das Gespräch dauert knapp 50 Minuten. Obwohl unsere Reporterin sich bereits zu Beginn des Gespräches ganz explizit nach Möglichkeiten für eine Abtreibung erkundigt, erhält sie in dem Gespräch keine Informationen dazu. Nach etwa dreißig Minuten sagt die Beraterin, dass sie für einen Beratungsschein zu einer anderen Beratungsstelle müsse. Da könne sie jedoch keine empfehlen, die Reporterin solle im Internet schauen. „Ich würde uns empfehlen“, fügt die Beraterin hinzu und lacht.

Obwohl sie keinen Beratungsnachweis ausstellen kann und die Reporterin angeblich schon in der elften Schwangerschaftswoche ist und somit kaum noch Zeit für einen Abbruch bleibt, bietet die Beraterin einen weiteren, persönlichen Termin an. Das solle der Reporterin helfen, eine gute Entscheidung zu treffen – egal wie diese aussehe.

Pro Femina bemüht sich um gute Google-Suchergebnisse

Etwa 100.000 Frauen lassen jährlich in Deutschland eine Abtreibung vornehmen. Sie alle waren vorher in einem Beratungsgespräch und haben dort einen schriftlichen Nachweis erhalten – andernfalls machen sie sich strafbar, so schreibt es der Paragraf 218 fest.

Anti-Abtreibungsorganisationen wie Pro Femina sagen, man müsse „Schwangeren in Not“ mit einer Beratung helfen, damit sie sich für die Schwangerschaft entscheiden können. Deshalb bieten sie eigene Beratungsangebote an, die nur schwer von staatlich beauftragten Stellen zu unterscheiden sind. Dass man bei Pro Femina keinen Beratungsschein erhalten kann, ist auf der Webseite kaum zu finden und nur auf einzelnen Unterseiten oder etwa in einem Jahresbericht vermerkt. Auch auf der Webseite von 1000plus, einer Art Marketingkampagne des Vereins, ist die Info nur schwer ersichtlich.

Bei Online-Suchanfragen zum Thema Abtreibung ist Pro Femina gut platziert, teilweise ist die Organisation prominenter zu finden als pro familia. Durch permanente Optimierung sei es wieder gelungen, bei Suchanfragen von Frauen im Schwangerschaftskonflikt bei Google in den oberen Ergebnisplätzen zu landen, steht im Geschäftsbericht von 2014, der BuzzFeed News in Auszügen vorliegt.

„Die Methode ist natürlich letzten Endes Manipulation“, sagt Eva Zattler, Beraterin bei pro familia in München. Sie berichtet BuzzFeed News am Telefon, dass Klientinnen von ihr zuvor bei Pro Femina in der Beratung gewesen seien, weil sie geglaubt hatten, es handele sich um eine staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatung.

Zwei Beraterinnen hätten versucht, ihre Klientin zu überreden, dass sie die Schwangerschaft fortsetze, berichtet sie über einen Fall aus dem vergangenen Winter. „Die Frau war sehr erschüttert, weil sie sich sehr unter Druck gefühlt hat und gedacht hat, sie müsse das aushalten, um hinterher die Beratungsbescheinigung zu bekommen“, sagt Zattler. Erst auf Nachfrage habe die Klientin erfahren, dass sie keinen Nachweis erhalten könne. Die Frau habe deshalb Zeit verloren und sei erst relativ spät, in der zehnten Schwangerschaftswoche, zu pro familia gekommen.

„Unter Umständen wird damit die Möglichkeit verhindert, rechtzeitig einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.“

Andrea Dondelinger, Geschäftsführerin des Internationalen Frauen- und Familienzentrums Heidelberg e.V.

Einen anderen Fall aus diesem Jahr schildert Andrea Dondelinger, Geschäftsführerin des Internationalen Frauen- und Familienzentrums Heidelberg e.V. Ein Paar habe berichtet, dass es direkt von einem Arzt zu Pro Femina geschickt worden sei. Erst im zweiten Beratungsgespräch sei dem Paar mitgeteilt worden, dass es dort keinen Beratungsschein erhalten könne.

