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Baerbocks China-Lehre aus Russland-Scheitern: „Nicht noch einmal so unverantwortlich auf Sicht fahren“

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Von: China.Table

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Außenministerin Annalena Baerbock verteidigt im Interview mit Table.Media die geplante China-Strategie ihres Hauses. Es gehe nicht um Entkopplung, sondern um Diversifizierung. Die Fragen stellte Stefan Braun.

In der SPD wächst die Sorge, der harschere Ton – vorgegeben durch das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium – könne die Beziehungen zu China schwer beschädigen und den Wohlstand gefährden. Verstehen Sie diese Sorge?

In einer komplett vernetzten Welt kann man sich von keiner Region und erst recht nicht von einer der größten Volkswirtschaften abkoppeln. Deswegen ist die China-Strategie auch keine Entkopplungsstrategie. Aber wir haben erlebt, was passieren kann, wenn wir uns massiv von einem Land abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, das als autokratisches Regime im Wettbewerb zu unserer Demokratie steht. Es macht uns verwundbar, und Vorsorge ist der beste Schutz. Ich sehe es als unsere Verantwortung als Regierung an, uns davor zu schützen, indem wir uns und die Wirtschaft systematisch in Außen-, Digital-, Infrastruktur- und Energiepolitik bestmöglich auf der Höhe der globalen Herausforderungen aufstellen.

Setzen Sie Russland und China gleich?

Nein. Aber wir haben erlebt, dass China sich in den letzten Jahren nicht nur immer weiter von unseren demokratischen Werten, sondern auch vom internationalen Recht und den Regeln für einen fairen Wettbewerb entfernt hat. Deshalb ist es in unserem ureigenen Wirtschaftsinteresse, uns von China nicht so abhängig zu machen, wie wir das bei Russland gemacht haben. Wir können doch nicht nochmal so unverantwortlich auf Sicht fahren nach dem Motto „so schlimm wird es schon nicht kommen“ – im Falle Russlands bezahlen wir das jetzt teuer mit unzähligen Milliarden an Steuergeldern.

Annalena Baerbock auf dem Flughafen von Agadir in Marokko
Außenministerin Annalena Baerbock auf Reisen: Im Gespräch verteidigt sie ihre geplante China-Strategie, mit der sie Deutschland unabhängiger von der Volksrepublik machen will. © Britta Pedersen/dpa

Baerbock: Lob für langfristige Strategie der Mittelständler im China-Geschäft

Das wird aber nicht ohne Folgen bleiben. Wie erklären Sie das Unternehmen und Beschäftigten, die um Geschäft und Arbeitsplätze fürchten?

Ich muss da meist nicht viel erklären. Gerade viele Mittelständler und Familienunternehmen betreiben in ihrem Chinageschäft kluges Risikomanagement, fahren aufgrund der härteren Gangart der letzten Jahre Investitionen in China zurück und diversifizieren sich im Indopazifik. Bei einigen DAX-Konzernen hat man den Eindruck, dass sie die volkswirtschaftlichen Risiken, aber auch die langfristigen Interessen ihres Unternehmens einfach ausblenden, weil für die Boni der Vorstände allein die nächsten fünf Jahre zählen. Für eine verantwortungsvolle Regierung muss allerdings das volkswirtschaftliche Interesse im Mittelpunkt stehen.

In dem Sinne war für viele das Grundsatzpapier des BDI von 2019 ein Wendepunkt, und nach dem Russland-Krieg hat sich der Wunsch nach Diversifizierung weiter verstärkt. Deshalb haben Robert Habeck und ich gemeinsam Vorschläge für eine sicherheitsbewusste Außenwirtschaftsförderung gemacht. Eine Außenpolitik, erst recht eine Außenwirtschaftspolitik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit unseren Wohlstand und sozialen Zusammenhalt gefährdet, wäre nicht nur kurzsichtig, sie wäre ein Sicherheitsrisiko.

Ist China zum Gegner geworden?

Nein. Es wäre eine Bankrotterklärung der Diplomatie, wenn wir nicht zumindest den Versuch unternehmen würden, mit allen Ländern konstruktive Beziehungen zu haben. Der Kern unserer Sicherheitsstrategie lautet, dass wir mit anderen Ländern in so vielen Bereichen wie möglich kooperieren und zusammenarbeiten wollen – und zugleich souverän und eigenständig handeln können müssen, wenn andere plötzlich zu unseren Lasten agieren. So sieht für mich eine strategische Souveränität Europas aus. Das betrifft nicht nur Infrastruktur oder Halbleiter, sondern auch wichtige Medikamente.

Und es betrifft eben nicht nur uns, sondern auch unsere Nachbarn. Wenn ich aus Sorge vor schlechten Beziehungen mit Autokraten bei schweren Regelbrüchen schweige – dann beschädige ich damit zugleich die vielen anderen Beziehungen zu all den Ländern, die Opfer dieser Regelbrüche sind, und die wir mit ihren Sorgen alleine lassen. Genau das haben wir bei Russland erlebt, und ich möchte nicht, dass sich das im Indopazifik wiederholt.

Dieses Interview mit Annalena Baerbock zu China ist ein Auszug aus einem längeren Gespräch, das Berlin.Table mit der Außenministerin geführt hat. Weitere Themenschwerpunkte waren der Ukraine-Krieg, die Diplomatie mit dem Iran und Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien. Dieser Auszug erschien am 4. Januar 2023 im China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht er nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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