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Kim Jong-uns zerstörerische Atomwaffen: Warum der Westen endlich auf Nordkorea zugehen sollte

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Von: Foreign Policy

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Nordkoreas Diktator Kim Jong-un beobachtet einen Raketentest, der der Abschreckung Südkoreas und der USA dienen soll.
7. August 2019: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un beobachtet einen Raketentest, der der Abschreckung Südkoreas und der USA dienen soll. © KCNA/Imago

Nordkorea ist nicht nur wegen seiner Atomwaffen ein gefährliches Land. Dabei wird der Westen wohl keine gute Beziehung aufbauen, wenn man Kim Jong-un nicht die Hand reicht.

Berlin – Seit ich in den späten 1990er Jahren mehr als ein Jahrzehnt lang aus Japan und China berichtet habe, verfolge ich die Ereignisse in Ostasien. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde alle diplomatischen Reaktionen kennen, die es auf die Herausforderungen gibt, die Nordkorea für das internationale System darstellt, darunter auch die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und der entsprechenden Systeme.

Während meiner Jahre in Japan verbrachte ich häufig mehr Zeit in Südkorea als zu Hause in Tokio. Ein Großteil dieser Arbeit konzentrierte sich auf das Hin und Her der Ereignisse in Nordkorea, das von der Kim-Dynastie regiert wird. Zeiten vorsichtiger diplomatischer Annäherung und sogar Momente des Charmes wechselten sich mit regelrechten Eiszeiten ab, die von feindseliger Sprache und dem Echo von Kriegsgesängen geprägt waren.

Nordkorea: Hoffnung auf Annäherung mit Südkorea

Bei zwei Gelegenheiten reiste ich als Reporter nach Nordkorea, als dies noch äußerst selten war. Beim ersten Mal im August 2002 nahm ich an einer Nachtfahrt mit einem Kutter der südkoreanischen Küstenwache von Südkorea in die nordkoreanische Stadt Kumho teil. Hier hatte ein internationales Konsortium den Grundstein für den Bau eines zivilen, nicht zur Entwicklung von Kernwaffen geeigneten Kernreaktors gelegt. Er sollte das energiearme Land mit Strom versorgen und, was noch wichtiger war, durch eine vertrauensbildende Maßnahme zeigen, dass Pjöngjang seine Lage verbessern könnte, indem es sich schrittweise der Außenwelt öffnet und sein damals noch junges Atomwaffenprogramm aufgibt.

Später im selben Jahr flog ich im Flugzeug des damaligen japanischen Premierministers Junichiro Koizumi zu einem Gipfeltreffen mit dem damaligen nordkoreanischen Führer Kim Jong Il. Damals gab es Hoffnung auf eine dauerhafte Annäherung zwischen den beiden Ländern. Washington war dieser Diplomatie gegenüber sehr feindselig eingestellt, so dass sie bald zum Scheitern verurteilt war. Am Ende dieses bedeutsamen Jahres wurden so viele Drohungen zwischen Washington und Pjöngjang ausgetauscht, dass meine Redakteure mich baten, ein einsames Weihnachtsfest in Seoul zu verbringen, nur für den Fall, dass ein Krieg ausbrechen würde.

Jahre des Wandels in Nordkorea: Von Sonnenscheinpolitik bis „Achse des Bösen“

Dies war ein Jahrzehnt mit einer auffallenden Fülle von Höhen und Tiefen. Zu Beginn dieses Jahrzehnts hatte ich über die so genannte Sonnenscheinpolitik des ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung berichtet, der in den 1970er und 1980er Jahren ein Held des Kampfes um die Demokratie in diesem Land war. Als südkoreanischer Staatschef setzte sich Kim auch für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Norden ein und gestattete Touristen aus dem weitaus wohlhabenderen Süden, eigens eingerichtete nordkoreanische Enklaven nahe der Grenze zwischen den beiden Ländern zu besuchen, wodurch die marode Wirtschaft des Nordens mit dringend benötigten Dollars versorgt wurde. Dies führte zu sorgfältig inszenierten, aber dennoch tränenreichen Familientreffen zwischen Verwandten, die durch den Waffenstillstand am Ende des Krieges in den 1950er Jahren getrennt wurden. Auch die Sonnenschein-Politik war zum Scheitern verurteilt und wurde aufgegeben.

Ich habe miterlebt, wie der damalige US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Nordkorea als Teil einer „Achse des Bösen“ bezeichnete, was zu einer harten Haltung der USA gegenüber Pjöngjang führte. Die Vereinigten Staaten drehten sich immer noch gefährlich um sich selbst, und die karikaturhaften Mitglieder der Bush-Administration, von denen ich viele in Südkorea oder Japan getroffen hatte, schienen zu glauben, dass Nordkorea durch Gehabe und laute Worte dazu gezwungen werden könnte, seine Politik der nuklearen Aufrüstung zu ändern.

Trump trifft Kim Jong-un: Verpuffte Diplomatie

In all diesen Jahren beobachtete ich, wie der Norden immer leistungsfähigere Raketen abfeuerte, von denen einige über japanisches Gebiet flogen. Diese Entwicklung setzte sich auch noch Jahre nach meiner Abreise aus der Region fort, als ballistische Waffen getestet wurden, von denen es heißt, dass sie fast jeden Teil des amerikanischen Kontinents treffen können.

