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Warum es so verdammt schwierig ist, die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen

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Von: Johannes Pressler

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Links der Völkerrechtsexperte Ralph Janik, rechts im Bild ein österreichischer Reisepass.
Der Völkerrechtsexperte Ralph Janik erklärt euch, warum das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz so streng ist. © Elisabeth Pfneisl/CHROMORANGE/Imago

Wenn es um den Zugang zur Staatsbürgerschaft geht, gehört Österreich zu den schlechtesten Ländern auf der ganzen Welt. Warum das so ist, wollten wir von Völkerrechtsexperten Ralph Janik wissen.

Ob in der Wirtschaft, dem Gesundheitssystem oder beim Skifahren - Österreich bezeichnet sich selbst nur allzu gerne als internationaler Spitzenreiter. Wenn es um den Zugang zur Staatsbürgerschaft geht, gibt es aber kaum ein Land, das so schlecht abschneidet wie Österreich. Das zeigt das Ergebnis einer Studie des Migrant Integration Policy Index (MIPEX), die sich 2020 den Zugang zur Staatsbürgerschaft in insgesamt 56 Ländern angesehen hat.

Am leichtesten zu einer Staatsbürgerschaft kommt man in Neuseeland, Brasilien und Argentinien. Deutschland platziert sich im Mittelfeld. Und wo landet unsere geliebte Bananenrepublik? Genau, Österreich ist gemeinsam mit Bulgarien europäisches Schlusslicht. Von insgesamt 56 untersuchten Ländern erhielten nur die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien eine schlechtere Bewertung.

Was ist da bitte los? Warum macht es Österreich den Menschen so schwer, die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen? Und welche Rolle spielt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dabei? Das haben wir den Universitätslektor und Völkerrechtsexperten Ralph Janik gefragt.

Herr Janik, wenn es um den Zugang zur Staatsbürgerschaft geht, gehört Österreich zu den strengsten Ländern auf der gesamten Welt. Warum ist es so schwierig, die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen?

Das hat zwei Gründe. Zum einen liegt es an den sehr einschränkenden Gesetzen, wenn es um die Verleihung der Staatsbürgerschaft auf Antrag geht. Das heißt, dass wir sehr hohe Erfordernisse für den Fall haben, dass jemand österreichische:r Staatsbürger:in werden möchte. Damit in Verbindung steht, dass wir in Österreich nicht dazu bereit sind, eine Doppelstaatsbürgerschaft zuzulassen. Nur von Geburt an ist das möglich. Menschen, die Österreicher:innen werden möchten, werden dazu gedrängt, ihre andere Staatsbürgerschaft aufzugeben. Und zu all dem kommt noch der zweite große Grund: Das sind die Mängel in der Verwaltung und dem Vollzug. Da wird teilweise ein sehr schlechter Job gemacht. In Österreich regeln wir also nicht nur den Zugang zur Staatsbürgerschaft sehr streng, sondern sogar für die, die diese strengen Regeln erfüllen, ist es sehr anstrengend und langwierig, die Staatsbürgerschaft dann tatsächlich zu bekommen.

Was meinen Sie mit den hohen Erfordernissen, die es beim Antrag zur Staatsbürgerschaft in Österreich gibt?

Die österreichische Staatsbürgerschaft ist in einem Gesetz festgelegt, das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985. Darin steht, dass man eine bestimmte Anzahl an Jahren im Land gelebt haben muss, entsprechend integriert sein und eine gewisse Summe verdienen muss, damit man dem Staat sozusagen nicht finanziell zur Last fällt. Diese ganzen Erfordernisse sind in Österreich eben sehr streng. Man möchte also den Wert der Staatsbürgerschaft nicht mindern. Dafür nimmt man allerdings in Kauf, dass viele Menschen schon lange hier leben und sich als Österreicher:innen fühlen. Sie sprechen Wienerisch, Vorarlbergisch oder welchen Dialekt auch immer, aber weil sie diese Erfordernisse nicht erfüllen, die im Staatsbürgerschaftsgesetz festgesetzt sind, bekommen sie die Staatsbürgerschaft nicht.

Ralph Janik im Porträt.
„In Österreich regeln wir nicht nur den Zugang zur Staatsbürgerschaft sehr streng, sondern sogar für die, die diese strengen Regeln erfüllen, ist es sehr anstrengend und langwierig, sie dann tatsächlich zu bekommen“, sagt Experte Ralph Janik. © Elisabeth Pfneisl

Ein weiteres Problem ist die Doppelstaatsbürgerschaft. Warum gibt es in Österreich diese negative Einstellung gegenüber der doppelten Staatsbürgerschaft?

Meine These ist, dass dieses Problem in Österreich mit dem hohen Bevölkerungsanteil türkischstämmiger Menschen begründet wird. Die Türkei ist nämlich das Land, das am aktivsten Politik mit türkischen Menschen im Ausland betreibt. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirbt sehr stark darum, dass diese Menschen auch weiterhin an türkischen Wahlen teilnehmen. Auf der anderen Seite soll die Integration im neuen Land erschwert und die türkischen Traditionen von den Menschen nicht aufgegeben werden. Es ist grundsätzlich ja vollkommen in Ordnung, wenn sich Menschen eine Verbindung zu ihrer ursprünglichen Heimat behalten wollen. Das sollen sie sogar, das ist ja etwas Schönes. Es ist nur ein Problem, wenn man das politisch ausnutzt und den Leuten quasi nahelegt, dass sie nicht „zu österreichisch“ werden sollten, weil sie sonst ihr Türkentum „verraten“ würden. Österreich kann jetzt aber auch nicht einfach sagen, dass man nur die Doppelstaatsbürgerschaft türkischstämmiger Menschen verbietet. Das geht nicht. Also entweder für alle oder für niemanden.

