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Wo Diversity in der Modewelt wirklich gelebt und wo sie nur als Marketingzweck benutzt wird

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Von: Sophie Marie Unger

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Gisele Ntsama vom Kollektiv „Black Lives Matter in Italian Fashion“ und ihre Models filmen ihre Fashion Show für die Mailänder Fashion Week.
Das Filmprojekt der nigerianischen Modeschöpferin Claudia Gisele Ntsama für die Mailänder Fashion Week © Luca Bruno/APA Picturedesk

Die Modebranche ist ein Problemkind, wenn es um Rassismus geht. Hier erfährt ihr, welche Labels hinsichtlich Diversity noch viel tun müssen, welche sich wirklich dafür einsetzen und was das alles mit Virgil Abloh zutun hat.

Gleich vorweg: Es ist schlimm, dass wir noch immer darüber reden müssen, dass Rassismus weiterhin Menschen tötet. Die „Black Lives Matter“-Bewegung und viele weitere Kampagnen und große Institutionen wie die National Association for the Advancement of Colored People bringen extrem viel Kraft auf, um gegen den strukturellen Rassismus in der Gesellschaft vorzugehen. Spannend ist dabei vor allem, wie unterschiedlich teils umstrittene Branchen damit umgehen. Anlässlich des überraschenden Tods von Off-White-Designer Virgil Abloh wollen wir uns diesbezüglich der Modewelt widmen und hinterfragen, inwieweit der Kampf für eine gleiche Gesellschaft dort geführt wird.

Diversity ließ in der Modewelt lange auf sich warten

Wir wissen alle, dass die Modebranche sicherlich zu den Problemkindern im Umgang mit Rassismus gehört. Das System Mode und die entsprechende Marketingmaschinerie arbeiteten lange Zeit ausschließlich für weiße Zielgruppen. Auf den Titelseiten der Magazine und auf den Laufstegen tummelten sich vor allem Models mit heller Haut. Die Köpfe hinter Luxusmarken sind meistens noch immer weiß und auch die Mehrheit der Top-Designer:innen ist weiß.

Aber allein auf der Alltagsebene muss man nicht lange suchen, um diskriminierende Beispiele zu finden. So sind in der Drogerie bspw. haufenweise Nude-Töne vorhanden, während dunkle Nuancen kaum zu finden sind. Vor diesem Hintergrund wundert es wohl keinen, dass erst vor ca. 10 Jahren ein schrittweises Umdenken in der Modewelt passierte. Für die São Paulo Fashion Week wurde damals nämlich im Zuge der Gründung der „Diversity Coalition“ eine Quote für Schwarze Models eingeführt.

Die Macht der Mode

Manch einer wird an dieser Stelle vielleicht denken: Es ist ja nur Kleidung, warum das Drama? Aber so ist es nicht ganz, denn Mode hat die Chance, Veränderung, Gerechtigkeit und Chancengleichheit mitzugestalten. Warum? Weil Mode mehr als viele andere Branchen den Zeitgeist beeinflusst und so Haltungen entwickeln kann.

Viele junge Menschen verkörpern ihre Persönlichkeit durch Mode und gewinnen so unter anderem ihr Selbstbewusstsein. Die Community der People of Color (BIPoC) selbst hat dazu sogar einen Hashtag ins Leben gerufen: #representationmatters. Also Sichtbarkeit und Repräsentiert-Sein sind heutzutage einfach entscheidend. Schwarze Menschen sollten demnach viel stärker auf den Laufstegen, in führenden Positionen bei Labels und als Chef-Designer:innen vertreten sein, damit sie als Vorbilder fungieren und so zur Persönlichkeitsbildung beitragen und dadurch wiederum einen nachhaltigen Wandel anstoßen können.

Der harte Kampf für eine chancengleiche Modewelt

Mit der Einführung der „Diversity Coalition“ war zumindest ein kleiner Schritt getan. Aber nur langsam fing die Modebranche an den immer lauter werdenden Rufen nach Diversität gerecht zu werden. 2013 zogen Ex-Model Bethann Hardison, sowie Naomi Campbell und Iman im Rahmen der New Yorker Fashion-Week die Kampagne „Balance Diversity“ auf. “We just want balance, end of story. I won’t do an all-black show, for instance, because it would be hypocritical given what I’ve stood for, for so long. Balanced inclusion.” Damit deuteten sie darauf hin, dass es ihnen lediglich um Ausgewogenheit, um Gleichberechtigung geht.

Doch immer wieder gibt es herbe Rückschläge. Das zeigt etwa der extreme Fall eines Blackfacing-Vorwurfs im Februar 2017 bei Gucci. Das Designermodelabel präsentierte einen schwarzen „Balaclava“-Pullover aus der Herbst/Winter. Der Kragen ließ sich, ähnlich wie bei einer Sturmhaube bis über die Nase ziehen, während eine rot umrandete Öffnung den Mund freilegte. Dies löste eine Welle der Empörung aus, was dazu führte, dass Gucci sich entschuldigte und den Pullover sofort aus dem Sortiment warf.

Ähnlich in die Kritik geraten sind kürzlich viele Brands, die sich am Blackout Tuesday beteiligten. Die Aktion, die ursprünglich in der Musikindustrie als Reaktion auf die Morde an George Floyd, Ahmaud Arbery und Breonna Taylor organisiert wurde, griffen auch viele Modelabels auf. Am 2. Juni 2020 luden daraufhin viele Brands komplett schwarze Bilder in ihren Social Media-Feeds hoch oder stellten sie als Profilbilder ein.

