1. BuzzFeed.at
  2. News
  3. Meinung

„Eh nett“: Wieso wir alle viel netter sein müssen

Erstellt:

Von: Emily Erhold

Kommentare

Mann gibt einer Frau, die auf der Straße sitzt Geld. Vor ihm geht ein Bub.
Symbolbild: Wer nett ist, ist auch ein gutes Vorbild. © Volodymyr Tarasov/Imago

Viel zu lange schon wird das Wort „nett“ abwertend benutzt. Mittlerweile ist es zu einem Synonym für „langweilig“ geworden. Das ist schade. Denn Nettigkeit ist eigentlich eine Superkraft. Hier sind meine „2 Cents“ dazu:

Mich hat eine Freundin vor Kurzem gefragt, wie mein neues Gspusi so ist. „Sehr nett“, war meine Antwort. „Oh nein, das klingt nicht gut“, begegnete sie. Dabei war meine Antwort als Riesen-Kompliment gemeint. Es gibt zu wenige nette Menschen. Vor allem in einer Welt, in der gern und viel diskutiert wird, sollten wir alle wieder ein bisschen netter werden.

„Nett“: Die kleine Schwester von „schei*e“

„Nett“ ist eigentlich ein positives Adjektiv. „Freundlich und liebenswert, im Wesen angenehm“: So steht es im Duden. Eine nette Sache also. Und trotzdem fürchtet sich jeder und jede von uns, von anderen als „nett“ beschrieben zu werden. Denn „nett“ scheint in unserer Gesellschaft irgendwie zu einem Füllwort degradiert worden zu sein, das dann zum Einsatz kommt, wenn es nichts Interessantes zu sagen gibt. Wenn man nicht weiß, wie man jemanden beschreiben soll, dann ist er oder sie „ eh nett“. Übersetzt heißt das dann meist „langweilig“. Und wer will schon als fad bezeichnet werden? Das ist für viele fast noch schlimmer als tatsächlich beschimpft zu werden. Denn wer fad ist, der ist auch unsichtbar, uninteressant, kurz: einfach nicht der Rede wert.

„Nett“ ist also die kleine Schwester von „schei*e“. Für manche vielleicht sogar die große. Genug Leute da draußen wären immerhin lieber richtig beschissen als unscheinbar. Nettigkeit wird mit Schwäche assoziiert. Ich persönlich finde das schade. Denn gerade in einer Zeit wie unserer, in der die Fronten - egal ob politisch oder gesellschaftlich - so stark verhärtet sind, ist Nettigkeit eigentlich eine versteckte Superkraft. Es ist nicht einfach, nett zu sein - schon gar nicht, wenn man auf einen Menschen trifft, der eine komplett gegenteilige Meinung vertritt als man selbst.

Auf einen grünen Zweig kommen

Corona, Klimakrise, Gender diversity, Lakritze, Koriander, Rosinen: Es gibt viele Themen, die die Gesellschaft spalten. Die Meinungen der Leute sind dabei so unterschiedlich wie etwa die Grundwerte unserer zwei Regierungsparteien. Bei manchen Themen wird man dann auch noch emotional (Bei einer Diskussion um die Klimakrise vermutlich mehr als bei der Debatte um Rosinen im Müsli). Dementsprechend hitzig ist auch die Diskussionskultur - egal ob im Stammbeisl oder auf Social Media. Die eine versteht die andere nicht und beide reden aneinander vorbei.

Das Verständnis für andere ist ohnehin meist nur nebensächlich. Viel wichtiger ist es, die eigene Meinung laut zu äußern und dem Gegenüber aufzudrängen. Keine Zeit für Nettigkeiten oder Empathie. Viel zu wichtig und emotional ist die eigene Herzensangelegenheit. Die Stimmung in unserer Gesellschaft ist aufgeladen. Immer wieder kämpfen zwei Endbosse gegeneinander. Gewinner:innen gibt es meistens keine.

Ungeimpfte versus Geimpfte. Boomer versus GenZ. Feminist:innen versus alte weiße Männer. Treue Sebastian Kurz-Fans versus alle anderen. Es gibt viele Beispiele für öffentlich ausgetragene Diskussionen, bei denen die unterschiedlichen Vertreter:innen nicht mehr auf einen grünen Zweig kommen. Nett geht es dabei nur selten zu. Greta Thunberg, die Initiatorin der Fridays For Future-Bewegung, musste sich für ihren faktenbasierten Einsatz fürs Klima von erwachsenen Politikern beschimpfen und durch den Dreck ziehen lassen.

via GIPHY

Aber nicht nur auf politischer, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene wird, statt sachlich zu diskutieren, gerne einmal beschimpft und gestritten. Ich merke es auch an mir selbst. Bei gewissen Themen habe ich längst keine Geduld mehr und möchte die andere Person einfach nur anschnauzen, statt sie nett anzureden. Bestes Beispiel: Menschen, deren Maske frech unter die Nase gezogen ist. Die Überwindung, zu jemanden nett zu sein, dessen Handeln man selbst gar nicht nachvollziehen kann, ist schwer und erfordert eine starke Persönlichkeit. Wer in einer Welt wie unserer seine Nettigkeit noch nicht verloren hat, sollte eigentlich mit Cape herumlaufen und seinen eigenen Theme-Song haben.

Es wäre nett, wenn wir alle netter wären

Ich bin es gewohnt, viel zu diskutieren. Das liegt zum einen an meinem Beruf und daran, dass ich einen ernsten und tiefen Grant gegen das Patriarchat hege, zum anderen daran, dass ich in einer großen Familie mit vier Brüdern aufgewachsen bin, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Vor allem aber liegt es daran, dass in den letzten Jahren jeder Pub-Abend, jedes Essen bei Freund:innen und jeder Lockdown-Spaziergang mit einer Grundsatzdiskussion geendet hat. Was mir dabei aufgefallen ist? Egal, welche Meinung mein Gegenüber vertreten hat - wer nett zu mir war, konnte mich eher von seinen Beweggründen überzeugen.

Mit „nett“ meine ich aber nicht die geheuchelte Höflichkeit, die wir uns alle im Seminar auf der Uni antrainiert haben, damit alles zivilisiert über die Bühne geht. Ich meine damit viel mehr eine Freundlichkeit und Empathie, die von Herzen kommt. Nett ist, wer „wie geht‘s dir fragt“ und die Antwort hört. Nett ist, wer auf der Straße angesprochen wird, und nicht gleich abwinkt. Nett ist, wer die Beweggründe von Menschen versucht, zu verstehen.

Und diese Superkraft hat nicht jeder Mensch. Wer sie besitzt, sollte sie sich unbedingt beibehalten. Wer jemanden kennt, der nett ist, sollte diesen Menschen nie wieder gehen lassen. Egal ob Kolleg:in, Freund:in oder Gspusi. Wer sie noch nicht hat, sollte sich das nächste Mal eine Frage stellen, die wir alle noch aus unserer Kindheit kennen: „Wie möchte ich von anderen behandelt werden?“ Denn am Ende wollen wir doch alle eine nettere Welt.

Auch interessant

Kommentare