„40 Grad werden zur Regel“: Deutschland stehen extreme Hitze-Sommer bevor

Die Hitzewelle des Sommers 2022 ist nur ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Forschende warnen: Extremtemperaturen werden Normalität.
Der Sommer 2022 hat europaweit neue Hitzerekorde gebracht, in Großbritannien hatte die Hitze katastrophale Ausmaße. Neue Prognosen untermauern nun: Solche Extremtemperaturen werden zur neuen Normalität in Europa. Während die Klimamodelle hinsichtlich der zukünftigen Niederschlagsmengen vergleichsweise unsicher sind, sind sich Klimaforscher über die künftigen Tendenzen bei Temperatur und Hitze einig. „Bei Hitze ist klar, dass es so weitergeht wie in den letzten Jahren“, zitiert die Deutsche Presse-Agentur (dpa) Jakob Zscheischler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.
In allen Klimamodellen werde es wärmer, in manchen gar extrem heiß, sagt auch Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „40 Grad in Deutschland werden zur Regel.“ Extreme Sommertemperaturen wie in diesem Jahr werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts zum Normalfall, „wenn wir in den kommenden Jahren nicht massiv gegensteuern“, betont Hoffmann. Das geht auch aus Zahlen hervor, die ein Expertennetzwerk des Bundesverkehrsministeriums unter anderem mit Fachleuten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) berechnet hat.
Hitze-Wellen: Durch den Klimawandel werden die Sommer zukünftig heißer
Erst jüngst hat eine Studie ergeben, dass junge Menschen der Gen Z den Klimawandel mehr fürchten, als den Ukraine-Krieg oder die Coronapandemie. Die neuen Temperaturmodelle, deren Ergebnisse noch die Gen Z selbst und deren Kinder und Kindeskinder betreffen, untermauern diese Befürchtung: Demnach könnte die Durchschnittstemperatur in den Sommermonaten in Deutschland im Zeitraum 2071 bis 2100 um drei bis fünf Grad höher sein als im Vergleichszeitraum 1971 bis 2000. Tageshöchsttemperaturen von über 45 Grad wären in diesem Szenario mindestens so häufig, wie bereits heute die 40-Grad-Marke überschritten wird.
Noch anschaulicher wird die prognostizierte Entwicklung, wenn man die berechnete Zahl der Tage mit hohen bzw. extremen Temperaturen in den Blick nimmt: Die Zahl der heißen Tage mit 30 Grad und mehr könnte demnach im deutschlandweiten Mittel in einer Spanne von 9,4 bis 23,0 pro Jahr liegen. Im Vergleichszeitraum 1971 bis 2000 gab es hingegen nur 4,6 solcher Tage im bundesweiten Durchschnitt. Die Zahl der Sommertage mit Höchsttemperaturen ab 25 Grad könnte sogar auf 39,5 bis 63,8 steigen (Vergleichszeitraum: 29,0). Bei Tropennächten mit Temperaturen von mindestens 20 Grad, sind 0,8 bis 7,8 im Jahr möglich. (Vergleichszeitraum: 0,1)
Langfristig angelegte Klimamodelle haben immer eine gewisse Spannbreite und bewegen sich innerhalb zweier extremer Szenarien: dem sogenannten Emissionsszenario RCP8.5 (wenn in Sachen Klimaschutz alles weiter wie bisher läuft) und dem Emissionsszenario RCP2.6 (wenn die weltweiten Klimaziele konsequent umgesetzt werden). Die aktuellen Zahlen deuten laut Andreas Becker, Leiter der DWD-Abteilung Klimaüberwachung, deutlich darauf hin, dass sich Deutschland und die Welt derzeit noch auf dem Pfad des schlechtesten Szenarios bewegen (RCP8.5). Der Klimawandel hat auch indirekte Auswirkungen und könnte die Ausbreitung exotischer Krankheiten und sogar die Rückkehr der Malaria begünstigen.
Hitze: Scheitert der Klimaschutz, hat das „dramatische Folgen, die nicht absehbar sind“
Dennoch sei es wichtig, die anderen Szenarien zu betrachten. „Auch wenn wir heute erst anfangen mit Klimaschutz, können wir noch Einfluss nehmen“, erklärt Becker. „Jedes Zehntelgrad zählt.“ Es gehe dabei auch darum, Generationenkonflikte zu vermeiden. Für die Jahrgänge vieler heutiger Entscheider:innen werde bis zum Ende ihrer Lebenserwartung um 2050 je nach Klimaschutzbemühungen eine Erwärmung von 1,1 bis 1,4 Grad vorausgesagt (im Vergleich zu 1971 bis 2000). „Das sind 0,3 Grad Unterschied. Auch die machen schon viel aus“, so Becker laut dpa.
Bis 2100 könnten es je nach Klimaschutzmaßnahmen aber 1,1 bis zu 3,8 Grad mehr sein. Damit mache der Unterschied zwischen einem gelingenden und einem scheiternden Klimaschutz für die Kinder und Kindeskinder der heutigen Entscheider:innen 2,7 Grad aus. Ein Scheitern des Klimaschutzes habe „dramatische Folgen, die teilweise noch gar nicht absehbar sind“, sagt Becker. Eine nachträgliche Anpassung an eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um 3,8 Grad würde „bei weitem die Kosten eines jetzigen ambitionierten Klimaschutzes übersteigen und sogar grundsätzlich an Grenzen der Machbarkeit stoßen.“
Das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, die weltweite Erderwärmung verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter auf 1,5 Grad zu begrenzen, gilt bereits jetzt als gescheitert: „Dieses Ziel werden wir nicht mehr packen. Punkt“, sagt der Wetterexperte der ARD Sven Plöger.
Hitzewellen können zukünftig „richtig gefährlich werden“
Das Augenmerk darf dabei nicht ausschließlich auf die Durchschnittswerte gerichtet werden. „Es sind dann am Ende nicht die Veränderungen der Monatsmittelwerte oder der mittleren Anzahl von Hitzetagen, sondern Hitzewellen von extremer Intensität, Andauer und Ausdehnung, welche die größten Schäden anrichten werden“, zitiert die dpa den Klimaforscher Andreas Fink vom Karlsruher Institut für Technologie. Er arbeitet mit Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des Verbundes ClimXtreme an Ansätzen für eine bessere Vorbereitung auf Extreme und zur Frage, wie man sehr extreme Hitzewellen besser vorhersagen kann.
Und solche Hitzewellen „können richtig gefährlich werden“, mahnt Peter Hoffmann an. „40 Grad über mehrere Tage sind für unsere gewohnten Bedingungen zu viel.“ In der Natur sehe man die Folgen heißer, trockener Sommer bereits. Lang anhaltende Hitzeperioden seien nicht nur eine Gefahr für die Gesundheit der Menschen, warnt Hoffmann. Sie beeinträchtigten auch die wirtschaftliche Produktivität eines Landes, denn „Hitzewellen müssen nicht immer auf Ferien fallen.“