Der Auftritt von Pussy Riot in Tirol hätte mehr Beachtung verdient

Stell dir vor, die Punk-Aktivist:innen von Pussy Riot kommen nach Tirol, und keine:r geht hin. Die Show war ausverkauft, hätte aber mehr Aufmerksamkeit verdient. Meine 2Cents dazu.
Es gibt Bands und Musiker:innen, die allgemein bekannt sind, von denen viele aber noch keinen Ton gehört haben. Und damit meine ich nicht die zahllosen Träger:innen von T-Shirts mit Bandnamen wie Run-DMC, Iron Maiden oder Joy Division, die keine Ahnung haben, wie deren Musik überhaupt klingt. Auf der anderen Seite gibt es nichts Schlimmeres als Typen, die junge Frauen mit mitunter obskuren Metal-Band-Fan-T-Shirts anmotzen, von wegen: „Nenne mir drei Songs!“ Hey, Dude, ich liebe auch so manche Band, von der ich ein Leiberl besitze, und habe keine Ahnung, wie die Songs heißen, die ich inbrünstig mitsinge. Würdest du mir als Mann deswegen diese Frage stellen? Eher nicht, schätze ich. Ich für meinen Teil weiß zwar, wer die koreanische Boyband BTS ist, und nicht nur, weil sie mit den britischen Greenwashing-Opfern Coldplay gemeinsame Sache gemacht haben. Aber kenn ich nur einen einzigen Titel von ihnen? Abermals nein.
Nun ist der Name Pussy Riot natürlich vielen ein Begriff. Und tatsächlich macht es in diesem Fall wenig bis gar nichts, wenn man die Musik des losen Verbands von Musiker:innen, einem Kollektiv nicht unähnlich, noch nie zu Gehör bekommen hat. Ich wage auch zu behaupten, dass den Aktivist:innen ihre Anliegen wichtiger sind als ihre Songs. Ihnen geht es um eine Art Fundamentalkritik an Wladimir Putin und dem System, für das er steht sowie den russischen Klerus. Nicht umsonst wurden die Gründerinnen Marija Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch durch ihr „Punk-Gebet“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau am 21. Februar 2012, also vor gut 10 Jahren, weltweit bekannt. Die Aktion richtete sich gegen Putin und den Patriarchen Kyrill I., der ersteren unverhohlen unterstützte und für das strikte Abtreibungsverbot der Russisch-Orthodoxen Kirche stand. Letztlich war der Auftritt ein Aufschrei gegen die Allianz von Kirche und Staat.
Ein Auftritt von 41 Sekunden brachte Pussy Riot ins Straflager
Den drei Frauen brachte die gerade einmal 41 Sekunden dauernde Performance letztlich jeweils zwei Jahre Straflager ein. Die Aktion zeigte auf, wie gespalten die russische Gesellschaft bereits zu diesem Zeitpunkt war, der Prozess um Pussy Riot schadete zudem dem Ansehen des Landes auf der Weltbühne. Was Waldimir Putin recht wurscht war, frei nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“ Wir erinnern uns: Kurz darauf, 2014, eroberte Russland die Krim.
Wie die Weltöffentlichkeit rasch lernen musste: Pussy Riot waren nicht „nur“ Aljochina, Tolokonnikowa und Samuzewitsch, es war eine kleine Bewegung. So liefen während des Fußball-WM-Finales in Moskau am 15. Juli 2018 vier Pussy-Riot-Aktivistinnen in Polizeiuniformen auf das Spielfeld. Auf Facebook wurden parallel dazu politische Forderungen aufgestellt. Dafür fassten die Platzstürmerinnen 15 Tage Haft aus, weit weniger als ihre Vorgängerinnen. Offensichtlich hatte Russland gelernt, dass drakonische Urteile schlecht fürs Image und in weiterer Folge für internationale Geschäftsbeziehungen nicht besonders zuträglich waren und sind.
Angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine kann man darüber nur herzlich lachen, vor allem über die eigene Naivität. Während sich Nadeschda Tolokonnikowa schon länger außerhalb Russlands befindet, wobei ihr Aufenthaltsort geheimgehalten wird und über Jekaterina Samuzewitschs Verbleib nichts bekannt ist, gelang Marija Aljochina erst am 10. Mai die Flucht aus Moskau. Dabei befand sie sich wegen Demoaufrufen gegen den Ukraine-Krieg in Hausarrest und konnte in der Uniform einer Essensauslieferin fliehen. Umso erstaunlicher, dass sich sofort auf Europa-Tournee mit neuen Pussy-Riot-Mitgliedern begab. Diese führte sie auch nach Österreich, ausgerechnet nach St. Johann in Tirol, also dort, wo viele russische Oligarch:innen ihren Zweitwohnsitz haben.
Pussy Riot lieferten in Tirol weniger ein Konzert als eine Performance
Am Sonntag, dem 15. Mai gastierten Pussy Riot also im Kulturzentrum Alte Gerberei in St. Johann. Natürlich war der Andrang groß, die Show war ausverkauft, der Medienrummel war entsprechend gewaltig. Der Auftritt war schließlich weniger Konzert als Performance mit Vorlesungscharakter. Gemeinsam mit Aljochina Olga Borissow waren Diana Burkot und Anton Ponomarew auf der Bühne, neben Schwarz dominierten die Farben der Ukraine, Blau und Gelb. Erstaunlich nur, dass sich die mediale Resonanz in Grenzen hielt.
Vielleicht wäre das vor zehn Jahren noch anders gewesen, aber mehr als Randnotizen oder vielleicht das eine oder andere, gut im Kultur-Ressort versteckte Interview war scheinbar nicht drin. Eine vertane Chance, denn gerade in Bezug auf den Krieg in der Ukraine ist Marija Aljochina eine wichtige Stimme, sind Pussy Riot ein Signal. Nämlich dass nicht ganz Russland diesen Krieg führt und durchaus Gegenpositionen eingenommen werden. Die sind zwar nicht so zahlreich wie die der Befürworter:innen, dafür mitunter umso lauter.