22 Fragen an Michael Brunner: „Als Bundespräsident sollte es möglich sein, einzelne Minister zu entlassen“

Michael Brunner, Kandidat zur Bundespräsidentenwahl 2022, im großen Interview mit BuzzFeed Austria.
Die 300 Quadratmeter große Anwaltskanzlei mitten im 1. Wiener Gemeindebezirk gleicht einem kleinen Kunstmuseum. Dort arbeitet Michael Brunner, Parteichef der MFG und Kandidat zur Bundespräsidentenwahl 2022. Im Vergleich zu den meisten seiner Kontrahenten ist der 61-jährige Rechtsanwalt der breiten Öffentlichkeit kein bekanntes Gesicht, die politischen Erfolge seiner impfkritischen Partei sprechen allerdings eine andere Sprache. Im Interview mit BuzzFeed Austria spricht Brunner über seine Einstellung zur Europäischen Union, MFG-interne Streitigkeiten und welchen der anderen Kandidaten er auf einen gemeinsamen Besuch in die Oper einladen würde.
22 Fragen an ...
... ist die Interview-Serie von BuzzFeed Austria zur Bundespräsidentenwahl 2022. Alle sieben Kandidaten haben die Möglichkeit, sich unseren Lesern und Leserinnen näher vorzustellen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz haben die Einladung aus Termingründen abgesagt. Heinrich Staudinger und Tassilo Wallentin haben auf unsere Anfrage (und Nachfrage) nicht geantwortet.
BP-Wahl 2022: 22 Fragen an Michael Brunner
1. Was unterscheidet Michael Brunner, den Rechtsanwalt, von Michael Brunner, dem Politiker?
Der Rechtsanwalt war bisher rein in rechtlichen Angelegenheiten tätig. Ich vertrete Privatpersonen und Unternehmen, die zum Teil bereits in der vierten Generation sind. Im Zuge der Corona-Maßnahmen habe ich erkannt, dass der rechtliche Weg sehr schwierig ist, um hier eine rasche Veränderung herbeizuführen bzw. kommt man so kaum oder erst sehr spät zum Ziel. Daher habe ich mich entschlossen, den politischen Weg zu gehen. Darum habe ich die Partei gegründet.
2. Ein Jahr ist es her, als die MFG bei den Landtagswahlen in Oberösterreich ihren ersten großen Erfolg feierte. Was hat sich seitdem in Österreich geändert?
Aus politischen Kreisen weiß ich, dass geplant war, die Corona-Testungen kostenpflichtig zu machen. Nachdem wir am 26. September 2021 mit 6,23 Prozent den Sieg errungen hatten, haben die anderen Parteien - insbesondere die Regierungsparteien - davon Abstand genommen, diese Testungen kostenpflichtig zu machen. Durch unseren Einzug in den oberösterreichischen Landtag wurde ihnen bewusst, dass die Bevölkerung mit ihrer Politik nicht mehr einverstanden ist. Eine Wahl bedeutet immer auch einen Neustart.
3. Sie sind also der Ansicht, die gesundheitspolitischen Änderungen der Bundesregierung basieren auf dem politischen Druck der MFG und nicht auf der Impfung?
Die Corona-Maßnahmen wurden sukzessive entschärft. Das führe ich auch auf die MFG zurück. Nach den Gemeinderatswahlen in Tirol hieß es in den Medien, ein Gespenst namens MFG ginge herum. Wir haben den etablierten Parteien gehörig eingeheizt. Dass die Impfpflicht gefallen ist, war ein wesentlicher Verdienst der MFG. Ich habe auf allen Kundgebungen angekündigt, dass wir der Bevölkerung alle möglichen Muster zur Verfügung stellen, damit sie selbst Einsprüche, Beschwerden und Impfbefreiungsanträge einbringen können. Die Verfahren wären nie zu einem Ende gekommen, stattdessen wäre es wohl zu einem Lockdown der Bürokratie gekommen.
4. Eines Ihrer großen Wahlversprechen lautet die „Wiederherstellung des Rechtsstaates und der Demokratie“. Wenn Österreich keine Demokratie wäre, dann würden ja am 9. Oktober keine Bundespräsidentenwahlen stattfinden, oder?