„Im Zweifelsfall zählt jeder Tag“, sagt Dondelinger. „Aus unserer Sicht ist die Arbeit sehr kritisch zu bewerten, weil damit unter Umständen die Möglichkeit verhindert wird, rechtzeitig einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.“

Auch unsere verdeckte Reporterin erhält einen persönlichen Termin bei Pro Femina in München, nachdem sie zuvor telefonisch und per Email kommuniziert hatte, dass sie einen Abbruch in Erwägung zieht. Dass sie bei Pro Femina keinen Beratungsschein erhalten kann, erfährt sie erst nach etwa 20 Minuten im Gespräch.

Zahlreiche weitere Beraterinnen aus staatliche Beratungseinrichtungen bestätigen diese Methode.

„Unter Umständen wird damit die Möglichkeit verhindert, rechtzeitig einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.“ In einer ersten Reaktion auf unsere Rechercheergebnisse schreibt der Vorsitzende Kristijan Aufiero per Email, er bedanke sich für die Email. Eine Stellungnahme sei angesichts des Umfangs und der Tragweite der Behauptungen nicht bis zu dem von uns geforderten Termin möglich, Pro Femina werde jedoch noch ausführlich und transparent Stellung nehmen. Die Antworten werden wir hier nachtragen.

Die Webseite von Pro Femina/ 1000 plus
Die Webseite von Pro Femina/ 1000 plus © Screenshot, BuzzFeed News

BuzzFeed News hat 15 staatliche und kirchliche Beratungseinrichtungen in München und Heidelberg befragt. Acht dieser Beratungsstellen haben Frauen beraten, die zuvor bei Pro Femina waren. Sie nennen die Beratung „manipulativ“oder „nicht ergebnisoffen“.

Sieben von 38 staatlich anerkannte Bayerischen Beratungsstellen bestätigen nach Informationen von BuzzFeed News, dass sie von Klientinnen wissen, die irrtümlicherweise in der Beratung einer Anti-Abtreibungsinitiative waren, weil sie davon ausgingen, dass sie dort gegebenenfalls einen Beratungsschein erhalten könnten.

Das Bayerische Sozialministerium schreibt auf Anfrage von BuzzFeed News, in letzter Zeit häuften sich Rückmeldungen von Beratungstellen über Konfliktberatungen, denen eine Beratung bei Pro Femina vorausgegangen war. „Den Berichten zufolge waren diese Beratungen nicht ergebnisoffen.“

Eine Beraterin einer staatlichen Stelle aus München sagt, sie hätte immer wieder Frauen bei sich, die von Pro Femina moralisch unter Druck gesetzt wurden, um sich gegen einen Abbruch zu entscheiden.

Wie sie wollen viele weitere Beraterinnen in Gesprächen mit BuzzFeed News anonym bleiben, weil sie glauben, dass sie sich und ihre Organisationen vor den Abtreibungsgegnern schützen müssen.

Keine Behörde fühlt sich zuständig

Die Beratung von Pro Femina ist nicht illegal. In ganz Deutschland gibt es hunderte Beratungsstellen mit unterschiedlichen Weltanschauungen. Diakonie und Caritas bieten Beratungen an, pro familia, Gesundheitsämter, Frauenvereine.

Sie alle müssen sich an klare Beratungsstandards halten, festgeschrieben in einem Gesetz. „Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“, steht darin. Doch darin steht auch: Die Beratung muss ergebnisoffen geführt werden, soll nicht belehren oder bevormunden.

Jedes Bundesland überprüft die beauftragten Beratungsstellen regelmäßig. Pro Femina und andere Anti-Abtreibungsvereine müssen sich jedoch nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten, weil sie keine Beratungsscheine ausstellen dürfen – und es auch gar nicht wollen. „Ich habe nie versucht, Pro Femina e.V. als staatliche Beratungsstelle anerkennen zu lassen und wir planen dies auch nicht für die Zukunft“, schreibt Kristijan Aufiero auf Anfrage von Buzzfeed News. In einem Interview nennt er die Beratungsnachweise „Tötungslizenzen“.

