Wir brauchen keine Wahlärzt:innen, sondern attraktive Angebote für Kassenärzt:innen

Mit dem Einstieg am Arbeitsmarkt realisiert man: Es gibt A) bessere und schlechtere Krankenkassen in Österreich und B) eine Parallelwelt die da heißt: Wahlarzt-Praxis.
Das Leben ist eine Lotterie, vor allem im österreichischen Gesundheitssystem. Je nach Leiden passiert es einem nämlich mehr oder weniger oft, dass man einen verschmitzten, spöttischen oder klassisch abgebrühten „Da müssen Sie halt zum Wahlarzt gehen” Sager zu hören bekommt - weil die Krankenkasse eine Leistung nicht übernimmt, die man aber benötigt.
Wo man als einfaches Fußvolk beim Kassenarzt teilweise monatelang auf einen Termin warten muss, kann man beim Wahlarzt zudem oft schon am selben Tag bequem in die Ordination spazieren. Die Untersuchung dauert dann auch nicht schnell-schnell fünf Minuten inklusive einer generischen Schmerzmittel-Verschreibung, sondern der/die zuständige Praktiker:in nimmt sich hinreichend Zeit - schließlich wird die medizinische Leistung mit einem Stundenlohn von 100-200 Euro auch redlich entgolten.
Österreich hat ein zwei Klassen-System in der Medizin
Da brauchen wir gar nicht um den heißen Brei herumreden: Wer mehr Geld hat, lebt in Österreich gesünder. Diejenigen, die es sich leisten können, für 150+ Euro pro Monat extra eine Wahlarzt-Versicherung abzuschließen, haben plötzlich Zugang zu einer Fülle an Zusatzleistungen: Heilmassagen, Lymphdrainagen, Vorsorgeuntersuchungen, Orthopädische Einlagen, und und und.
Im Umkehrschluss heißt das: Wer arm ist, bleibt in Österreich chronisch krank. Denn die gute alte ÖGK als Standard-Versicherung zahlt weder präventive Maßnahmen, noch Leistungen, die „nicht unbedingt notwendig” sind. „Mehrkosten” nennen sich die - zum Beispiel, wenn man eine Keramik-Zahnkrone im Wert von 1000 Euro selbst bezahlen muss, weil man kein billiges Plastik oder Amalgam-Sondermüll im Gebiss haben will.
Der Ärztemangel ist kein Argument dafür, Privatleistungen zu normalisieren
„Auch Wahlärzte haben eine eminent wichtige Funktion in unserem Gesundheitssystem – in ländlichen Bereichen etwa, in denen es keinen Kassenarzt mehr gibt, sind sie oft die einzige Option für die Menschen dort für den niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung“, lässt ein Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, ausrichten.
Der Ärztemangel in Österreich ist ein altbekanntes Problem - ihn als Argument zu benutzen, dass wir Wahlärzt:innen brauchen, allerdings ethisch höchst fragwürdig. Nur weil in Hinterdupfing niemand außer dem Dr. Radlmayer für 200 Euro eine Prostata-Untersuchung anbietet, heißt das noch lange nicht, dass Wahlärzte eine pauschale Berechtigung haben - sondern, dass das österreichische Kassensystem versagt.
Unser Sozialstaat hat adäquate Gesundheitsleistungen bereit zu stellen
Niemand sollte in Österreich zum Wahlarzt gehen müssen. Medizinische Leistungen sollten voll abgegolten werden, wenn man sie benötigt. Klar ist außerdem, dass wir nicht genug attraktive Angebote für Kassenärzt:innen haben - sonst würden sie ja nicht Wahlärzt:innen werden. Oder in andere Länder abwandern. Es ist an der Zeit, dass wir den Arbeitsmarkt für Ärzt:innen endlich attraktiv gestalten. Das fängt schon bei der Ausbildung an - trotz Ärztemangel werden gerade mal 50(!) zusätzliche Plätze pro Jahr in Österreich für das Medizinstudium zur Verfügung gestellt, BuzzFeed Austria berichtete.
Der medizinische Aufnahmetest MedAT gehört noch immer zu den schwersten Aufnahmeverfahren im österreichischen Bildungssystem - aber warum eigentlich? Sollte man den Zugang nicht erleichtern? Darüber hinaus hat die Politik die Verantwortung, systemrelevante Berufe so attraktiv wie möglich zu gestalten - das gilt für Lehrer:innen und Polizist:innen genauso wie für Ärzt:innen. Wer unser aller Überleben sicherstellt, der sollte ordentlich bezahlt werden, und zwar vom Staat, nicht aus den eigenen Taschen der Bürger:innen.