Das ist schon richtig, nur sind wir international zu einer Wahldemokratie abgestuft worden. Wir können in Österreich zwar wählen gehen, aber letzten Endes nichts mehr tatsächlich mitbestimmen oder verändern. Das haben die letzten zweieinhalb Jahre gezeigt. Es wurde über den Rechtsstaat einfach drübergefahren. Grund- und Freiheitsrechte wurden ohne Evidenz-Basis eingeschränkt bzw. abgeschafft. Das wurde vom Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen auch bereits festgestellt.

5. In Ihrer Jugend wollten Sie eigentlich Schauspieler werden, haben Sie in einem „News“-Interview gesagt. Besonders Opern sind Ihre Leidenschaft. Welchen der anderen sechs Kandidaten würden Sie am liebsten auf einen gemeinsamen Abend in der Wiener Staatsoper einladen?
Politisch gesehen befürworte ich keinen einzigen der anderen Kandidaten. Persönlich kann ich wenig dazu sagen, weil ich sie nicht kenne, sondern nur kurz bei der ORF-Diskussionsrunde kennengelernt habe. Alexander Van der Bellen habe ich überhaupt noch nie kennengelernt. Ich würde denjenigen einladen, der sich für die Oper interessiert, weil dann habe ich sicherlich ein spannendes Gespräch. Herr Dr. Wlazny wird es nach seinem Musikgeschmack wohl nicht sein. [lacht]
6. Ein emotionales Thema beim diesjährigen Wahlkampf ist jedenfalls die Europäische Union. Während manche Kandidaten klar proeuropäisch sind, versprechen andere Kandidaten, falls sie gewinnen sollten, den fixen Austritt Österreichs aus der Union. Sie haben in einem Interview mit der „Presse“ gesagt, „über einen EU-Austritt sollte man zumindest diskutieren dürfen“. Also sind Sie jetzt für oder gegen die EU?
Ich bin EU-kritisch. Grundsätzlich halte ich den europäischen Gedanken für einen großartigen Gedanken. Das, was die EU daraus gemacht hat, ist aber alles andere als ein geeintes, wirtschaftlich starkes Europa. Sie ist der Initiator der Sanktionspolitik gegen Russland. Das führt die Bevölkerung durch die Teuerungs- und Energiekrise in die Armut. Jemand, der Waffen in ein kriegsführendes Land liefert, betreibt Kriegshetze und keine Friedenspolitik. Bei einer solchen EU müssen wir eine öffentliche Diskussion beginnen, ob wir in der EU verbleiben sollen oder nicht - selbstverständlich auch mit Fachleuten.
7. Weil Sie die Waffenlieferungen erwähnt haben: Österreich selbst liefert ja keine Waffen an die Ukraine. Der Aggressor dieses Krieges ist zudem Russland und nicht die Ukraine - oder sehen Sie das anders?
Russland hat unbestritten einen Krieg begonnen. Jeder Krieg ist zu verurteilen. Die EU hätte nur nicht mit Sanktionen beginnen brauchen. Schon im März habe ich gesagt, dass sich diese Sanktionen gegen die eigene Bevölkerung richten werden. Das hat sich bewahrheitet. Es ist einfach der falsche Weg. Die eigene Wirtschaft wird zerstört. Russland hat neue Kooperationspartner gefunden und eine neue Wirtschaft festigen können. Wo ist hier ein Erfolg der Sanktionen zu sehen? Ich sehe nur, dass sich viele Menschen in Österreich die Lebenskosten nicht mehr leisten können.
8. Wie Sie schon gesagt haben und so steht es auch in Ihrem Wahlprogramm: Krieg sei allgemein zu verurteilen. Wenn Sie Bundespräsident wären, würden Sie Wladimir Putin in die Wiener Hofburg einladen?
Ich würde zu allen Kriegsparteien fahren. Ich würde sowohl Russland als auch die Ukraine besuchen - genau so die indirekten Kriegsparteien, die EU und die USA. Ich sehe es nämlich als die Aufgabe des Bundespräsidenten eines neutralen Staates, eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik zu betreiben.