Von New York aus verfolgte ich fast fassungslos, wie der damalige US-Präsident Donald Trump, scheinbar unvorbereitet und aus dem Bauch heraus, den jüngsten nordkoreanischen Staatschef – Kim Jong-un, den Enkel des Staatsgründers – in der entmilitarisierten Zone traf, die ich so oft besucht hatte, nur etwa 30 Meilen von Seoul entfernt.

Trump sprach davon, Liebesbriefe mit seinem viel jüngeren koreanischen Gesprächspartner auszutauschen, aber auch diese Diplomatie – wie alle vorangegangenen – führte nicht zu keinem wesentlichen Durchbruch. Einige hatten gehofft, dass das zweite Treffen der beiden Staatsoberhäupter bei einem Gipfel in Vietnam 2019 zu einer Vereinbarung über Waffenkontrollen für die koreanische Halbinsel führen könnte. Trump aber lehnte Kims Angebot, den Betrieb des alten Grafitreaktors in Yongbyon einzufrieren, als unzureichend ab, und so verpuffte auch diese Diplomatie, wie alle anderen zuvor.

Folgt bald ein weiterer nordkoreanische Atomwaffentest?

Damit sind wir beim heutigen Stand der Dinge und bei der Frage, ob ich wirklich alles gesehen habe, also ob bis zu diesem Zeitpunkt wirklich alles versucht wurde, um die Bedrohung durch Atomwaffen in Nordostasien einzudämmen. Als ich anfing, über Nordkorea zu berichten, glaubte man, das Land besäße zwei noch nicht getestete Atomwaffen und feuerte lediglich Kurzstreckenraketen ab, die auf veralteten und leicht abzuschießenden Konstruktionen wie der alten sowjetischen Scud-Rakete basierten.

Heute erklärt ein pensionierter, langjähriger US-Geheimdienstexperte für das Land, dass Nordkorea wahrscheinlich 50 bis 60 solcher Waffen besitzt. Das Land ist immer geschickter darin geworden, diese Raketen zu verkleinern, und sie wurden auch getestet. In den letzten Wochen haben Washington, Seoul und Tokio angesichts zahlreicher Raketenstarts vor der Wahrscheinlichkeit eines weiteren nordkoreanischen Atomwaffentests gewarnt, den Nordkorea offenbar bestens vorbereitet hat.

Nordkoreas Atomwaffen könnten künftig von militärischen Befehlshabern kontrolliert werden

Heute verfügt Nordkorea nicht nur über Interkontinentalraketen. Vielmehr, so erklärt Robert Carlin, ein ehemaliger Analyst der CIA und des US-Außenministeriums, den ich seit Anfang der 2000er Jahre kenne, konzentriere sich das Land darauf, Raketen auch von U-Booten aus abfeuern zu können und – was wohl noch besorgniserregender ist – taktische Atomwaffen zu erwerben. Dies birgt außerordentliche Risiken, da die Entscheidungsverantwortung dann nicht mehr in den Händen einer zentralen Behörde liegt, sondern in denen von militärischen Befehlshabern.

Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass niemand, am wenigsten Washington, Nordkorea dazu bringen kann, sein Atomwaffenprogramm aufzugeben, so wünschenswert oder sogar dringend es auch erscheinen mag. Dieses Ziel kann nicht durch die Androhung von Gewalt erreicht werden und auch nicht durch Koalitionen mit den Nachbarn, das gelegentliche Anbieten von Zuckerbrot, Hilferufe an die Chinesen oder strengere Wirtschaftssanktionen. Und wenn das stimmt, wovon ich ausgehe, dann ist es an der Zeit, über etwas nachzudenken, was noch nie zuvor versucht wurde: die Beendigung der Feindseligkeit zwischen Washington und Pjöngjang, die Nordkoreas Streben nach nuklearer Bewaffnung nur begünstigt hat.

Nordkorea und Südkorea sind formell weiter im Krieg

Den meisten Amerikanern ist nicht bewusst, dass zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea, das (zusammen mit Südkorea) nie ein Friedensabkommen zur Beendigung des Koreakriegs unterzeichnet hat, weiterhin ein formeller Kriegszustand herrscht. Doch genau dies sollte ausdrückliches Ziel der US-Diplomatie mit einem Land sein, das seit langem als eines der am stärksten isolierten Länder der Welt gilt. Das Ziel, die Atomwaffen auf der Halbinsel zu reduzieren und vielleicht sogar zu beseitigen, sollte man nicht aus den Augen verlieren, aber was jetzt wichtig ist, ist der entschlossene Abbau von Feindseligkeit und Spannungen.

Das bedeutet keine einseitige Abrüstung durch die Vereinigten Staaten oder die zunehmend fähigen Südkoreaner. Wichtig ist vielmehr eine schrittweise Wiederannäherung an Pjöngjang, die darauf abzielt, die wirtschaftliche Isolation des Landes zu beenden und schrittweise die Schaffung einer wohlhabenderen nordkoreanischen Gesellschaft durch Handel und verstärkte menschliche Kontakte mit der Außenwelt zu ermöglichen.

