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5 Beispiele, an denen ihr seht, was Karl Nehammer für ein Politiker ist

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Von: Johannes Pressler

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Links im Bild eine Demonstrantin bei den Protesten zur Abschiebung von Tina, rechts der neue Bundeskanzler Karl Nehammer.
Gegen die Abschiebung von Tina im Jänner 2021 wurde heftig protestiert, Karl Nehammer blieb seiner Linie jedoch treu. © Christopher Glanzl/APA/Leonhard Foeger/Reuters/APA-Picture-Desk

Von der Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze bis zur Abschiebung eines 12-jährigen Mädchens - fünf politisch umstrittene Entscheidungen von Karl Nehammer vor seiner Zeit als Bundeskanzler.

Die unzähligen Witze über das Politik-Karussell um das österreichische Bundeskanzleramt sind fast schon wieder Schnee von gestern. Man kann es jedoch nicht oft genug betonen, was sich in Österreich in den letzten Monaten abgespielt hat. Nach den bekannt gewordenen Korruptionsermittlungen rund um Sebastian Kurz übernahm Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) das Amt an der Regierungsspitze.

Nicht einmal zwei Monate später stellte sich aber heraus, dass Schallenberg nicht viel mehr als ein Übergangskanzler war. Denn mit dem vollständigen Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik folgte Anfang Dezember eine weitere Umstrukturierung der ÖVP-Personalien. Seitdem in der Position des Bundeskanzlers und ÖVP-Chefs: der bisherige Innenminister und zwischendurch auch ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer.

Nicht einmal zehn Tage ist Nehammer mittlerweile Bundeskanzler. In ersten Interviews mit den österreichischen TV-Sendern und Zeitungen zeigte sich der Niederösterreicher großteils von einer eher sanfteren Seite, kaum zu vergleichen mit seinem härteren politischen Stil als Innenminister. Der grüne Regierungspartner scheint Nehammer gut leiden zu können, selbst mit den Oppositionsparteien SPÖ und NEOS soll es bereits „gute Gespräche“ gegeben haben. Wird aus „Karl, der Hardliner“ also bald „Karl, der Kommunikator“?

Nicht so schnell, denn ein paar Tage als charmanter Kanzler sind das eine, die letzten Jahre als immer wieder umstrittener Innenminister und ÖVP-Generalsekretär sprechen eine andere Sprache. Darum lasst uns gemeinsam einen Blick zurückwerfen zu fünf Momenten, denen Karl Nehammer seinen politischen Stempel so richtig aufdrückte.

1. Bewusste Überschreitung der erlaubten Wahlkampfkosten

Seit 2012 gibt es in Österreich eine Obergrenze von sieben Millionen Euro, die die Parteien in den letzten 82 Tagen vor einer Nationalratswahl nicht überschreiten dürfen. Bereits 2017 nahm es die ÖVP damit aber nicht ganz so genau und gab stattdessen 13 Millionen Euro aus. Als Strafe musste die Volkspartei vergleichsweise jämmerliche 800.000 Euro zahlen.

Das bringt uns ins Jahr 2019 und den nächsten Wahlkampf in Österreich. Diesmal der beim Ringen um ÖVP-Wahlstimmen verantwortliche Manager: Karl Nehammer, der das Generalsekretariat vom Kurz-Vertrauten Stefan Steiner im Jänner 2018 übernommen hatte. Also ab sofort alles sauber in der ÖVP? Naja.

Interne Budget-Dokumente der ÖVP, welche die Wochenzeitung „Falter“ veröffentlichte, zeigen nämlich, dass die Partei mit Nehammer als Generalsekretär geplant gehabt hatte, die Wahlkampfkostenobergrenze bewusst zu überschreiten. Diesen Vorwurf bestätigte nun sogar der Oberste Gerichtshof.

Wie die ÖVP während dieses Gerichtsverfahrens zur Schau stellte, sollen in den 82 Tagen vor der Wahl 2019 von der Partei 5,6 Millionen Euro ausgegeben worden sein. Dabei soll es sich aber nur um „erste interne Berechnungen“ handeln, hieß es damals von der ÖVP. Wie viel Geld die Volkspartei mit Nehammer als Generalsekretär tatsächlich hineingesteckt hat, ist bis heute nicht bekannt. Das liegt daran, dass der Rechenschaftsbericht der ÖVP aus dem Jahr 2019 bis heute noch nicht veröffentlicht wurde.

2. Terroranschlag in Wien: Missstände in Behörden

Der 2. November 2020 ist ein Tag, der den Menschen in Österreich sicher noch für lange Zeit in Erinnerung bleiben wird. An diesem Montag, dem letzten Tag vor einem erneuten bundesweiten Lockdown, schießt ein Mann in der Wiener Innenstadt um sich. Er tötet bei dem Anschlag vier Menschen, viele weitere werden verletzt.

Nur kurze Zeit später wird eine Untersuchungskommission eingestellt, um sich die Fragen zu stellen: Hätte der Terroranschlag verhindert werden können? Und welche Rolle spielen die Behörden rund um Innenminister Karl Nehammer dabei? Eine Menge, wie das Ergebnis der durchgeführten Untersuchung zeigen würde.

Innenminister Karl Nehammer bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit der Polizei.
Nach den Terroranschlägen in Wien vom 2. November 2020: Innenminister Karl Nehammer richtet sich gemeinsam mit der Polizei an die Bevölkerung. © Lisi Niesner/Reuters/APA-PictureDesk

So stellte sich heraus, dass der Täter bereits im Vorhinein den für den Staatsschutz verantwortlichen Stellen bekannt war. Sie wussten auch, dass es in Wien zu Treffen mit Islamisten aus Deutschland und der Schweiz gekommen sei. Ebenfalls den Behörden kein Geheimnis: Der Täter hatte versucht, in der Slowakei Munition zu besorgen. Von einem Attentat „aus dem Nichts“ kann deshalb nicht die Rede sein.