Gleichzeitig gibt Aufiero auf Anfrage von BuzzFeed News an, dass ihm staatliche Beratungsleitfäden nicht bekannt seien. Selbstverständlich halte man sich an Recht und Gesetz der Bundesrepublik. Die Arbeit von Pro Femina orientiere sich an einem Beratungskonzept, das „auf jahrelanger Erfahrung aus der Beratung“ aufgebaut sei.

Sprich: Der Verein arbeitet nach eigenen Regeln.

Für die Kontrolle solcher alternativen Beratungen wie von Pro Femina fühlt sich niemand zuständig.

Das Referat für Gesundheit und Umwelt in München verweist an das Bayerische Sozialministerium. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kann sich inhaltlich nicht zu Pro Femina äußern – rechtliche Fragen müsse man an das Bundesfamilienministerium stellen.

Das Bundesfamilienministerium teilt per Email mit, die Zuständigkeit für Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen liege beim jeweiligen Bundesland. Das müsse sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, auch eine ergebnisoffene Beratung. Das Bayerische Sozialministerium hingegen antwortet auf eine schriftliche Anfrage, da Pro Femina keine staatliche Beratungsstelle sei, könne sich der Verein auf die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und Religionsfreiheit berufen.

Pro Femina gibt an, den eigenen Beraterinnen Aus- und Fortbildungen wie etwa systemische Beratung oder Therapie zu finanzieren. Regelmäßige, staatliche Qualitätskontrollen – so wie es die Bundesländer bei anderen Beratungsstellen machen – durchläuft das Beratungsangebot des Vereins nicht.

Andere Christen kritisieren das Vorgehen

Selbst katholische Beratungsstellen äußern sich gegenüber BuzzFeed News am Telefon kritisch über Pro Femina. „Man muss es den Frauen nicht schwerer machen, als es eh schon ist“, sagt Marina Macke, Leiterin des Sozialdienstes Katholischer Frauen aus München. Sie wollten sich klar von Pro Femina abgrenzen.

Katholischen Beratungsstellen wie die von Macke stellen zwar aus Überzeugung keine Nachweise aus – genau wie Pro Femina. Anders als der Verein halten sie sich jedoch an das Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz und die Beratungsstandards und werden staatlich gefördert.

Sobald eine Frau sage, dass sie über eine Abtreibung nachdenke, werde ihr mitgeteilt, dass sie keinen Nachweis erhalten kann, erklären mehrere Beraterinnen dieser Einrichtungen BuzzFeed News. Deshalb beraten sie nur wenige Frauen im Konflikt. „Weil wir den Nachweis nicht ausstellen können, kommen viele gar nicht erst“, sagt Macke. In solchen Fällen verweise sie die Frauen an andere Stellen wie pro familia.

Eigene Standards, eigene Regeln

Im Gegensatz zu anderen Beratungsstellen berät Pro Femina ihre Klientinnen – auch unsere verdeckte Reporterin – mit zwei Beraterinnen. Mehrere Beraterinnen staatlicher Einrichtungen bestätigen gegenüber BuzzFeed News am Telefon, dass Klientinnen ihnen von diesem Vorgehen erzählt hätten. Kersten Mechthold, die stellvertretende Geschäftsführerin von pro familia Frankfurt, bezeichnet das als „atmosphärisch kontraproduktiv“ und sehr ungewöhnlich. „Das hat schon ein bisschen was von Kreuzverhör.“

Auch die sogenannte Nachberatung ist gesetzlich sehr genau geregelt. Mechthold erklärt, dass Frauen mehrfach zu einer Beratung kommen könnten, wenn ein Termin nicht ausreiche. Dieser weitere Kontakt müsse jedoch in einem Gespräch klar vereinbart werden. Andernfalls handele es sich um eine Form von „verfolgenden Sozialarbeitern“.

Unsere verdeckte Reporterin hat eine solche Nachberatung mit Pro Femina nicht vereinbart. Trotzdem kontaktieren die Beraterinnen sie nach dem Termin immer wieder. Die Beraterinnen betonen, dass sie immer da seien – solange unsere Reporterin wolle.

„Gerade denken wir wieder an Sie und fragen uns, wie es Ihnen wohl geht?“, heißt es in einer Email wenige Tage nach dem Gespräch in München.

