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„Ein junges Ö3“: FM4 muss sich ändern, aber nicht so

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Von: Christian Kisler

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Die gelbe überdimensionierte FM4-Ente
Der ORF-Radiosender FM4 wird im Regen stehen gelassen. © Vera Bandion/APA-PictureDesk/BuzzFeed Austria

FM4 befindet sich in einer Krise, es muss sich etwas ändern. Die Pläne von ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher geben aber Anlass zur Sorge. Meine 2Cents dazu.

Als der Radiosender FM4 am 16. Jänner 1995 auf Sendung gegangen ist, war der erste Song, der zu hören war, ein Titel von den Beastie Boys. „Sabotage“ heißt der Track, und so weit zu gehen, dass genau das gerade das, Sabotage nämlich, mit der vierten Frequenz der ORF-Radios passiert, würde ich nicht gehen. Aber in den vergangenen 27 Jahren hat FM4 nicht nur gezeigt, dass es einzigartig im deutschsprachigen Raum ist, es war auch sinn- und identitätsstiftend für mindestens eine Generation. „FM4 Musik“ war dann auch nicht selten die Antwort vieler auf die Frage, was das jeweilige Gegenüber denn so hören würde.

Tatsächlich hat es FM4 geschafft, einen Kult um sich und seine Moderator:innen aufzubauen. Man widmete sich Themen, die viele junge Menschen interessierten, über die aber sonst nirgends gesprochen wurde, zumindest nicht innerhalb der Familie der ORF-Radios. Und man veranstaltete alljährlich ein Geburtstagsfest mit internationalen Musiker:innen, man betreute eine Bühne am Donauinselfest, man gab den Namen für das Frequency-Festival her. Die knallgelbe, überdimensionierte Badeente mit Kopfhörern und FM4-Logo in Übergröße ist bis heute ein Anzeichen dafür, dass hier etwas Cooles passiert, etwa am Popfest.

Seit 1995 hat sich viel geändert

Nur alterten nicht nur die Moderator:innen mit dem Sender mit, auch die Hörer:innen. Die angestrebte Kernzielgruppe wird nicht mehr erreicht, und wir reden hier von 14- bis 29-Jährigen. Ohnehin ein ziemlicher Spagat. Wer hört denn heute noch bewusst Radio? In der Zeit seit 1995 hat sich nicht nur die Welt geändert, sondern auch wie wir sie wahrnehmen. Um neue Musik zu hören, gehst du eher auf Spotify als auf Sendersuche. Und du hörst dir eher Podcasts als Radio-Journale an. Vor allem bestimmst du selbst, wann, wo und was du hören willst.

Nachdem Monika Eigensperger nach ihrer prägenden Zeit als Programmchefin 1999 bis Ende 2021 in Pension gegangen war, hat auf Geheiß des neuen ORF-Generaldirektors Roland Weißmann Doroteja Gradištanac das Ruder von FM4 übernommen. Kein Wunder also, dass der Sender seit Montag, 3. Oktober, ein neues Programmschema hat. Wobei ich mich ja schon frage, wie ausgerechnet Politologe Peter Filzmaier und ZiB 2-Moderator Armin Wolf in einer neuen Reihe ein jüngeres Publikum ansprechen sollen. Das klingt eher nach Verzweiflung.

Untertags Ö3, am Abend FM4, so vergrault man die letzten Hörer:innen

Aufhorchen lassen hat auch die Monika Eigensperger in ihrer zusätzlichen Rolle als Radiodirektorin nachfolgende Ingrid Thurnher in einem Interview in „Der Standard“ lassen. Ihr Motto fürs Radio: „Mehr gute Laune, weniger Gequatsche.“ Auch nicht verwunderlich eigentlich, wenn sie sich FM4 je nach Ausgang einer vom ORF beauftragten Studie auch als junges Ö3 vorstellen können würde. Oder wenn die inhaltliche Ausrichtung zweigeteilt wäre: untertags Ö3-lastig, am Abend in Richtung FM4. Meine Güte, so vergrault man die letzten Hörer:innen.

Eine Reaktion aus der Kulturbranche ließ nicht lange warten. In einem Akt von Solidarität unterzeichneten Künstler:innen wie Wanda, Bilderbuch, Tocotronic, Voodoo Jürgens, Soap & Skin, Josef Hader, Verena Altenberger, David Schalko, Pia Hierzegger und Kati Strasser einen offenen Brief. Darin warnten sie vor nicht weniger als einem „Anschlag auf die gesamte Kunst- und Kulturszene des Landes“. Denn schließlich sollte es Thurnhers Überlegungen zufolge nicht nur FM4, sondern auch Ö1 ordentlich an den Kragen gehen.

Die angepeilte Zielgruppe hört einfach nicht mehr Radio

Dass sich bei FM4 etwas ändern muss, stelle ich gar nicht in Abrede, im Gegenteil. Denn sonst ist bald endgültig Schicht im Schacht, fürchte ich. Nur meine ich, dass Ingrid Thurnher die Dinge gänzlich verkehrt angeht. Man wird mit einer groß angelegten Programmreform nicht plötzlich junge Hörer:innen vor die Radiogeräte holen. Das Problem an sich ist nämlich ein ganz anderes: Nicht die Zerstörung eines leicht maroden, aber etablierten und einzigartigen Senders hilft. Die angepeilte Zielgruppe hört einfach nicht mehr Radio. Punkt. Und das liegt nicht an FM4, nicht an Ö1, auch nicht an Ö3, das erstmals Reichweite eingebüßt hat, wenn auch auf hohem Niveau.

Streaming ist nun mal die Gegenwart, und daran kann der ORF als Ganzes nicht vorbei. Auch wenn es ihm als öffentlich-rechtlichem Medium eigentlich nicht gestattet ist. Es ist eine politische Angelegenheit, die im Interesse der Erhaltung einer funktionierenden Demokratie dafür sorgen muss, dass der ORF und seine Radios die Leute erreicht. So oder so. Auch mit FM4.

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