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Regisseur Ulrich Seidl soll beim Dreh den Kinderschutz missachtet haben - er muss sich besser erklären

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Von: Christian Kisler

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Regisseur und Filmemacher Ulrich seidl
Gegen Filmemacher Ulrich Seidl wurden schwere Vorwürfe erhoben. © Credit Simone Comi/PA/APA-PictureDesk/BuzzFeed Austria

Der österreichische Regisseur hat mit seinen Filmen immer schon angeeckt. Am Set zu seinem neuen Film soll er gegen Kinderrechte verstoßen haben.

Neben Marie Kreutzer, Jessica Hausner und Michael Haneke ist Ulrich Seidl wohl einer der international bekanntesten Filmemacher unserer Zeit. Er schreibt meist gemeinsam mit seiner Frau Veronika Franz die Drehbücher, führt Regie, zeichnet für die Produktion verantwortlich. Und nein, er macht kein Popcorn-Kino. Sein Stil ist dokumentarisch, dabei dreht er selten tatsächlich Dokus wie etwa „Im Keller“. Seine Art, lange und oft distanziert wirkende Einstellungen zu wählen, sorgen stets für eine gewisse Künstlichkeit. Und ja, sie sorgen für Unbehagen. Was auch auf die Themenwahl seiner Filme zutrifft.

Er lässt kaum etwas aus, sei es religiöser Wahn, Alltagsrassismus und -faschismus, Sexarbeit oder Großwildjagd, zuletzt das Leben eines abgetakelten Schlagersängers. Nicht unbedingt Wohlfühlthemen. Kein Wunder, dass Seidl vor allem im konservativen Lager jede Menge Gegner:innen hat, die oft Schwierigkeiten haben, Realität und Fiktion in seinen Arbeiten auseinander zu halten. Schließlich geht es Seidl um das Wahre, das Echte, das Authentische. Vielleicht liegt es auch daran, dass er gerne, wenn auch nicht ausschließlich, auf Laiendarsteller:innen zurückgreift.

Laiendarsteller:innen haben das Schauspiel nie erlernt und keine entsprechende Ausbildung. Umso behutsamer muss mit ihnen am Set umgegangen werden, umso genauer muss man vor und nach jeder Szene mit ihnen sprechen, wie es ihnen geht, gerade bei „harten“ Themen und Geschichten. Ulrich Seidl soll besonders sorgsam mit seinen Darseller:innen umgehen, er stellt niemand bloß, dafür sind ihm seine Figuren zu nahe - zumindest, wenn man seinem Biografen Stefan Grissemann Glauben schenkt.

Im neuen Seidl-Film geht es um Pädophilie

Sein neuer Film „SPARTA“ soll beim renommierten Filmfestival in Toronto am 9. September Weltpremiere feiern. Wobei „feiern“ der falsche Ausdruck ist: Es geht um Pädophilie, ein Thema, das heikler kaum sein könnte. Gedreht wurde unter anderem in Rumänien, neben dem großen Georg Friedrich mit lokalen Laiendarsteller:innen, darunter Kindern.

Und jetzt wird es wirklich unangenehm. Ein Team von Journalisten des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ erhob schwere Vorwürfe gegen Seidl. Den über ein halbes Jahr andauernden Recherchen zufolge sollen weder die am Film beteiligten Kinder noch deren Eltern korrekt über das Filmthema informiert worden sein. Ihnen sei erzählt worden, es gehe um Judo und Fußball. In einer Szene soll eines der Kinder von einem Alkoholiker angeschrien worden sein, mehr noch: Dieser soll versucht haben, dem Kind Alkohol einzuflößen. Laut „Spiegel“ eine traumatisierende Szene. Der 13-jährige Bub habe sich an seinen Vater erinnert gefühlt.

Es geht also um nicht weniger als einen schwerwiegenden Verstoß gegen Kinderrechte. So seien in Rumänien vorgeschriebene Auflagen zum Dreh mit Kindern wie etwa die Zustimmung von Kinderärzt:innen und Psycholog:innen nicht eingehalten worden. Natürlich muss man auf die Recherchen der Journalist:innen vertrauen, sonst könnte man den gesamten Berufsstand in Zweifel ziehen - und damit meine eigene Existenz.

