Trittin im Interview: China wird Deutschland und Frankreich nicht spalten

Jürgen Trittin betont im Interview, dass China keinen Keil zwischen Deutschland und Frankreich treiben könne. Unsere Abhängigkeit vom chinesischen Markt hält er für gravierend.
Dieses Interview liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte es China.Table am 25. April 2023.
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter und seit 2014 Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Zwischen 1998 und 2005 war er Bundesumweltminister. Mit Trittin sprach Finn Mayer-Kuckuk.
Sie waren im März in China. Was waren Ihre Eindrücke?
Von chinesischer Seite war das Bemühen zu spüren, die Beziehungen zu Europa und Deutschland insbesondere nach den Covid-Jahren wieder zu verbessern.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war seitdem ebenfalls in Peking. Doch hinterher blieb das Gefühl, dass China mehr Augenmerk auf Frankreichs Emmanuel Macron als Vertreter Europas gelegt hat.
Wenn die chinesische Führung meint, zwischen Deutschland und Frankreich einen Split zu entdecken, dann täuscht sie sich. Das ist eine Illusion. Parallel zu den Äußerungen in China hat Macron eine Fregatte durch die Taiwanstraße fahren lassen. Macron hat in dem Interview ein bekanntes politisches Ziel formuliert: dass es nicht in Europas Interesse ist, in einer Bipolarität zwischen China und den USA zu landen, sondern dass wir als Europa in einer multipolaren Welt resilienter und eigenständiger werden wollen. Diese Sichtweise teilt auch die Bundesregierung.
Doch hat Macron nicht schon durch das Timing seiner Äußerungen Schaden angerichtet?
Ich hätte mich vielleicht nicht genau so geäußert, aber da ist auch viel interpretiert worden. Manche haben es so beschrieben, dass Macron und von der Leyen in der Rollenverteilung „Good Cop“, „Bad Cop“ aufgetreten sind. Aber Cops sind sie beide. Die Entwicklung zu stärkerer politischer und ökonomischer Resilienz ist keine, die wir als Deutsche alleine organisieren können. Das geht nur europäisch. Und das ist der Grund, warum die in meinen Augen größte Veränderungen der deutschen Chinapolitik ihre Europäisierung ist.
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Trittin: China-Strategie folgt auf Nationale Sicherheitsstrategie
Stichwort China-Strategie. Es liegen zwei Entwürfe aus grün geführten Ministerien vor. Wo bleibt nun das umfassende gemeinsame Papier der Ampel-Koalition?
Das kommt, so wie geplant, nach der Nationalen Sicherheitsstrategie. Das wird die Dachstrategie und die kommt bald. Diese beschreibt grundsätzlich, wie und wo wir uns neu aufstellen wollen. Es herrschte lange der Glaube, dass unsere demokratisch-kapitalistische Ratio auch die Ratio der Welt ist, „It’s the economy, stupid“ à la Bill Clinton. Dies gilt nicht für Russland, es galt lange für China, aber wird dort zunehmend ergänzt und überlagert durch ein nationalistisches Narrativ.
Dem setzen wir eine Strategie der integrierten Sicherheit entgegen. Einen Dreiklang aus Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit, also Sicherheit vor Krieg, Sicherheit unseres Gesellschaftsmodells und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Das ist die übergreifende Strategie.
Was bedeutet das für die integrierte China-Strategie?
Ich glaube, dass wir erst mal in der Reihenfolge verbleiben, dass wir die Nationale Sicherheitsstrategie in den nächsten Wochen verabschieden werden und dann in Folge die darunter liegenden sektorspezifischen oder regional orientierten Strategien wie eben Indopazifik, zu China oder auch die Klimaaußenpolitik-Strategie, die hier ganz zentral wird.
Haben Sie schon Signale aus dem Kanzleramt aufgefangen, wie dort darüber gedacht wird? Dem Kanzler wird nachgesagt, eher so gepolt zu sein wie die alte Bundesregierung.
Da tut man dem Kanzler Unrecht. Wenn man sich seine Rede in Singapur anhört oder den Aufsatz liest, den er im Vorfeld der G20 in der FAZ veröffentlicht hat, findet man ein Element immer wieder. Er betont überdurchschnittlich häufig: Wir leben in einer multipolaren Welt. Das ist ein Element der Abgrenzung gegenüber einem naiven Transatlantizismus. Ich sage bewusst naiv, weil wir uns zurzeit in einer exzellenten Kooperation mit unseren amerikanischen Freunden befinden. Selbst dann, wenn wir massive Interessenkonflikte haben, schaffen wir es, miteinander zu reden und Lösungen zu finden. Aber wir wissen auch, dass das nicht immer so bleiben muss. Das sieht auch der Kanzler und diese Grundhaltung des Kanzlers halte ich für richtig.
China und die Wirtschaft: Über Abhängigkeiten klar werden
Wenn man derzeit mit Wirtschaftsvertretern spricht, auch mit Mittelständlern, dann hört man viel Sorge um das Chinageschäft. Die Regierung muss die Wirtschaft überzeugen, bei der Strategie mitzuspielen und auch Härten hinzunehmen. Das wird nicht einfach, nehme ich an?