Diasporapolitik

Unter Diasporapolitik versteht man das politische Verhalten von ethnischen und/oder religiösen Minderheiten und ihre Beziehung sowohl zu ihrem Herkunftsland als auch zu dem Land, in dem sie jetzt leben. Herkunftsländer versuchen dabei zum Beispiel, ihre Vereine in den anderen Ländern zu bespielen oder Veranstaltungen zu organisieren.

Macht das nur Erdoğan oder betreiben auch andere Länder eine derartige Diasporapolitik?

Das macht nicht nur Erdoğan. Auch andere Länder wie Serbien haben eigene eigene Abteilungen in Ministerien, die sich um die Diaspora kümmern. So offensiv wie die Türkei macht es in Österreich aber kein anderer Staat.

Wie steht Österreich bei der Doppelstaatsbürgerschaft im europäischen Vergleich da?

In Europa sind gehören wir zu den 20 Prozent der Länder, die Doppelstaatsbürgerschaften sehr restriktiv handhaben. Wenn jemand zum Beispiel das Kind einer Österreicherin und eines Schweizers ist, da legt Österreich bei der Doppelstaatsbürgerschaft gar keine Steine in den Weg. Es ist nur dann schwierig, wenn man später Österreicher:in werden möchte. Laut einer Studie der Universität im niederländischen Maastricht haben mittlerweile 76 Prozent der Länder eine tolerantere Ansicht, was Doppelstaatsbürgerschaften auf Antrag und nicht nur von Geburt an betrifft. Österreich ist da in einer Minderheitsposition.

Die MA 35

Wenn man in Wien zum Thema Einwanderung oder Staatsbürgerschaft etwas klären muss, dann ist die MA 35 die dafür zuständige Behörde.

Die Mängel in der Verwaltung und dem Vollzug haben sie ja bereits erwähnt. Damit in Verbindung steht die immer wieder kritisierte MA 35. Was läuft da genau schief?

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist Landessache. Das macht also kein Ministerium für ganz Österreich, sondern die Bundesländer einzeln. Wien ist ein bekanntes Beispiel, weil hier die Verleihung der Staatsbürgerschaft sehr lange dauern soll. Es gibt sogar Berichte, dass die Verantwortlichen systematisch nicht ans Telefon gehen würden. Anscheinend wird dort den Menschen das Gefühl gegeben, dass man sich nicht unbedingt darüber freut, wenn jemand österreichische:r Staatsbürger:in werden möchte. Dabei könnte man das ja als etwas Positives sehen. Jemand möchte ganz aktiv Teil unseres Landes werden, das ist ja eigentlich ein Kompliment. Anscheinend sind wir aber politisch der Meinung, dass die meisten Menschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft wollen, nur den Staat ausnutzen wollen. Das ist leider ein weit verbreitetes Bild.

Es gibt sogar Berichte, dass die Verantwortlichen systematisch nicht ans Telefon gehen würden. 

Menschenrechtsexperte Ralph Janik über die MA 35

Was wären für Sie also die ersten wichtigen Schritte für eine Verbesserung des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Österreich, wenn der politische Wille vorhanden wäre?

Sie sagen es, wenn der politische Wille da wäre. Ich muss ehrlich sagen: Ich weiß es nicht. Natürlich könnte man das Ganze mit einer weniger langen Aufenthaltsdauer oder mit geringeren finanziellen Kosten etwas lockern. Natürlich könnte man die Doppelstaatsbürgerschaft einfach zulassen. Ich tue mir da aber ganz schwer, weil ich notwendigerweise immer daran denke, ob das politisch überhaupt möglich sei. Deswegen würde ich mir in erster Linie wünschen, darüber eine nüchterne Debatte zu führen und nicht gleich auszuflippen, wenn irgendeine Partei einen Veränderungsvorschlag zumindest mal anspricht. In Wien werden sehr viele Menschen aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von Wahlen ausgeschlossen. Das ist demokratiepolitisch höchst ungesund. Man braucht aber nicht glauben, dass die neuen Staatsbürger:innen automatisch die SPÖ oder die Grünen wählen würden. Dafür gibt es überhaupt keinen Beleg.

Selbst die FPÖ konnte bei Wahlen immer wieder gewisse Teile dieser Bevölkerungsgruppen für sich gewinnen.

Ja, wir haben einen totalen Ethnowahlkampf. Die FPÖ versucht ganz aktiv, die serbischstämmige Community anzusprechen, die SPÖ wiederum stärker den türkischstämmigen Teil und die Grünen vielleicht eher bei den kurdischstämmigen Gruppen. Ich halte überhaupt nichts von Ethnopolitik. Man sollte die Menschen eigentlich auf einer Sachebene ansprechen, nicht auf einer nationalistischen.

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