„Vergessen Sie nicht: In den Schwierigkeiten liegt immer auch eine Möglichkeit. Vertrauen Sie auf Ihre Stärken, die wir in dem Gespräch so deutlich spüren konnten, und haben Sie den Mut, den Blick in alle Richtungen zu öffnen“, schreiben sie in einer anderen. Über Wochen erhält unsere Reporterin immer wieder ungefragt Emails von Pro Femina.

Pro Femina argumentiert zudem mit fragwürdigen medizinischen Fakten. Für den Verein arbeiten auch Psychologinnen und Ärztinnen. Auf eine schriftliche Nachfrage unserer Reporterin nach den medizinischen Folgen einer Abtreibung erhält sie eine ausführliche Email. Viele der darin beschriebenen Methoden und Folgen sind fachlich korrekt.

„Gerade denken wir wieder an Sie und fragen uns, wie es Ihnen wohl geht?“

per Email

Doch es heißt darin auch: „Es gibt Schätzungen, dass nur 20 Prozent der Frauen nach einer Abtreibung seelisch gar keine Beschwerden entwickeln.“ Etwa 20 Prozent der Frauen litten dagegen unter stärkeren Beschwerden.

Beziehungsstörungen.

Depressionen.

Angsterkrankungen.

Schuldgefühle.

Suchterkrankungen.

Im Informationsmaterial der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung steht hingegen: „Wissenschaftliche Studien kommen zu dem Schluss, dass ein Abbruch allein das Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen nicht erhöht.“ Frauen, die medizinisch und seelisch gut behandelt und betreut werden, hätten nach einer Abtreibung nicht häufiger psychische Probleme als Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft austragen.“

„Diese Schätzungen über die seelischen Folgen sind aus der Luft gegriffen“, sagt der Arzt Friedrich Stapf in einem Telefongespräch mit BuzzFeed News. Stapf leitet in München die größte Abtreibungsklinik Deutschlands.

„Die Vorzüge eines Lebens mit Kind herauszustellen, dies auch emotional zu begründen, ist legitim“, sagt die Leiterin des Internationalen Frauen- und Familienzentrums, Andrea Dondelinger. „Aber es kommt immer drauf an, dass auch die andere Seite der Möglichkeiten Platz hat.“

Pro Feminas Verbindungen zu anderen AntiAbtreibungsorganisationen

In Deutschland gibt es rund 60 dieser Anti-Abtreibungsorganisationen. Das schreibt Eike Sanders vom Archiv apabiz auf Anfrage von BuzzFeed News. Etwa die Hälfte bieten Sanders zufolge Beratungsleistungen an.

Es sind Webseiten mit Namen wie abtreibung24.de oder abtreibung.de, die über Suchmaschinen leicht zu finden sind. Auch für die Organisation Pro Femina ist die Webseite zentraler Punkt für die Ansprache von Frauen. Zuletzt hatte die Webseite von Pro Femina nach eigenen Angaben gut 70.000 Besuche pro Monat. Andere Services wie Vita-L bieten kostenlose Telefonhotlines an. Vita-L arbeitet mit Alfa „Aktion Lebensrecht für Alle“ zusammen, einem Verein mit mehr als 11.000 Mitgliedern. Auch die Lebensrechtsbewegung Kaleb verlinkt auf die Hotline.

Weitere Webseiten mit Angeboten für Konfliktberatungen für schwangere Frauen warnen vor PAS, dem sogenannten Post Abortion Syndrom – eine gängige Formel, mit der Abtreibungsgegner vor psychischen Folgen warnen, die laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aber wissenschaftlich nicht belegt ist.

Pro Femina arbeitet anders, moderater, mit weniger drastischen Worten und Bildern. Holocaustvergleiche etwa gibt es auf der Webseite nicht. Der Vorsitzende von Pro Femina, Kristijan Aufiero, sagt im Telefonat mit BuzzFeed News, er wolle mit „aggressiven Lebensschützern“, die „schreckliche Fotos“ hoch hielten, nichts zu tun haben. Doch unsere Recherchen zeigen enge Verbindungen von Aufiero in die Anti-Abtreibungsszene.

