Österreich hat keine Cancel Culture - warum wir fragwürdigen Promis nicht so leicht vergeben sollten

In den USA führt grobes Fehlverhalten dazu, dass man in der Entertainment-Branche gecancelt wird. In Österreich scheint es relativ wurscht zu sein
Sie sind das Cancel-Paar des Jahres: Amber Heard und Johnny Depp. Derzeit ist das Internet gestopft voll mit Artikeln über den Verleumdungsprozess, in dem sich die beiden gegenüberstehen. Die Ex-Eheleute verklagen sich gegenseitig auf Schadensersatz - es geht um Millionen von Dollar, Gewalt und abgeschnittene Fingerkuppen.
Amber Heard soll ihren Stuhlgang im Ehebett verrichtet, Verletzungen vorgetäuscht und versprochene Spenden in Millionenhöhe nicht hinreichend getätigt haben. Depp wurde sowieso schon vor einiger Zeit gecancelt - aus dem neuesten Teil der „Phantastische Tierwesen”-Filmreihe zum Beispiel hat man ihn gestrichen, obwohl er mit Grindelwald die Bösewicht-Hauptrolle besetzt hatte. Gegen Depp wird der Vorwurf erhoben, Alkohol und Drogen zu missbrauchen und wiederholt gewalttätig geworden zu sein. Das gefällt den Amis nicht - weswegen die beiden kurzerhand gecancelt werden, sprich: sie bekommen keine Aufträge mehr.
Cancel Culture - ein Phänomen aus den USA
Cancel Culture ist „ein politisches Schlagwort, mit dem systematische Bestrebungen zum sozialen Ausschluss von Personen oder Organisationen bezeichnet werden, denen beleidigende, unanständige oder diskriminierende Aussagen beziehungsweise Handlungen vorgeworfen werden” heißt es auf Wikipedia. Seit 2014 ist der Begriff in sozialen Netzwerken wie Twitter weit verbreitet, besonders aber in queeren, schwarzen Communities, die häufig auch „Black Twitter” genannt werden.
Canceln wird als Instrument verstanden, um Gerechtigkeit herzustellen - und sexistische, homophobe oder gewaltverherrlichende Inhalte abzustrafen. Gecancelt werden aber nicht länger nur Inhalte, sondern Personen: Indem man ihnen Plattformen, Mitspracherecht oder Status entzieht. In Fällen wie der #MeToo-Kampagne kann das sogar zu einem weitgehenden sozialen Wandel führen.
Die Alpenrepublik hat’s nicht so mit den Konsequenzen
Egal ob Richard Lugner oder HC Strache (der rappt ja schließlich auch) - die österreichische Entertainment-Branche scheint komplett immun gegen das Canceln zu sein. Während in den USA eine Petition gegen Amber Heard inzwischen knapp drei Millionen Unterschriften erlangt hat - man möchte erreichen, dass ihre Szenen aus dem DC-Blockbuster „Aquaman” geschnitten werden - dürfen bei uns etablierte Entertainment-Hanseln fröhlich vor sich hin fuhrwerken, als wäre nix gewesen, selbst wenn sie höchst skandalöse Dinge tun. Kritisiert wird bei uns zwar schon immer gerne, die ein oder andere Twitter-Schlacht ausgetragen auch, aber gecancelt?
Richard Lugner ist als Opa mit Anfang 20er-Mädchen mit Tiernamen-Fetisch noch immer am Opernball willkommen. Kronenzeitung-Kolumnist Jeannée darf trotz N-Wort Sager noch immer Meinungsartikel schreiben. Andreas Gabalier treibt sich trotz diverser sexistischer und transphober Aussagen auf den großen Festival-Bühnen herum. Ob sich Österreich eine Scheibe von der Ami-Cancel Culture abschneiden sollte? Vielleicht. Zumindest könnten Herr und Frau Österreicher mal überdenken, wie oft sie ein Auge zudrücken.
In Deutschland wurde Cancel Culture zuletzt eher als Ablenkungsmanöver eingesetzt.