Mutter erklärt auf TikTok, warum sie ihre 6-jährige Tochter an die Handleine nimmt

Kinder an der Leine lösen auf TikTok heftige Reaktionen aus. Ein Experte erklärt, dass es unter gewissen Umständen ein nachvollziehbares Hilfsmittel sein kann.
Ein sechsjähriges Mädchen hüpft und quietscht vor Freude auf dem Weg ins Freibad. An der Hand trägt sie einen blauen Gurt, an dem eine Leine befestigt ist. Das Video, das die Autistin Lucia zeigt und ihre Mutter auf ihrem TikTok-Kanal veröffentlichte, wurde inzwischen über eine Million Mal angeklickt und mehr als 1000 Mal kommentiert.
„Lucia ist sechs Jahre, kann nicht sprechen und liebt das Schwimmbad. Heute bin ich alleine mit beiden Mädels ins Schwimmbad. Ohne Handleine hätte ich keine Chance beim Reingehen, da sie gleich weglaufen und ins Wasser springen würde“, schreibt die Mutter zum Video.
Tiktok-Video mit Kind an Handleine löst viele Reaktionen aus
Simone, die in ihrem Profil schreibt, sie sei alleinerziehende Mama von zwei Mädchen, eines davon Autistin, bekommt viele positive Kommentare zu ihrem Video bei Tiktok. Nutzer:innen schreiben, dass sie großen Respekt vor ihr haben und es toll finden, dass die Mutter Situationen aus ihrem Alltag mit einem Kind mit frühkindlichem Autismus teilt.
„Seit ich deinen Account öfter auf der Fs habe, hab ich keine Vorurteile mehr bei Eltern, die ihre Kinder ‚anleinen‘. Mir war vorher nie bewusst, dass es nachvollziehbare Gründe gibt, warum es sein muss“, schreibt ein:e Nutzer:in. Es scheint noch vielen anderen so zu gehen, denn als Simone Ende Mai ein Video von ihrer Tochter mit Handleine postet, sehen die Kommentare anders aus. Viele kritisieren Simone und verstehen nicht, wie man ein Kind „wie ein Haustier“ an die Leine nehmen kann.
Handleine für Kinder: Schnelles, nachvollziehbares Hilfsmittel, aber keine verallgemeinerbare Lösung
Dass die Handleine für Diskussionen sorge, dafür müsse man sich bereithalten, so Fabian Diekmann, Fachreferent vom Bundesverband Autismus Deutschland gegenüber BuzzFeed News von IPPEN.MEDIA. Grundsätzlich und in jedem Fall empfehle er keine Handleine, denn „es ist eine hochindividuelle Einschätzung und keine verallgemeinerbare Lösung“, sagt Diekmann.
„Wenn es nach der Absprache zwischen Mutter und Kind passt und das Kind keine erkennbare Abwehr zeigt, wie in dem Video, kann die Handleine ein schnelles, nachvollziehbares Hilfsmittel in Stressmomenten sein“, sagt der Fachreferent. Solche Entscheidungen empfiehlt er aber immer im Team zu treffen, weitere Bezugspersonen oder Autismustherapeut:innen hinzuzuziehen. Und natürlich müssen Kinder trotzdem lernen, was Gefahrenquellen sind und wie sie damit umgehen.
Kinder mit Autismus haben Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung von Sinnesreizen
Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken, heißt es auf der Seite des Bundesverbands Autismus.
„Warum nimmt man das Kind nicht an die Hand?“, fragt ein:e Nutzer:in in den Kommentaren des Tiktoks mit der Handleine. Menschen mit Autismus haben große Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung und der Verarbeitung von Umwelt- und Sinnesreizen. „Es gibt Autist:innen, die reagieren hyposensibel, also unterempfindlich und die Berührung wird gar nicht bemerkt, höchstens, sie ist richtig stark. Und dann gibt es Autist:innen, die sind eher hypersensibel, also überempfindlich, sodass sich ein Händedruck anfühlt, als würde man ihnen ins Gesicht schlagen“, erklärt Diekmann. Deswegen könne es sein, dass sich Kinder mit Autismus nicht gerne an die Hand nehmen lassen.
Erziehungsmethoden und der Umgang mit Kindern, ist häufig Zielscheibe für Diskussionen und Kritik. Simone erklärt auf TikTok, dass das Festhalten am Handgelenk für ihre Tochter unangenehmer sei, als die Handleine. „Wenn ich sie an der Handleine habe, kann sie laufen und ihren Bewegungsdrang ausleben und gleichzeitig ist sie aber in einem geschützten Radius bei mir an der Hand“, sagt sie.