So hat sich Aufiero zuletzt mit Wolfgang Hering getroffen, der gerne mit Aufiero zusammenarbeiten würde. Hering ist Vorsitzender der Anti-Abtreibungsorganisation „Euro Pro Life“ in Deutschland.

Spenden erhielt Pro Femina laut Stiftungsbriefen in der Vergangenheit mehrfach von der Stiftung „Ja zum Leben“, einem wichtigen Geldgeber aus der Anti-Abtreibungsszene. Laut Vereinssatzung von Pro Femina geht das Vermögen von Pro Femina an die Stiftung „Ja zum Leben“, sollte sich Pro Femina auflösen.

„Sind Sie für oder gegen Abtreibung, können Sie mir das mit einem Wort sagen?“

Sonja Dengler, Vorsitzende des Vereins Tiqua e.V

In München fand vor wenigen Wochen zudem eine Mahnwache der Organisation „40 days for life“ statt. Aktivisten, die dort beteten, trugen einen laminierten Flyer bei sich, auf dem die Adresse von Pro Femina stand. Dort würden sie die Frauen nach Möglichkeit direkt hinschicken, sagte eine der beteiligten Personen gegenüber BuzzFeed News.

Ein weiterer Kontakt aus der Szene ist Sonja Dengler. Sie ist Vorsitzende des Vereins Tiqua e.V. „Sind Sie für oder gegen Abtreibung, können Sie mir das mit einem Wort sagen?“ Auf der Webseite des Vereins wird die „millionenfache Tötung ungeborener Kinder“ angeprangert. Der Verein schreibt von „Gender-Wahnsinn“, auf abtreibungsausstieg.org bewirbt Tiqua eine Art Aussteigercoaching für Ärzte und medizinisches Personal, um „freie Menschen“ zu werden.

Als wir Dengler anrufen, sagt sie: „Sind Sie für oder gegen Abtreibung, können Sie mir das mit einem Wort sagen?“

Die Reporterin beginnt eine Erklärung, „Das kann ich Ihnen nicht in einem Satz sagen, denn …“ Dengler unterbricht. „Dann möchte ich das Gespräch mit Ihnen jetzt beenden, keine Zeitvergeudung, auf Wiedersehen.“ Und legt auf.

Einige Tage später schreibt sie eine Email, in der sie nicht auf die Fragen von BuzzFeed News über den Verein eingeht. Stattdessen schreibt sie der Reporterin: „Ich wünsche Ihnen beim Schreiben Ihres Artikels, dass Sie bedenken: Ihre Mutter hat Sie nicht abgetrieben.“

Die Webseite von Tiqua e.V.
Die Webseite von Tiqua e.V. © Screenshot, BuzzFeed News

Dengler gründete 1986 den Verein die BIRKE e.V., der in der rechten Publikation Junge Freiheit als „Pionier“ in der Schwangerenberatung bezeichnet wird. 2002 fordert der Verein einem Medienbericht zufolge Beraterinnen mit einem Faltblatt dazu auf, ihre Unterschriften auf Beratungsscheinen zu verweigern, weil es es sich um die Beihilfe zu einer rechtswidrigen Tat handele.

Knapp zehn Jahre später wird der Verein Pro Femina e.V. gegründet. Dengler ist Gründungsmitglied, eine Zusammenarbeit mit Birke e.V. ist in der Satzung festgeschrieben. Seit 2009 ist Kristijan Aufiero erster Vorsitzender von die Birke, seit 2011 auch bei Pro Femina.

2009 und 2012 besucht Aufiero einen Messestand der rechten Publikation Junge Freiheit, um als Experte über Abtreibung zu sprechen, schreibt mehrfach Gastbeiträge für die Zeitung.

2016 trifft Aufiero den Papst, der ihn für die „wunderschöne Arbeit“ lobt. Aufiero übergibt ihm ein Babyfläschchen als Teil einer Spendenaktion, die auch von dem Babynahrungshersteller Hipp unterstützt wird.