9. Was bedeutet Solidarität für Sie?
Die Rücksichtnahme auf andere Personen.
10. Ihre Dissertation in Jus haben Sie über die Polizei geschrieben. Der oberste Chef der österreichischen Polizei ist Innenminister Gerhard Karner. Hätte er sich Ihrer Meinung nach bei der damals 12-jährigen Tina für die rechtswidrige Abschiebung entschuldigen müssen?
Es widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention, wenn derartige Verfahren unangemessen lange dauern. Ich finde es nicht mehr richtig, hier dann in einer Nacht- und Nebelaktion Menschen, die sich in Österreich integriert und einen Lebenskreis aufgebaut haben, einfach abzuschieben. Ich trete entschieden gegen illegale Grenzübertritte auf. Ich habe auch kein Verständnis für Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn es sich der österreichische Staat aber zuschulden kommen lässt, dass hier ein Verfahren vier bis fünf Jahre lang dauert, dann kann das nicht mit einer Abschiebung enden.
11. Als Bundespräsident würden Sie die gesamte Regierung entlassen. Kann sich Österreich einen erneuten Wahlkampf und Neuwahlen in so schwierigen Zeiten, wie wir sie gerade haben, wirklich erlauben?
Wir sind in schwierigen Zeiten, weil wir eine völlig inkompetente Regierung haben, die Rechtsbrüche begangen hat. Wir müssen zuerst mal die Ursache beenden, nur dann können wir einen Neuanfang starten. Als Bundespräsident kann man aufgrund der Rechtslage nur den Bundeskanzler oder die gesamte Bundesregierung entlassen. Ich plädiere dafür, dass es einem Bundespräsidenten auch möglich sein sollte, einzelne Minister zu entlassen. Dieses Recht hat er heute aber nicht.
12. Abgesehen von der Bundesregierung - gibt es im derzeitigen Nationalrat gewisse Politiker:innen, dessen Angelobung Sie als Bundespräsident verweigern würden?
Das kann ich jetzt nicht sagen. Wenn die Regierung abberufen wird, wird es zwangsläufig zu Neuwahlen kommen. Dann werden die Karten völlig neu gemischt, der Volkswille wird neu abgebildet. Je nach den Verhältnissen wird sich dann eine Regierung bilden. Ich werde selbstverständlich mit jedem sprechen.
13. Ist die Corona-Pandemie vorbei?
Der damalige Chef der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Franz Allerberger, hat einen Monat vor Pensionsantritt gesagt, wenn wir nicht so viel getestet hätten, hätte niemand etwas von einer Pandemie gewusst. Der gesamten Pandemie liegt ein nicht zugelassener PCR-Test zugrunde. Bei asymptomatischen Personen kann nämlich keine Infektion nachgewiesen werden. Daher ist das Instrument zur Feststellung einer Pandemie völlig ungeeignet.
14. Die GECKO-Kommission erwartet im Herbst eine sogenannte „Twindemic“, also gleichzeitig steigende COVID-19- und Grippeinfektionszahlen. Bereiten Ihnen diese Vorhersagen der Expertinnen und Experten gewisse Sorgen?
Ich halte diese Personen nicht für Experten, sondern bestenfalls für Systemexperten.

15. Die MFG haben Sie 2021 gestartet, um eine Kraft gegen „wissenschaftswidrige Maßnahmen“ zu bilden. Deshalb haben Sie auch einen eigenen wissenschaftlichen Beirat gegründet. Zu Beginn war Getraud Berka-Schmid die einzige Person in diesem Beirat aus dem Gesundheitsbereich. Sie war vor allem als Lehrtherapeutin für Funktionelle Entspannung und Professorin für Gesang tätig. Werden Sie von Frau Berka-Schmid immer noch beraten?
Frau Berka-Schmid ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatten wir mehr Mitglieder, nur nicht alle auf der Homepage. Heute haben wir aus allen Disziplinen ungefähr 150 Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates. Unabhängig von diesen Mitgliedern haben wir auch immer mit Ärzten zusammengearbeitet - zum Beispiel DDr. Fiala, der stellvertretender Parteiobmann unserer Partei ist.
