Aktivist der Letzten Generation erzählt von seiner Haft – „war ein Schock“

Der Klima-Aktivist Vincent Schäfer saß 15 Tage in Präventivhaft. Er erzählt, wie es ihm dort erging und warum er das Vertrauen in den Staat verloren hat.
Wenn Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation sich auf der Straße festkleben, bleibt das nicht immer ohne Konsequenzen. Es gab bereits eine Razzia bei der Letzten Generation, sowie Geldstrafen. Bayern ging noch einen Schritt weiter und schickte Klima-Aktivist:innen in Präventivhaft. Das bedeutet jemanden vorbeugend zu verhaften, um zu verhindern, dass die Person in Zukunft eine Straftat begeht und damit drohende Gefahren abzuwehren.
Vincent Schäfer gehört zu den Klima-Aktivisten, die im Dezember verhaftet wurden. „Ich habe mich innerlich schon darauf eingestellt. Aber als der Richter die Präventivhaft bestätigte, war das ein Schock“, erzählt er gegenüber BuzzFeed News DE.
Über Weihnachten saß der Klima-Aktivist „ganz alleine“ in einer Zelle
15 Tage musste Schäfer insgesamt in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in Bayern absitzen – vom 21. Dezember 2022 bis zum 5. Januar 2023. Am härtesten traf den Klima-Aktivisten, der Philosophie studiert, dass er über Weihnachten in Haft saß. „Die Zeit hätte ich eigentlich mit meiner Familie verbracht, so wie die meisten Menschen in Deutschland. In der Zelle war ich ganz alleine.“
Bis zum 27. Dezember habe er aufgrund von Quarantäne-Regeln keine Mithäftlinge treffen dürfen. Auch Briefe konnte er aufgrund der Feiertage bis dahin nicht empfangen. „Ich habe mich alleingelassen gefühlt.“ Später erhielten er und die anderen inhaftierten Klima-Aktivist:innen dann ihre Briefe. Bis zu 300 Stück sollen es nach Aussagen von Schäfer gewesen sein. Die meisten davon von Fremden. „Die Briefe haben mich aufgeheitert. Mir haben Personen geschrieben, die uns Kraft wünschten oder uns bewundern.“
Gewalt gegen die Letzte Generation – „Ich bin vollkommen wehrlos“
Mitte Dezember klebte sich Schäfer das erste Mal für die Letzte Generation fest. Zusammen mit weiteren Blockaden in dem Zeitraum sollte das später der Grund für seine Verhaftung sein. Was ist das für ein Gefühl, mitten auf der Straße zwischen den Autos zu sitzen? „Ich bin sehr aufgeregt. Besonders in den ersten fünf Minuten, weil ich nicht weiß, was die Autofahrer:innen machen werden. Ich bin in diesen Minuten vollkommen wehrlos“, sagt Schäfer gegenüber BuzzFeed News DE.
Ein Moment ist Schäfer besonders in Erinnerung geblieben: „Ein aggressiver Autofahrer hat die Banner weggerissen und die Leute einzeln angepackt und weggezogen. Das ist unangenehm und kann wehtun.“ Eine Klima-Aktivistin habe er zum Beispiel in eine Pfütze gezerrt. An dem Tag seien es null Grad gewesen. Später seien die Klima-Aktivist:innen auf die Polizeiwache gebracht worden. „Sie hat die ganze Zeit gefroren, weil all ihre Kleider durchnässt waren.“
Zudem habe der Mann einen Fotografen bedroht, den die Letzte Generation als Unterstützung dabei hatte. „Seine Sorge war, dass der Fotograf seine Aggressionen aufzeichnet. Er wollte ihn schlagen, aber dann sind zum Glück Leute dazwischen gegangen.“
Solche Erlebnisse gehen nicht einfach so an Schäfer vorbei. „Am meisten Angst habe ich neben den Folgen der ungebremsten Klimakatastrophe vor der direkten Gewalt, die von Autofahrer:innen während unserer Blockaden ausgeht. Das hält mich aber nicht davon ab, weiterzumachen.“ Während die Letzte Generation an der Methode festhält, kleben sich britische Klima-Aktivist:innen nicht mehr fest.
Autofahrer:innen beschimpfen den Klimaaktivisten als „Terroristen“
Bisher sei gegen Schäfer persönlich bei Blockaden der Letzten Generation noch niemand handgreiflich geworden. Ständig erlebt habe er jedoch verbale Angriffe. „Ich wurde von Autofahrer:innen und Passant:innen, die hinter mir über die Straße gingen, beleidigt und beschimpft.“ Es seien Sätze gefallen wie „Da muss man sich nicht wundern, wenn ein Autofahrer mal drüberfährt!“ oder „Kann man diesem Terroristen die Hände nicht einfach von der Straße reißen“.
Die Medienethikerin Claudia Paganini hält Bezeichnungen wie „Klimaterrorist“, das zum Unwort des Jahres 2022 wurde, für herabwürdigend. Das Wort Terrorist:in – also eine extrem gefährliche Person für die Allgemeinheit – sei der völlig falsche Begriff, um Klima-Aktivist:innen zu beschreiben. „Man kann sich kaum friedlicher positionieren, als am Boden vor Autos zu sitzen. Die einzigen, die gefährdet sind, sind die Aktivist:innen selbst.“
Aber sind Aktivist:innen immer nur friedlich? Oft unterstellt man ihnen einen gewissen Hass gegen die Polizei, der auch in Gewalt umschlagen kann. Bei Schäfer und anderen Aktivist:innen der Letzten Generation scheint das Gegenteil der Fall zu sein: „Sobald die Polizei da ist, sind ich und andere Aktivist:innen viel entspannter. Weil wir wissen, dass sie uns vor der direkten Gewalt, die von den Autofahrer:innen ausgeht, beschützen“, sagt Schäfer gegenüber BuzzFeed News DE.
Politiker:innen schüren den Hass gegen die Letzte Generation
Woher kommt diese Gewalt gegen Klima-Aktivist:innen? Der Hass beginnt online, da sind sich Schäfer und Paganini einig. Auch Schäfer erhält Hassnachrichten. Unter einem Instagram-Post der Letzen Generation, auf dem er zu sehen ist, wird er unter anderem als „Parasit“ oder „Sektenmitglied“ verunglimpft. „Durch Aggressionen im Netz wird die Hemmschwelle von Menschen geringer, reale Gewalt auszuüben“, sagt die Medienethikerin gegenüber BuzzFeed News DE. Das gelte auch für Menschen, die Hassnachrichten nur lesen und gar nicht selbst schreiben.


