Wieso mich die österreichische Regierung mehr stresst als jede True-Crime-Serie

Die letzten Jahre waren heftig: Eine Ibiza-Affäre, eine Corona-Krise, eine Korruptions-Affäre, fünf Lockdowns, sechs Bundeskanzler:innen. Österreichs Innenpolitik bereitet mir Kopfweh. Hier sind meine 2 Cents zur Lage der heimischen Politik.
Die heimische Politik stresst mich mehr als jede True-Crime-Serie. Spannend ist das politische Theater hierzulande schon. Ich hätte aber jetzt lieber wieder Ruhe. Mit Neid blicke ich nach Deutschland, wo sich gerade nach planmäßig abgehaltenen Wahlen eine neue Regierung aufgestellt hat.
Deutschland wählt und bekommt eine neue Regierung. Österreich wählt und bekommt Affären
Seit dem 8. Dezember 2021 ist Olaf Scholz deutscher Bundeskanzler, nachdem die SPD bei den Bundestagswahlen im September als stärkste Partei hervorgegangen war. Zusammen mit den Grünen und der FDP bilden sie nun eine sogenannte Ampelkoalition. Zuvor war Angela Merkel (CDU) 16 Jahre lang Regierungschefin. Zwei Tage bevor Merkel ihr Amt an Scholz abtrat, gab es auch in Österreich noch schnell einen Bundeskanzler-Wechsel. Es war der zweite in zwei Monaten. Und das - obwohl die letzten Nationalratswahlen 2019 stattgefunden haben. Mitten in der Corona-Krise vielleicht nicht gerade eine ideale Situation.
In den Krankenhäusern kommt es zu Triagen. An der Regierungsspitze zu Rochaden. Ich als Wählerin frage mich: Was läuft falsch in der Prioritätensetzung unserer Politiker? Denn generell lassen die österreichischen Bundeskanzler in den letzten Jahren ihr Amt nicht allzu staubig werden. Oft hat der schnelle Wechsel an der Regierungsspitze mit irgendeiner klingenden Affäre zu tun. Im Mai 2019 sprengte beispielsweise ein auf Ibiza aufgenommenes Video des damaligen Vizekanzlers HC Strache die Regierung. Seither gab es eine Neuwahl und insgesamt vier Regierungen. Die einstweilige Regierung unter dem damaligen ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger wird hier nicht gezählt.
Eine deutsche Bundeskanzlerin ist gleich acht österreichische Bundeskanzler:innen
Um genau zu sein, gab es in der österreichischen Regierung schon länger einen regen Durchzug, zumindest in den 16 Jahren, in denen Angela Merkel im Nachbarland Deutschland die Stellung hielt. Die deutsche Bundeskanzlerin teilte ihre Amtszeit mit ACHT österreichischen Regierungschef:innen (neun, wenn man die einstweilige Regierung unter Hartwig Löger kurz nach Bekanntwerden der Ibiza-Affäre dazu zählt):
- Wolfgang Schüssel
- Alfred Gusenbauer
- Werner Faymann
- Christian Kern
- Sebastian Kurz
- Brigitte Bierlein
- Alexander Schallenberg
- Karl Nehammer
Da gab es die Regierung Schüssel II, die Regierungen Gusenbauer, Faymann I und II, die Regierung unter Christian Kern, auf den 2017 Sebastian Kurz als Bundeskanzler folgte. Nachdem dessen türkis-blaue Koalition an der Ibiza-Affäre gescheitert war, gab es kurzzeitig eine Expert:innen-Regierung unter der Juristin Brigitte Bierlein. Nach den Neuwahlen durfte ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz noch einmal ran, diesmal mit den Grünen. So weit, so gut. Wirklich viel Zeit für inhaltliche Dinge gibt es da nicht. Irgendwie sehnt man sich da nach Ruhe und zumindest eine durchgehaltene Amtszeit eines Bundeskanzlers. Wo bleibt die österreichische Angela Merkel?
Kurz war es jedenfalls nicht. 2021 wurde bekannt, dass gegen Kurz wegen möglicher Falschaussagen ermittelt wird, später auch wegen Korruption, manipulierter Umfragen und Betrugs (Hallo Korruptions-Affäre). Im Oktober trat Kurz zurück und wurde Abgeordneter im Parlament. Etwas, das mich persönlich ziemlich überraschte. Immerhin hat der jüngste Bundeskanzler in der österreichischen Geschichte stets betont, wegen der Ermittlungen gegen ihn nicht zurücktreten zu wollen. Als er es schließlich doch tat, war ich ziemlich erleichtert. Irgendetwas funktionierte also doch im Rechtsstaat Österreich.
Außenminister Schallenberg übernahm daraufhin bis auf Weiteres das Amt des Bundeskanzlers. Meine Erleichterung schwand. Immerhin fühlte es sich eher so an, als würde der Diplomat Schallenberg den Posten nur warm halten. Kurz wurde von den Medien Schattenkanzler genannt. Meine anfängliche Erleichterung wich einem Gefühl der Unruhe.
Doch dann, Anfang Dezember, eine überraschende Wendung: Sebastian Kurz zog sich schließlich komplett aus der Politik zurück. Schallenberg wechselte wieder zurück ins Außenministerium. Karl Nehammer wurde Bundeskanzler. Der ehemalige Innenminister leistete sich in der Vergangenheit auch schon öfters kontroverse Aussagen. Und ich, die jeden Tag die politische Berichterstattung verfolgte, musste mir nach diesem Theaterstück erstmal ein Bier aufmachen.
Ich weiß nicht mehr wirklich wer uns regiert und ich will es auch nicht mehr wissen
Denn gleichzeitig mit Sebastian Kurz gab es im Dezember noch andere Personal-Wechsel in der ÖVP. Auch Finanzminister Gernot Blümel verabschiedete sich von der politischen Bühne. Auf ihn folgte Magnus Brunner. Bildungsminister Faßmann trat ebenfalls zurück. Sein Nachfolger heißt Martin Polaschek. Gerhard Karner ersetzt Karl Nehammer im Innenministerium.
Mittlerweile will ich mir die neuen österreichischen Regierungsmitglieder gar nicht mehr einprägen. Hoffnung, dass die meisten von ihnen nächstes Jahr noch im Amt sind, habe ich aus Erfahrung keine mehr. Außerdem gibt es bereits die ersten Rücktrittsforderungen, und zwar gegen Innenminister Karner. Jüdische Hochschüler:innen zeigten sich in einem offenen Brief besorgt über frühere, antisemitische Wortmeldungen des neuen Innenministers. 2007 hatte dieser der SPÖ vorgeworfen, mit „Herren aus Amerika und Israel gegen das Land“ zu arbeiten. Sie seien „Klimavergifter“. Das Wort erinnert an das judenfeindliche Bild des „Brunnenvergifters. Karner hat sich mittlerweile von seinen Aussagen distanziert.
Wenn ich so etwas lese, will ich am liebsten meine Koffer packen und in den Zug Richtung Deutschland fahren. Ampelkoalition, here i come. Die drei Parteien in einer Regierung sind zwar auch ein Experiment. Aber zumindest kann ich mehr Geld darauf wetten, dass sie nicht durch etwaige Affären von der Bildfläche verschwinden.