Heute beschäftigt Pro Femina 64 Personen in Teil- und Vollzeit. 37 Personen sind für die Schwangerschaftskonfliktberatung zuständig, schreibt der Verein auf Anfrage von BuzzFeed News. Aufiero zufolge ist all das finanziert aus Spenden.

Kritik aus der Kirche

Verschiedene katholische Bistümer unterstützten das Projekt. Andere Bistümer verbieten seit 2014 ihren Kirchen, Spenden für das Projekt von Pro Femina zu sammeln. Sie argumentieren, es gebe bereits genügend christliche Beratungsstellen, werfen dem Verein Nähe zur Pius Bruderschaft oder intransparente Finanzen vor. Das geht aus Briefen und Emails hervor, welche Pro Femina selbst veröffentlicht hat, begleitet von zwei Stellungnahmen. Darin schreibt Pro Femina, die Vorwürfe gegen die Beratung und gegen die Informationsarbeit von 1000plus seien falsch und unbewiesen, die Argumentation sei teilweise irreführend dargestellt.

Besonders schwere Vorwürfe erhebt Irene Kriegl, die Leiterin einer katholischen Beratungsstelle aus Passau. Sie warnte 2010 in einem Brief vor finanzieller Unterstützung durch Kirchen an Pro Femina. Ungewollt schwangere Frauen würden von den Beratern „massiv unter Druck gesetzt, bedroht und nachhaltig verfolgt“, ihnen seien etwa Bilder abgetriebener Föten gezeigt worden. Auch Beraterinnen von katholischen Beratungsstellen seien von Beraterinnen von Pro Femina privat per Telefon und „mit Hassbriefen belästigt und genötigt“ worden.

Zu den Vorwürfen von Frau Kriegl schreibt Pro Femina: „Wir wissen bis heute nicht, auf welcher Basis Frau Kriegl zu ihren Urteilen gelangt ist und wir wissen auch nicht, auf welche Quellen sie sich dabei gestützt hat.“ Rechtliche Schritte leitete der Verein nicht ein.

Als BuzzFeed News am 13. November zur Vorbereitung auf diesen Beitrag mehrere Fragen an Aufiero schickt, veröffentlicht dieser drei Tage später Fragen und Antworten auf der Webseite von 1000plus mit der Überschrift „Aufiero stellt sich den Fragen einer erklärten Feministin“. Parallel mit den Antworten auf die Anfrage von BuzzFeed News veröffentlicht Pro Femina einen 40-seitigen Beratungsleitfaden auf der Webseite. „Eine Abtreibung stellt sich aber in der Regel als eine Kapitulation oder Niederlage dar“, steht darin.

Zum Abschluss unserer Recherche schreibt unsere verdeckte Reporterin Saskia den beiden Beraterinnen aus München eine Email: Sie habe sich doch für eine Abtreibung entschieden.

Am darauffolgenden Werktag erhält sie eine Antwort. Betreffzeile: Herz und Kopf. Die Nachricht ist lang, die Beraterin bedankt sich für das Vertrauen, schreibt über Gefühle. „Angst ist ein fieser Mitspieler, der nur darauf lauert, dass wir kapitulieren“, steht in der Nachricht. „Mit etwas Geduld und Zeit [...] lösen sich die Probleme von selbst.“

„Vor was haben Sie Angst, Saskia?“

Der letzte Teil ist in gefetteten Buchstaben geschrieben. Es ist ein Appell. Wenn sich auf dem Weg zum Arzt Saskias Herz melden sollte, „dann kehren Sie um“. Wenn sie im Wartezimmer sei, und ein Nein vernehme, auch wenn es noch so leise sei, „dann gehen Sie“. Und auch im Behandlungsraum bleibe sie frei, in jedem Moment „die Praxis zu verlassen.“

Die Nachricht endet mit dem Satz: „Haben Sie keine Angst, Ihrem schönen Herzen zu folgen.“

Hier findest Du alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschland. Mehr Recherchen von BuzzFeed News Deutschland findest Du auch in unserem Podcast, auf Facebook und Twitter oder im RSSFeed. Mehr Informationen über unsere Reporterinnen und Reporter, unsere Sicht auf den Journalismus und sämtliche Kontaktdaten – auch anonym und sicher – findest du auf dieser Seite.

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