Statt ihn zu unterbinden, schüren Politiker:innen laut Paganini diesen Hass mit öffentlichen Statements. Der Politiker Friedrich Merz spottete zum Beispiel bei einer Wahlveranstaltung über Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation, die nach Bali geflogen sind, wie Merkur von Ippen.Media berichtet. Die Medienethikerin kritisiert, dass ein solches Verhalten nicht infrage gestellt wird. Politiker:innen haben im Netz eine größere Reichweite als Menschen, die privat Hasskommentare schreiben. „Wenn sich Politiker:innen selbst herabwürdigend verhalten, kann man kaum glauben, dass sie dem Hass im Netz Einhalt gebieten werden. Das ist beunruhigend.“

Wie geht es für den Klima-Aktivisten nach der Haft weiter?
Schäfer bereitet noch eine andere Sache Sorgen: Er arbeitet ehrenamtlich als Leichtathletik-Trainer von Jugendlichen. Bei Jobs, in denen man Kontakt zu Minderjährigen hat, achten Arbeitgeber:innen darauf, was im erweiterten Führungszeugnis steht. „Falls es zu einer Verurteilung kommt, was sehr wahrscheinlich ist, ist das ein Problem. Dann kann es sein, dass ich dieses Ehrenamt aufgeben muss.“ Er hofft jedoch, dass er in dem Fall die Möglichkeit bekommen wird, sich bei seinem Verein zu rechtfertigen.
Gerechtfertigt findet Schäfer seine Strafe nicht. Im Gegenteil, sie lässt ihn an der Politik zweifeln: „Ich wurde 15 Tage weggesperrt, obwohl ich für Ziele, zu denen sich der Staat bekennt, aber krachend verfehlt, eintrete. Das lässt mich mein Vertrauen verlieren.“ Sein Hafterlebnis wird ihn nach eigenen Aussagen nicht abhalten, sich weiter an Straßen festzukleben. „Diese Aktionen sind die einzige, reale Chance, die ich habe, um hoffentlich schnell eine Veränderung in der Klimapolitik zu bewirken.“
Du willst mehr erfahren? Uns haben Aktivist:innen der Letzten Generation erzählt, warum sie sich festkleben.