16. Inwiefern werden Sie von Frau Berka-Schmid beraten? Weil der Lebenslauf einer Forscherin, die sich in Fragen zur Bekämpfung der Pandemie auskennt, sieht wohl anders aus.
Sie berät uns beispielsweise bei internen Problemen, wenn Menschen innerhalb der Partei nicht miteinander harmonisieren. In Niederösterreich ist sie zudem unsere interimistische Landessprecher-Stellvertreterin.

17. Weil Sie die internen Probleme erwähnt haben. Im letzten halben Jahr hat es immer wieder parteiinterne Streitigkeiten in der MFG gegeben. Wenn Sie es nicht einmal schaffen, das Chaos in Ihrer eigenen Partei zu managen, wie sollten Sie dann als Bundespräsident ganz Österreich führen können?
Es gab in unserer Partei nie ein Chaos. Das ist völlig normal. Entweder stellen die Personen selbst fest, dass es nicht harmonisiert, oder unsere Linie entspricht nicht ihrem Programm. Dann muss man sich im Einvernehmen trennen. Ich wollte mich nie von Personen lautstark trennen, sondern mit Anstand und Würde im Gespräch. Wenn Einzelpersonen als Anarchos auf ihrem Ego-Trip sofort zu den Medien laufen und gegen die MFG Stimmung machen, ist das aber kein Chaos, sondern nur die Bestätigung, dass es richtig war, sich von der Person zu trennen.
18. Führen Sie diese Vorfälle auf die impfkritischen Ansichten Ihrer Partei zurück?
Gerade im sogenannten Corona-Widerstand finden sich sehr viele Personen, die auch eine eigene Persönlichkeitsstruktur haben, strikt ihre Linie verfolgen und nicht unbedingt teamfähig sind. In der Partei brauche ich aber nicht nur jemanden, der im Sinne unserer Partei aktiv ist und unsere Gedanken mitträgt, sondern der muss auch ins Team passen.
19. Auf welcher Social-Media-App sind Sie am liebsten?
Ich bin kein großer Techniker. [lacht] Am meisten bin ich wohl auf Telegram und YouTube.
20. Auf Ihrer Webseite steht, dass man „den Leitmedien“ nicht trauen dürfe. Damit meinen Sie sicherlich auch den ORF. Warum haben Sie dann an der großen Diskussionsrunde am 11. September überhaupt teilgenommen?
Die Bevölkerung muss nun mal aufgeklärt werden, wer als Kandidat antritt und welche Inhalte er vertritt. Nur deswegen, weil ich den ORF kritisiere, werde ich trotzdem teilnehmen, um mich der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Der ORF ist nun mal ein öffentlich-rechtlicher Sender und dazu verpflichtet, die Kandidaten vorzustellen. Er ist aber auch verpflichtet, objektiv zu berichten, was er nicht tut. Das führt aber nicht logischerweise dazu, dass ich mich vor dem ORF verstecke.

21. Mit welchem Emoji würden Sie Ihre Stimmungslage so kurz vor der Wahl beschreiben?
Ich bin immer ein ausgeglichener und fröhlicher Mensch. Also mit einem Smiley und einem Daumen hoch.
22. Die meisten Prognosen der letzten Wochen haben Sie bei zwei bis vier Prozent. Was ist Ihr Wahlziel für den 9. Oktober?
Ich blicke dem 9. Oktober mit großem Interesse entgegen. Für mich ist das Wahlergebnis ausschlaggebend - und nicht irgendwelche Prognosen, die davon abhängig sind, wer sie mit welchen Vorgaben beauftragt hat. Ich gehe mit Hoffnung und Freude in diesem Wahlkampf weiter voran und warte den Wahltag ab. Natürlich möchte ich Van der Bellen in die Stichwahl zwingen und ihn dann besiegen. Dazu bin ich ja angetreten. Das weiß ich aber frühestens am 9. Oktober bzw. am 6. November bei der Stichwahl.
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