Die von der Untersuchungskommission kritisierten Behörden sind dem Innenministerium unterstellt. Die Missstände bei der Risikobewertung möglicher Terroristen sowie die Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden, das ist alles unter der mangelnden Obhut von Innenminister Karl Nehammer geschehen.

Reagiert wurde von Nehammer mit der Ankündigung einer „massiven“ Reform des Verfassungsschutzes. Ob sich diese unter dem jetzigen Innenminister Gerhard Karner bewahrheiten kann, wird sich noch zeigen.

3. Abschiebung der 12-jährigen Tina: Nehammer bleibt Hardliner

Es war die heftigste Debatte über eine Abschiebung seit 2007 und dem Fall rund um die damals 15-jährige Schülerin Arigona Zogaj. Mit Polizeihunden und Sondereinheit wurde die 12-jährige Tina gemeinsam mit ihrer Familie mitten in einer kalten Nacht im Jänner 2021 nach Georgien abgeschoben.

Österreich sei ihre Heimat, teilte das Mädchen über die Medien mit. Die georgische Sprache könne sie nicht einmal lesen und alle ihre Freund:innen würden in Österreich leben. Sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen protestierte gegen die Abschiebung.

Szenen von den Protesten gegen die Abschiebung von Tina und ihrer Familie im Jänner 2021.
Szenen von den Protesten gegen die Abschiebung von der 12-jährigen Tina und ihrer Familie im Jänner 2021. © Christopher Glanzl/APA-PictureDesk

Karl Nehammer blieb der harten ÖVP-Linie bei Migrationsthemen jedoch treu. So hätte der Innenminister die Abschiebung gar nicht stoppen können, ohne sein Amt zu missbrauchen, sagte er verteidigend. Das stimmt so aber nicht, denn Nehammer hätte die Möglichkeit gehabt, den Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen („humanitäres Bleiberecht“) zu bewilligen.

4. Polizei bei Demonstrationen: Wo ist die Verhältnismäßigkeit?

Die Polizei und Demonstrationen, das ist in Österreich so eine Sache. Mit der Aufsicht über das Sicherheitswesen in Österreich, wo auch die Polizei dazu gehört, ist der Bundesminister für Inneres verantwortlich. Von Jänner 2020 bis zu seiner Ernennung zum Bundeskanzler, fast 23 Monate später, war das Karl Nehammer.

Wofür die Polizei in den vergangenen Jahren, auch unter Nehammer, immer wieder kritisiert wurde, ist das Verhalten der Polizist:innen bei Demonstrationen. Ein besonders arges Beispiel gab es dieses Jahr bei einer Demonstration in Wien am 1. Mai. Die Demonstrierenden kritisierten, dass die Polizei mit übertriebener Härte vorgegangen sei. Es wurden mehrere Personen verletzt, laut Polizei kam es zu elf Festnahmen. Wenige Monate zuvor wurden bei einer Anti-Abschiebungsdemonstration sogar 19 Personen festgenommen. Die Polizei machte den linksradikalen „Schwarzen Block“ für das Chaos verantwortlich.

Wirft man jedoch einen Blick auf die mittlerweile wöchentlich veranstalteten Groß-Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, zeigt sich die Polizei meist zurückhaltend. Weit verbreitet sind die Bilder von gewaltbereite Rechtsextremen, die mit Eisbrocken und anderen Gegenständen auf Journalist:innen losgehen. Zumindest wurden die Angreifer „angehalten“.

Die einzelnen Ereignisse mögen das Gesamtbild vielleicht etwas verzehren und die Polizist:innen sind in diesen oft unübersichtlichen Situationen extremen Druck ausgesetzt. Nichtsdestotrotz wird man seit längerer Zeit den Eindruck nicht los, dass das Verhalten der Polizist:innen davon abhängen würde, von wem die jeweilige Demonstration organisiert wird. Auch Karl Nehammer hat es in seiner Zeit als Innenminister nicht geschafft, diesen Eindruck zu erblassen.

5. Trotz Rückkehr der Taliban: Abschiebungen nach Afghanistan

Der Hardliner-Style von Karl Nehammer bei Migrationsthemen zeigte sich nicht nur beim Fall Tina, sondern auch am Beispiel Afghanistan. Seit August 2021 herrscht dort wieder die terroristische Talibanbewegung. Ein ganzes Land geprägt von Gewalt und Unterdrückung, besonders die Rechte von Frauen sind massiv eingeschränkt. Deshalb entschieden sich viele europäische Länder wie Deutschland und Dänemark dazu, Abschiebungen nach Afghanistan vorerst auszusetzen. Es sei dort momentan einfach zu gefährlich.

Österreich war da ganz anderer Meinung. „So lange abschieben, wie es geht“, sagte Innenminister Nehammer. Am allerwichtigsten war für ihn, das Geschäft der Schlepper zu stören und eine neue Fluchtbewegung nach Mitteleuropa zu verhindern. Für Nehammer würde der Gedanke der Genfer Flüchtlingskonvention schon lange nicht mehr gelebt werden. Eine starke Ansage, ist die Genfer Flüchtlingskonvention der UNHCR doch seit 1951 das wichtigste internationale Abkommen für den Flüchtlingsschutz.

Ob Nehammer solche harten Vorschläge auch als Bundeskanzler bringen wird oder der sanfte Stil der letzten Tage keine Eintagsfliege gewesen ist, wird sich noch zeigen. Ausschließen sollte man in der österreichischen Politik der letzten Jahre auf jeden Fall nichts.

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