1. BuzzFeed.at
  2. News
  3. Meinung

Roald Dahls Werk überarbeitet: Änderungen in Kinderbüchern sollten nur der Anfang sein

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Christian Kisler

Kommentare

Ein Bücherregal mit Kinderbüchern, ein kleines Mädchen, das liest
Kinderbücher werden politisch korrekt überarbeitet, auch bei Literatur für Erwachsene könnte das funktionieren. © Political-Moments/Westend61/Imago/BuzzFeed Austria

In „Charlie und die Schokoladenfabrik“ gibt es ab sofort keine „enorm fetten“ Menschen mehr. Aber nicht nur Bücher für Kinder sollten überarbeitet werden.

Kinder- und Jugendbücher werden zusehend politisch korrekt abgeändert. Wertende Beschreibungen, N-Wörter und sonstiges, was beleidigend aufgefasst werden könnte, alles wird gestrichen und ersetzt. Selbstverständlich mit dem nötigen Feingefühl. Bei Erwachsenenliteratur könnte man zumindest ähnlich vorgehen.

Jüngstes Beispiel: Die Bücher des 1990 verstorbenen britischen Schriftstellers Roald Dahl. Sie sind Klassiker. Ob Kurzgeschichten für Erwachsene oder Kinderbücher: Was sie vereinte, war ihr schwarzer und teils makaberer Humor. Im deutschsprachigen Raum sind seine Geschichten vor allem durch Verfilmungen bekannt geworden, sei es „Hexen hexen“, „Matilda“ oder „Charlie und die Schokoladenfabrik“.

Die Umpa-Lumpas sind jetzt geschlechtsneutral

In der Originalausgabe von 1964 wurden manche Menschen noch als „enormously fat“, also als „enorm fett“ bezeichnet, wie der britische „Telegraph“ berichtete. Das Wort „fett“ wurde nun gestrichen, jetzt sind sie „nur“ noch „enorm“. Auch anderes wurde geändert - dem Verlag zufolge behutsam und geringfügig. So sind Wonkas kleinwüchsige Gehilfen, die Umpa-Lumpas, nun keine „kleine Männer“, sondern ganz geschlechtneutrak „kleine Menschen“.

Die Änderungen an Dahls Werken sind nicht die ersten ihrer Art. Gerade in Büchern, die für Kinder- sowie Jugendliche geschrieben worden sind und heute als Klassiker gelten, hat ein Umdenken stattgefunden. In Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ aus dem Jahr 1945 wurde in einer Neuauflage 2009 der Vater der Titelfigur vom „N****könig“ zum „Südseekönig“.

Keine N-Wörter und kein „wichsen“

Auch in Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ aus dem Jahr 1957 sorgte eine Textstelle für Befremden: „Aber die beiden N****lein waren nicht vom Zirkus, und ebensowenig die Türken und Indianer.“ Nach Abstimmung mit der Familie Preußler wurden die Stellen 2013 gestrichen und geändert, auch ein weiteres Wort wurde ersetzt: „wichsen“. Heute weiß niemand mehr, dass der Begriff früher für „bohnern“, „polieren“, „putzen“ stand.

Wie gesagt, in der Kinder- und Jugendliteratur hat ein Umdenken stattgefunden, und das ist gut so, das ist richtig. Was auch bei Romanen, Kurzgeschichten und Sachbüchern für ein erwachsenes Publikum wünschenswert wäre. Bei Neuauflagen so mancher Klassiker gibt es umfangreiche Vor- und Nachworte, die das jeweilige Werk in einen Zusammenhang zu seiner Zeit setzen.

Wenn das N-Wort inflationär benutzt wird

Ein anderes Beispiel: In einer Neuausgabe des ersten Romans des später zu großer Form auflaufenden US-Autors Truman Capote „Andere Stimmen, andere Räume“ (1948) in deutscher Übersetzung wird das N-Wort nicht nur einmal verwendet. Personen werden immer wieder aufgrund körperlicher Fehlbildungen als hässlich beschrieben, sie werden also über ihr Äußeres beurteilt.

Anhang? Vorwort? Fehlanzeige. Für unvorbereitete Leser:innen ein gelinde gesagt unangenehmes Erlebnis. Wenn ich mich als weißer Mann, der um die Entstehungsgeschichte des Romans Bescheid weiß, schon an den Begriffen und Beschreibungen stoße, wie muss sich eine Person fühlen, die tagtäglich Rassismus ausgesetzt ist?

Auch bei Literatur geht es um Inklusion

Literatur soll fordernd sein, sie kann auch verstören, sie soll aber nicht beleidigend oder abwertend werden. Das Argument, wenn‘s dir nicht gefällt, dann musst du es auch nicht lesen, zählt dabei nicht. Wenn manche Begriffe, Bezeichnungen, Beschreibungen verwendet werden, so muss das alles in einem nachvollziehbaren Rahmen geschehen. Womit die Verlage in der Pflicht sind, für Kontextualisierung zu sorgen.

Freilich, Texte sollen nicht komplett umgeschrieben werden, mittels einleitendem Kommentar, der alles in einen zeitlichen Kontext setzt, wäre aber ein Anfang gemacht. Und nicht nur bei teuren Nachdrucken und Neuauflagen, sondern, bei allem, was problematisch erscheint. Wann das notwendig ist, da ist auch das jeweilige Lektorat gefordert, jene Menschen, die Texte vor Veröffentlichung lesen und letztendlich freigeben.

Auch Erwachsene sind in der Pflicht

Es ist ein Dienst an den Leser:innen. Auch bei Kinderliteratur braucht es Vor- und Nachworte. Sie können von Erwachsenen gelesen werden. So können sie Kindern spielerisch und altersgerecht erklären können, was mit der Geschichte auf sich hat. Niemand muss um geliebte Klassiker fürchten, dass sie „uns weggenommen werden“.

Die 2018 verstorbene österreichische Kinder- und Jugendbuchautorin Christine Nöstlinger verwehrte sich übrigens gegen jegliche Änderungen. Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel sagte sie einmal: „Ein Unfug! In Erwachsenenliteratur würde man nie so reinpfuschen.“ Würde sie noch leben, ich würde sie fragen: „Warum eigentlich nicht?“

Andere Baustelle: „Die kleine Raupe Nimmersatt“ soll schädlich für Kinder sein - aus pädagogischen Gründen.

Auch interessant

Kommentare