Teilzeit-Debatte: Kochers frauenfeindlicher Vorschlag ist nur eine Ablenkung
Teilzeit-Arbeitende sollen weniger Sozialleistungen bekommen: Das ist die Idee von Arbeitsminister Kocher. Die Diskussion ist ein Ablenkungsmanöver.
Martin Kocher ist ein kluger Mann. Der Arbeitsminister weiß, dass es tatsächlich eine Maßnahme gegen den Arbeitskräftemangel wäre, Menschen aus der Teilzeit zu holen, die Vollzeit arbeiten möchten. In einem Interview mit dem „Kurier“ forderte Kocher aber: „Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen.“ Die Reaktionen auf die Forderung waren nicht nur im Netz aufgebracht.
Martin Kocher ist ein kluger Mann. Deshalb weiß er, dass das mit der Freiwilligkeit bei der Teilzeit so eine Sache ist.
Teilzeit-Diskussion: Arbeitsminister Kocher kennt die Fakten
Rund 80 Prozent der Pflege von Angehörigen wird in Österreich von Angehörgen geleistet, meist Frauen. Wenn eine Pflegende Montag bis Freitag von 7 Uhr bis 13 Uhr an der Kassa im Supermarkt arbeitet und zu Hause bis Mitternacht ihren kranken Vater pflegt: Ist sie freiwillig in Teilzeit Kassiererin?

Anders gefragt: Eine Frau hat einen Kindergartenplatz für ihr dreijähriges Kind ergattert. Es kann täglich von 7 Uhr bis 16 Uhr betreut werden. Die Arbeitszeiten der Mutter waren vor der Geburt aber von 9 Uhr bis 17:30 Uhr. Wenn sie nach der Geburt ihre Arbeitsstunden reduziert - tut sie das freiwillig? Sie ist damit jedenfalls nicht allein: Knapp 73 Prozent der Mütter mit Kindern unter 15 Jahren haben 2021 in Teilzeit gearbeitet.
Frauenfeindlicher Vorschlag als Ablenkung
Martin Kocher ist ein kluger Mann. Er kennt all die Statistiken, all die Fakten und all die großen Zusammenhänge.
Wenn er jetzt von Freiwilligkeit, reduzierten Sozialleistungen und attraktiver Vollzeitbeschäftigung spricht, ist das eine Nebelgranate. Kocher will mit seinem frauenfeindlichen Vorschlag ablenken von einer simplen, aber harten Wahrheit: Die Arbeitspolitik in Österreich ist gestrig. Sie richtet sich zu sehr nach Unternehmen und zu wenig nach den Menschen, die dort arbeiten (sollen).
Statt in Teilzeit Arbeitende zu strafen - nichts anderes wäre eine Reduktion der Sozialleistungen - sollte sich der Arbeitsminister überlegen, wie Arbeiten 2023 aussehen sollte. Flächendeckende Kinderbetreuung ist da nur eine Kleinigkeit - auch wenn Österreich Jahr um Jahr grandios daran scheitert.
Wo die Antwort zu finden ist
Die große Arbeitsfrage ist nicht, wie man Menschen in Vollzeit-Jobs zwingt. Sie ist vielmehr: Ist es realistisch, dass Menschen 30, 40, 50 Jahre lang ihr Leben um die Arbeit herum bauen? Dass Pflege von Angehörigen, Kinder Großziehen oder einfach nur Selbstfürsorge „Nebentätigkeiten“ sind, die man halt nebenbei irgendwie selbst deichseln muss - Hauptsache, man schafft 40 Stunden wöchentlich im Job?
Wie gesagt: Martin Kocher ist ein kluger Mann. Deshalb weiß er sicherlich, dass die Antwort auf die Frage nach zeitgemäßer Arbeit sich nicht in Meetings mit Wirtschaftsvertreter:innen versteckt, sondern im Gespräch mit den Menschen, die die Arbeit machen - ob nun bezahlt in Firmen oder unbezahlt zu Hause.