Ulrich Seidl wehrt sich gegen die Vorwürfe

Wenn die Vorwürfe wahr sind, ist das Wort „Schweinerei“ noch viel zu kurz gegriffen. Am Zug ist jetzt bei Seidl, mit dem der „Spiegel“ allerdings nicht gesprochen haben soll. Der Regisseur wehrt sich jetzt, hat eine Klage angekündigt und auch ein Statement veröffentlicht, das zu einem nicht kleinen Teil aus einer Kurzzusammenfassung des Films besteht und dann in einer eher allgemein gehaltenen Erklärung und Verteidigung seiner Arbeitsweise übergeht.

„In allen meinen Filmen, in meinem gesamten künstlerischen Werk verlange ich nach Empathie für die Angeschlagenen und Abgestürzten, für die Abgedrängten und Geächteten: Ich stelle sie nicht an den (moralischen) Pranger, sondern fordere dazu auf, sie als komplexe und auch widersprüchliche Menschen wahrzunehmen“, so Seidl in seinem Statement.

„Meine Filme entstehen nicht, indem ich - wie der Artikel im „Spiegel“ nahelegt - Darsteller:innen manipuliere, falsch informiere oder gar missbrauche. Im Gegenteil: Ohne das Vertrauensverhältnis, das wir über Wochen und Monate aufbauen, wären die langen Drehzeiträume meiner Filme gar nicht denkbar. Ich habe größten Respekt vor allen Darsteller:innen und niemals würde ich Entscheidungen treffen, die ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden in irgendeiner Art und Weise gefährden“, heißt es weiter. Die Dreharbeiten hätten über ein Jahr gedauert. „Wie alle anderen Darsteller wurden selbstverständlich auch die Kinder und Jugendliche von mir niemals gedrängt, vor der Kamera Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten.“

Laut Ulrich Seidl gab es nach Drehschluss keine Beschwerde

Auch wurden die jugendlichen Laiendarsteller:innen dem Regisseur zufolge durchgehend betreut. „Neben dem Set gab es Ruhe- und Spielräume, wie wir das auch schon bei früheren Filmen ähnlich organisiert haben. Dort verbrachten sie die Zeit zwischen den Drehs, begleitet von pädagogisch geschultem Personal.“

Und jetzt wird es ganz wichtig: „Es ist kein Kind nackt oder in einer sexualisierten Situationen, Pose oder Kontext gedreht worden. Solche Szenen waren niemals meine Intention und wurden auch nicht gedreht. Nie haben wir beim Dreh die Grenzen des ethisch und moralisch Gebotenen überschritten.“ Ein paar Tage nach Drehschluss habe Seidl alle Kinder und deren Eltern besucht. Er hätte sich für ihre Beteiligung am Film bedankt. „Niemand hat eine Beschwerde, ein Unbehagen oder einen Vorwurf geäußert.“

Das „Spiegel“-Team hat bestimmt nicht umsonst über ein halbes Jahr recherchiert

Das alles ist ausführlich geschrieben, dennoch bleibt der Ball bei Seidl. Es ist an ihm, in direktem Kontakt mit dem „Spiegel“ zu versuchen, die Vorwürfe zu entkräften. Ansonsten klebt das für ewige Zeiten an ihm. Andererseits hat das „Spiegel“-Team wohl nicht umsonst über ein halbes Jahr recherchiert. Sollte auch nur ein Bruchteil der Ungeheuerlichkeiten stimmen, die dabei herausgekommen sind, ist nicht nur Seidls Karriere beendet, sein gesamtes Werk ist ruiniert. Auch die gesamte Filmbranche wird sich der Frage stellen müssen, wie mit Kindern hundertprozentig sicher am Set umegangen wird. Aber das ist eine andere Geschichte.

Und um noch weniger Feel-Good-Stimmung aufkommen zu lassen, sind hier 19 problematische Filme, die 2022 bestimmt nicht mehr so gedreht werden würden.

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