Westen muss Nordkorea entgegenkommen

Viele werden der Versuchung nicht widerstehen können, diese Idee von vornherein als Beschwichtigung abzulehnen und zu argumentieren, dass ein solches Vorgehen Nordkorea nur die Möglichkeit geben würde, seine militärischen Kapazitäten noch weiter auszubauen. Das Problem mit dieser Logik ist, wie die Welt gesehen hat, dass Sanktionen und Isolation Pjöngjang nicht daran gehindert haben, verheerende nukleare Kapazitäten zu entwickeln. Die beste Hoffnung auf Frieden könnte darin liegen, den Norden davon zu überzeugen, dass er von der Außenwelt wenig zu befürchten hat und es sich daher leisten kann, seine eigene Haltung schrittweise zu lockern und vielleicht sogar seine Beziehungen zum Ausland zu normalisieren.

Im Moment scheint Pjöngjang darauf zu setzen, dass die Ära des US-Einflusses in Ostasien zu Ende geht und China weiter an relativer Stärke gewinnen wird, aber selbst das könnte für einen historischen Kurswechsel in der westlichen Diplomatie sprechen. Die Herrscher der Kim-Dynastie, die das Prinzip der Spieltheorie sehr gut beherrschen, haben sich schon immer vor einer zu großen Abhängigkeit von ihrem Nachbarn gehütet.

Wie auf Kuba: Misserfolge durch Embargo rechtfertigen

Sollte Pjöngjang die Vorteile dieser Lockerung nutzen, um seine Investitionen in die Militarisierung zu beschleunigen, wäre es natürlich angebracht, das Experiment zu beenden. Da das Land bereits über eine robuste nukleare Abschreckungsfähigkeit verfügt, kann man schwer sagen, welches Risiko eine Abkehr von den bisherigen diplomatischen Ansätzen darstellen könnte – zumindest kurz- bis mittelfristig.

So sehr dieses Argument darauf abzielt, die Dynamik zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten und ihren asiatischen Verbündeten zu verändern, so sehr geht es dabei auch um die innere Dynamik Nordkoreas. Jahre bevor ich über dieses Land schrieb, berichtete ich über Kuba, einen offiziell marxistisch-leninistischen Staat, der streng von einer Familie kontrolliert wird. Dort konnte ich unmittelbar beobachten, wie effektiv der ehemalige kubanische Präsident Fidel Castro das langjährige US-Embargo gegen sein Land nutzte, um die Unterstützung und Legitimität der Bevölkerung zu mobilisieren und die wirtschaftlichen Misserfolge seiner Regierung zu rechtfertigen. Wie im Falle Kubas würden die Lockerung der Schranken und die wirtschaftliche Einbindung Nordkoreas allmählich das Narrativ des Staates unterhöhlen, allein gegen den Rest der Welt kämpfen zu müssen. Und wachsender Wohlstand würde auch die Mittelschicht des Landes fördern, es gäbe also eine immer größere Gesellschaftsschicht, die offener für neue Ideen und weniger anfällig für totalitäre Kontrollmechanismen wäre.

Diplomatische Beziehungen zu Nordkorea: Schlechter kann es ohnehin nicht werden

Dies sollte jedoch nicht zu der romantischen Vorstellung führen, dass Nordkorea durch Handel in absehbarer Zeit in eine Demokratie verwandelt werden könnte. Vielmehr sollte man es so sehen: Ein Abbau der Feindseligkeit durch wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine weniger offenkundige Fokussierung auf militärische Themen seitens der Vereinigten Staaten, Südkoreas und Japans kann wohl kaum zu schlechteren Ergebnissen führen als das, was die Welt in den letzten 20 Jahren erlebt hat.

Irgendwann muss Nordkorea davon überzeugt werden, dass sich die ständigen Investitionen in Atomwaffen und Trägersysteme nicht mehr lohnen, und zwar nicht wegen der drohenden Gegenmaßnahmen und Vergeltungsmaßnahmen, sondern weil der Einsatz so vieler Ressourcen für Hightech-Entwicklungen, die für die Zivilbevölkerung in einer armen Gesellschaft praktisch keine Vorteile bringen, alle außer einer winzigen Elite in ein verkümmertes Leben zwingt. Die Tür einen Spalt breit zu öffnen und so eine Mittelschicht zu schaffen, könnte dazu beitragen, den Wunsch nach Besserem zu nähren. Und wenn diese Strategie aufrichtig und mit Geduld angewandt wird, hat das Land keine Möglichkeit, das eigene Versagen beim Aufbau einer lebenswerten Gesellschaft seinen Feinden in die Schuhe zu schieben.

Von Howard W. French

Howard W. French ist Kolumnist bei Foreign Policy, Professor an der Columbia University Graduate School of Journalism und langjähriger Auslandskorrespondent. Sein neuestes Buch ist Born in Blackness: Africa, Africans and the Making of the Modern World, 1471 to the Second World War. Twitter: @hofrench

Dieser Artikel war zuerst am 15. Juni 2022 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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