Einige engagierten auf die Schnelle Schwarze Models für bestimmte Kampagnen, was jedoch nur die Werbetrommel zum Kochen brachte, strukturell aber nicht veränderte. Denn eineinhalb Jahre später wurden die meisten Bilder wieder gelöscht. Doch gibt es überhaupt Modelabels, die sich dem tatsächlichen Kampf gegen Rassismus verschrieben haben?

Mode-Brands, die Diversity nicht nur als Marketing-Gag sehen

Die Antwort darauf lautet: Jein! Einerseits gelingt es der Modeindustrie zunehmend besser, die menschliche Vielfalt abzubilden. Andererseits wird dabei aber oft der humane Aspekt hintenangestellt und vor allem aufgrund der Kaufkraft gehandelt. So gab der Sportartikelhersteller Reebok auf Instagram zu, dass man „ohne die Black Community nicht existieren würde“. Aber wenigstens packte das Sportunternehmen einen detaillierten Plan, wie man strukturell gegen Rassismus vorgehen kann, obendrauf. So will man in den nächsten fünf Jahren 15 Millionen US-Dollar in Black Communities investieren und 30 Prozent der offenen Stellen mit People of Color besetzen.

Auch Nike bemüht sich seit einigen Jahren, noch besser auf Black Communities einzugehen. In einem extra Spot hat das Sportlabel hinsichtlich des Mordes an George Floyd seinen berühmten Slogan „Just do it“ abgeändert: „For once, don’t do it“, heißt es da. Diesmal sollte man nicht einfach so tun, als gäbe es kein Problem in Amerika. Nike will in den nächsten vier Jahren 40 Millionen US-Dollar an die Black Community in den USA spenden, und Fila hat sogar eine Spende in Höhe von 100.000 US-Dollar an Black Lives Matter angekündigt.

Luxuslabels tun sich da noch etwas schwer. Wie eingangs schon erwähnt, stehen hier noch vorwiegend weiße Zielgruppen im Mittelpunkt, obwohl die größten Wachstumsmärkte für Firmen wie Dior, Chanel oder Gucci nachweislich in Asien und Afrika liegen.

Als Problemerkenner hat sich jedoch die Marke Tommy Hilfiger hervorgetan. Das Unternehmen lud seine Follower:innen ein, auf seiner Online-Plattform Vorschläge zu bringen, wie man am besten einen Beitrag hinsichtlich Diversität leisten könne. Am Ende des Tages entschied Tommy Hilfiger, 100.000 US-Dollar an die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) zu spenden. Zudem gründete man intern das People’s Place Program, das BIPoC in der Mode- und Kreativbranche fördern will.

Wieso wir Virgil Abloh vermissen werden

Und an dieser Stelle bleiben halt leider nur recht wenige Modelabels übrig. Doch eine Person hat sich hier als federführend herausgestellt: Architekt, DJ und Star-Designer Virgil Abloh. Sein plötzlicher Tod reißt ein großes Loch in die Kreativ-Welt. Denn Virgil Abloh kreierte modetechnisch nicht nur unverwechselbare Looks, sondern beeinflusste eine gesamte Generation. Doch was war es, das ihn so eindrücklich und prägend machte? Er hatte die Fähigkeit, die als so unflexibel geltende Branche endlich formbarer zu machen, ihr einen Twist, eine neue Perspektive in Richtung mehr Menschlichkeit mit auf den Weg zu geben.

Mit Hilfe der Black Communtiy konnte er überhaupt erst Fuß in der komplexen Designer-Welt fassen. Alles begann als er dabei auf Rapper Kanye West traf. Er wurde sein Kreativdirektor und schuf einige seiner Albumcovers, wie auch für das zuletzt erschienene Album Donda. 2012 gründete Virgil seine erste eigene Modelinie Pyrex Vision, welche später dann zum Label Off-White wurde. Sein größter Schritt sollte aber jener zu Luxus-Label Louis Vuitton. Dort war er bis zuletzt der erste schwarze künstlerische Leiter der Männerlinie. Doch was zeichnete ihn aus?

Virgil Abloh hat als Sohn ghanaischer Einwanderer nie vergessen, wo er herkam. So habe ihm seine Mutter das Schneidern beigebracht und das betonte er auch Jahre später noch stolz. Auf dem Weg nach oben hat er auch möglichst viele Menschen mitnehmen wollen. Für viele ist er deshalb auch eine große Inspiration gewesen.

In seiner Arbeit für Louis Vuitton sprach er sowohl ökologische als auch soziale Themen an und verbreitete bei seiner Jänner-Show in Paris Botschaften gegen Rassismus und Homophobie. Auf der virtuell stattfindenden Pariser Fashionweek produzierte er das Video „Hypnotic“, wo Anders-Sein als Macht dargestellt wird. Nach eigenen Angaben wollte er seine Partnerschaft mit Louis Vuitton nutzen, „um die Chancen für unterschiedliche Menschen zu erweitern und mehr Gleichberechtigung und Inklusion in den von uns bedienten Branchen zu fördern“.

Doch sein Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit ging über seine tägliche Arbeit hinaus. Virgil Abloh sammelte 1 Million US-Dollar, um mit dem Post-Modern Scholarship Fund die nächste Generation Schwarze Modemacher zu fördern. Der Stipendienfonds soll Studierende afroamerikanischer und afrikanischer Herkunft mit einem Stipendium unterstützen, um die Modebranche auf diese Weise inklusiver zu machen. Man darf nur hoffen, dass dieser angestoßene Prozess durch seinen Tod noch mehr an Fahrt gewinnt, damit sein frühes Ableben wenigstens irgendeinen Sinn hat. Danke Virgil!

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