„Was bringt Klimaaktivismus?“, fragen wir die Aktivist:innen, die sich im Finanzministerium festgeklebt haben
Klimaaktivist:innen kleben sich im Finanzministerium fest. Aber was sollte das eigentlich bringen? BuzzFeed News hat zwei Gruppen genau diese Frage gestellt.
Besonders in den vergangenen Wochen häufen sich die Berichte von Klima-Aktivist:innen, die sich an Straßen festkleben (manche Aktivist:innen werden sogar von Mercedes-Fahrern von der Straße gedrängt), bekannte Gemälde mit Essen bewerfen oder politische Veranstaltungen wie den Weltgesundheitsgipfel stören. Am Montag, 17. Oktober, drangen Klima-Aktivist:innen in das Bundesfinanzministerium in Berlin ein und klebten sich dort am Sekretariat von Finanzminister Christian Lindner (FDP) fest. Aber was bringt das eigentlich alles? BuzzFeed News DE hat die Aktivist:innen genau das gefragt.

Klima-Aktivist:innen im Finanzministerium: Für Schuldenstreichung des globalen Südens
An der Aktion im Finanzministerium waren mehrere Aktivist:innen-Gruppen, unter anderem die „Letzte Generation“, deren Straßenblockaden das Rote Kreuz als gefährlich bezeichnet, „Scientist Rebellion“ und „Debt for Climate“ beteiligt. Auf Anfrage von BuzzFeed News DE schreibt uns die „Letzte Generation“ man habe sich zusammengeschlossen, um für eine Schuldenstreichung des Globalen Südens zu kämpfen. „Sodass diese es sich leisten können, fossile Energieträger im Boden zu lassen und eine gerechte Energiewende zu finanzieren.“ Es liege jetzt an Linder und dem Finanzministerium, sich „für das Überleben unserer Nachkommen und der Menschheit zu entscheiden“, sagt eine Sprecherin.
Auf die Frage, wie es denn gelaufen sei, antwortet sie: Lindner habe zwar mit einigen Menschen kurz gesprochen „zeigte jedoch kein Verständnis für den Widerstand der Menschen“. Deswegen fragten sich die Aktivist:innen: „Hat die Regierung das hier, im Angesicht der Klimakatastrophe, im Griff?“ Man wolle die Koalition immer wieder stören und Druck aufbauen, sodass die Regierung handelt. „Erfolgreich sind wir dann, wenn der Widerstand aus der Bevölkerung die Bundesregierung von ihrem tödlichen Kurs abbringt und so ein Kollaps des Klimas in den nächsten Jahren verhindert wird.“
Angst vor einem tödlichen Kollaps des Klimas hat auch diese 17-jährige Fridays-For-Future-Aktivistin. Sie erklärt, was Klimaangst mit ihr macht.
Wie hat Christian Lindner auf die Klima-Aktivist:innen reagiert?
Louise Wagner von „Debt for Climate“ beschreibt das Aufeinandertreffen mit Christian Lindner gegenüber BuzzFeed News DE folgendermaßen: „Christian Lindner hat zu uns gesagt, wir würden doch alle das Gleiche wollen, hat uns Kaffee und Wasser angeboten – doch statt Kaffee und Wasser kam die Polizei.“ Die Aktivist:innen hätten nicht damit gerechnet, dass er sofort seine Fehler eingesteht und seinen Kurs wechselt. „Aber nachdem er sein Versprechen nicht gehalten hat, die Schuldenannullierung bei dem Treffen in Washington zu fordern, hätten wir zumindest ein Gespräch mit den MAPA-Aktivist:innen, die vor dem Ministerium standen, erwartet“, sagt Wagner.
Dass Lindner in einem Tweet auf die Aktion reagiert, ist für „Debt for Climate“ ein Erfolg. Dass er behauptet „die Aktion hätte ich also nicht gebraucht“, finden sie jedoch lächerlich. „Klar hat es die Aktion gebraucht! Das sieht man auch an seinem Tweet, in dem er ‚nur‘ von afrikanischen Staaten und vage vom Thema Verschuldung spricht. Uns geht es aber um die komplette Annullierung der Schulden des gesamten Globalen Südens“, erklärt die Sprecherin der Klima-Aktivist:innen-Gruppe.
Lindner spreche immer nur von einer Umstrukturierung der Schulden, nicht aber von einer Schuldenstreichung. Diese sei jedoch, so schreibt es auch Misereor, dringend notwendig – vor allem für Länder, die aufgrund des Klimawandels (den Gen Z mehr fürchtet als Ukraine-Krieg oder Pandemie) immer stärker von Naturkatastrophen betroffen sind. Diese belasteten die von Überschuldung betroffenen Staaten zusätzlich und zwingen diese Länder zu weiteren Kreditaufnahmen – und auch der Nutzung fossiler Energie.
Christian Lindner war auch schon das Zielobjekt der Aktivist:innen von „Dies Irae“. Sie hängen Plakate auf, auf denen steht: „Sollen sie doch Porsche fahren“ – im Hintergrund Christian Lindner.
Klimaaktivismus: „Es ist legitim, mit neuen Protestformen zu experimentieren“
Aber was bringt Klimaaktivismus denn überhaupt, wenn Lindner so reagiert? Wagner antwortet, dass die Aktion definitiv einen Empowerment-Effekt gehabt habe. „Natürlich muss man sich immer wieder klarmachen, dass wir ein langfristiges Ziel verfolgen und es alleine mit einer Aktion nicht zu schaffen ist“, fügt sie hinzu. „Viele kritisieren ja, dass Aktivist:innen immer nur dagegen sind. Aber das stimmt nicht: Wir haben einen klaren Vorschlag, für den wir uns einsetzen: die Schuldenstreichung des Globalen Südens.“
Weltweit verschärft die Polizei die Gangart gegenüber Klimaaktivist:innen. Vielen leuchtet das ein, weil sie nicht verstehen, was es bringt, sich an irgendwo festzukleben. Ob das nicht wenig konstruktiv sei, fragen wir sie. Wagner verneint. Für sie ist genau das die einzige Option. Man sehe ja, dass Regierungen nicht angemessen auf Lösungsvorschläge von Aktivistinnen wie Vanessa Nakate oder Greta Thunberg reagieren. Deswegen sei es nur „legitim, mit neuen Protestformen zu experimentieren – vor allem, wenn diese keinen Schaden an der kritischen Infrastruktur anrichten.“
Außerdem hingen Aktionsziel und Aktion bei „Debt for Climate“ immer zusammen. „Wir bringen unseren Protest dorthin, wo wir auch die Macht sehen, etwas zu verändern. Im Falle Deutschlands als viertmächtigste Stimme im IWF, ist das unter anderem im Finanzministerium“, so Wagner. Damit will die Gruppe auch weiterhin nicht aufhören. Bis zur UN-Klimakonferenz COP 22 vom 7. bis 18. November ruft sie weiterhin zu Protesten auf. „Da werden auch in Deutschland noch einige Aktionen stattfinden – vor allem in der letzten Oktoberwoche“, sagt die Klimaaktivistin. Was genau geplant ist, kann sie jedoch noch nicht verraten.
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