Nein, es ist nicht einfach. Vor allen Dingen muss man sich über die einzelnen Abhängigkeiten klar werden. Ich glaube, dass wir den Menschen erklären müssen, was zum Beispiel der Preis ist für eine Rückverlagerung von bestimmten strategischen Industrien oder Neuaufbau, sprich bei der Produktion, Pharma, Photovoltaik und ähnlichem. Das geht ja nicht mehr nach dem Motto: Wir produzieren da, wo es am billigsten ist oder wo es am meisten Subventionen gibt. Das hat auch einen Preis – auch für die Menschen und die Gesellschaft hier.
Wo kann größere Resilienz vergleichsweise einfach gelingen, wo wird es schwer?
Wir können, was die Rohstoffversorgung angeht, tatsächlich diversifizieren. Seltene Erden sind nicht wirklich selten. Das größere Problem ist die dritte Abhängigkeit, die Marktabhängigkeit. Wir haben ein Riesenproblem mit den drei Automobilisten und mit BASF. Also vier aus deutscher Sicht systemrelevanten Unternehmen, die eine implizite Staatsgarantie in Deutschland haben. Aber die Marktabhängigkeit betrifft eben auch einen großen Teil der 5.000 kleinen und mittelständischen Unternehmen, die, während sie 40 Prozent ihres Umsatzes in China machen, rund 60 Prozent ihrer Rendite von dort beziehen. Da unterschieden sich die kleineren Unternehmen nicht von BMW oder VW. Die können auch nicht einfach sagen, ich verlagere die Produktion nach Vietnam, weil das ganze Ökosystem drumherum, was Zulieferer und Ähnliches angeht, auch nicht einfach mitwandert. Wir haben in der Tat einen langen Prozess vor uns.
Kommt der Prozess jetzt in Gang?
Was sich verändert hat, ist, dass BASF, VW, Daimler, aber auch eher kleine und mittelständische Unternehmen jetzt ein Stück weit verstanden haben, dass sie ein Problem haben. Sie wollten es viel zu lange nicht wahrhaben. Die Covid-Einschränkungen etwa in Shanghai waren da ein Weckruf, in welchem System man sich dort bewegt.
Drei große Autokonzerne und BASF investieren weiter in großem Stil in China
VW geht jedoch in die andere Richtung. Der Konzern müsse jetzt noch mehr in China investieren, heißt es dort, weil er neue Modelle für China braucht. Ist das Problem wirklich in seiner Tragweite verstanden?
VW ist auf dem Weg, seine Marktabhängigkeit unbeabsichtigt dramatisch zu vermindern, wenn man auf die Verkaufstrends schaut. Während BYD 150.000 E-Autos verkauft, setzt VW keine 10.000 ab.
Die Automesse hat hier in der Tat dramatische Tendenzen offenbart.
Das ist jetzt die Realität. Und das hat unter anderem damit zu tun, dass die deutsche Automobilindustrie viel zu lange noch geglaubt hat, Christian Lindner und Ulf Poschardt seien die eigentlichen Autokunden. Sie hängen dem Kleine-Jungs-Traum vom brummenden Auto mit Lenkrad nach, während in China plötzlich ganz andere Werte wie Digitalisierung und Automatisierung im Mittelpunkt stehen.
Ich war bei Tgood, das ist eine Firma in Qingdao, die Ladestationen herstellt und Spannungswandler. Dort wurde mir beeindruckend vorgeführt, wie weit die Netzintegration von E-Autos in China schon fortgeschritten ist. E-Autos dienen dort bereits im Alltag als Speicher für erneuerbare Energie, der Ladevorgang wird als Puffer in Abhängigkeit von der Stromverfügbarkeit gesteuert. Bei uns ist das noch Utopie.
China: Photovoltaik-Komponenten vor allem aus Xinjiang
Nun sind die Chinesen nicht nur in der Herstellung von Autos sehr gut, sondern auch von Solarzellen. Und das Silizium für die Solarzellen kommt zu einem großen Teil aus Xinjiang.
Da fragen Sie den Falschen. Ich war mal dafür verantwortlich, dass wir die weltweit führende Photovoltaikindustrie in Deutschland aufgebaut haben. Danach gab es eine Regierung, in der ein Wirtschaftsminister Philipp Rösler und ein Umweltminister Peter Altmaier angekündigt haben, sie würden das alles platt machen. Das Ergebnis war, dass die Fremdkapitalfinanzierung für die notwendigen Investitionen der deutschen Photovoltaikindustrie den Bach runtergegangen sind, die dafür entwickelten Fertigungsstraßen nach China gegangen sind und in Deutschland 100.000 Menschen arbeitslos wurden. Das war keine Bösartigkeit der Chinesen, das haben CDU und FDP zu verantworten. Wir werden einen hohen Preis dafür zahlen, dass wir das hier wieder, 20 Jahre später, wieder neu ansiedeln müssen.
Deutschland soll also wieder eine Solarindustrie schaffen? Mit hohen Subventionen?
Wenn wir die Ausbauziele erreichen wollen, dann kommen wir da nicht drumherum. Auch aus Gründen des Klimaschutzes werden wir eine eigene Photovoltaikindustrie haben müssen.