Experten erheben Plagiatsvorwürfe gegen Mathias Döpfner – auffällige Parallelen zu Text aus NS-Zeit

Springer-CEO Mathias Döpfner soll in seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben. Das werfen ihm Plagiatsjäger vor, die Übereinstimmungen zwischen Döpfners Dissertation und einer Arbeit aus der Zeit des Nationalsozialismus gefunden haben wollen.
Als „Sprachrohr unverhohlen faschistischer Kultur-Ideologien“ bezeichnet Springer-Chef Mathias Döpfner, 59, die Doktorarbeit von Helmut Andres aus dem Jahr 1938. Der österreichische Kommunikationswissenschaftler und Plagiatsgutachter Stefan Weber wirft Döpfner allerdings vor, aus eben jener Arbeit abgeschrieben zu haben. Er findet im historischen Kapitel von Döpfners Doktorarbeit Übereinstimmungen mit der von Andres.
Es geht um Plagiate in der Doktorarbeit eines der einflussreichsten Medienunternehmers weltweit. Ihm hätte nach der Sicht mehrerer Plagiatsgutachter nie der Doktortitel verliehen werden dürfen.
Plagiatsgutachter prüfen Döpfners Dissertation
Im Februar 2022 meldet sich der Nürnberger Plagiatsprüfer Martin Heidingsfelder, der unter anderem die Plagiate in Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit mit nachwies, bei Stefan Weber. Er habe Beweise, dass Springer-Vorstandschef Döpfner in seiner Doktorarbeit plagiiert habe – und schickt Weber seine Funde. Zeitgleich hatte Heidingsfelder, der Gründer von VroniPlag Wiki, eine Plagiatsanzeige bei der Goethe-Universität Frankfurt eingereicht.
Heidingsfelder und Weber sind Plagiatsjäger. Sie nehmen Prüfaufträge an, oder suchen aus eigenem Antrieb in Doktorarbeiten und Büchern nach Betrug. Weber erhob bereits Plagiatsvorwürfe gegen mehrere hochrangige Politiker:innen, darunter Nobert Lammert und Annalena Baerbock. Viele Funde von Heidingsfelder wertete Weber jedoch eher nicht als Plagiat. Aber eine Stelle in Döpfners Dissertation, die „sofort auffällig ist“, habe seine Neugierde geweckt, so der Plagiatsgutachter Weber gegenüber BuzzFeed News Deutschland.
Döpfner studierte Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Germanistik in Frankfurt und Boston. In seiner Doktorarbeit „Musikkritik in Deutschland nach 1945“ beschäftigt er sich mit der Entwicklung der deutschen Musikkritik nach 1945 und untersucht dafür Musikrezensionen in lokalen und überregionalen Medien. Im zweiten Kapitel fasst Döpfner die Geschichte des Musikjournalismus bis 1945 zusammen. Dort findet Heidingsfelder die Übereinstimmung mit der Dissertation von Helmut Andres „Beiträge zur Geschichte der Musikkritik“, die Weber veranlasste, weiterzusuchen.
„Begreift man Musikkritik als Entwicklung und Spiegelbild eines Musiklebens und der öffentlichen Meinung, dann setzt dies auch soziologische Betrachtungsaspekte voraus“, schreibt Döpfner im zweiten Kapitel seiner Doktorarbeit, die 1991 publiziert wurde. Bei Andres heißt es auf Seite sechs: „Wir befinden uns auf dem Boden soziologischer Betrachtungsweise, wenn wir die musikalische Kritik als Entwicklung und Spiegelung des Musiklebens und der öffentlichen Meinung über Musik betrachten wollen.“
Weber findet 28 Plagiatsfragmente in Mathias Döpfners Doktorarbeit
Einige Wochen nach Heidingsfelders Nachricht nahm sich Weber die beiden Dissertationen vor und fand mittels manueller Recherchen und digitaler Tools insgesamt 28 Übereinstimmungen. Darunter „Text- und Ideenplagiate sowie ein dominierendes Strukturplagiat“, heißt es in Webers Plagiatsbericht, der BuzzFeed News Deutschland vorliegt. Die Kapitel bei Döpfner und Andres beinhalten demnach in beinahe identischer Reihenfolge die gleichen Musikkritiker und Künstler.
Bei seiner Untersuchung fällt Weber auf, dass Döpfner sehr seltene Literatur zitiere. Zum Beispiel eine Arbeit, die nur in deutscher Kurrentschrift verfügbar sei. Eine Schreibschrift, die in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert die gebräuchliche Verkehrsschrift war. „Ich habe mir deshalb unter anderem auch das Literaturverzeichnis bei Andres genau angeschaut und festgestellt, dass bei Andres und Döpfner identische Fehler in den Quellenangaben gemacht wurden. Falsches Erscheinungsjahr, falscher Erscheinungsort, Titelabweichungen, isoliert gesehen Kleinigkeiten“, so der Plagiatsprüfer. „Aber in Summe ein Muster.“ Diese Vorgehensweise nennt sich „zitationsbasierter Ansatz“ der Plagiatsforschung, bei der identische Abweichungen in den Quellenangaben mit den Originalen abgeglichen werden.
„Döpfner hat in seinem historischen Teil eine Quellenarbeit simuliert, die er nicht geleistet hat. Stattdessen hat er Quellen von einer einzigen anderen Quelle abgeschrieben“, kritisiert Weber den Präsidenten des Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) Döpfner. Auch Heidingsfelder erhebt gegenüber BuzzFeed News Deutschland Vorwürfe: „Döpfner hat sich bei seiner Dissertation nicht an die allgemein bekannten Zitierregeln gehalten. Die Literaturangaben in seiner Arbeit sind dürftig, die genutzten Quellen für die Informationen häufig nicht ausreichend genannt. Durch seinen Doktorgrad hat er eine Position in Gesellschaft und Wirtschaft erlangt, die er ohne die fahrlässige Überprüfung seiner Prüfungsleistung vielleicht nie erlangt hätte.“
Der Verdacht: Döpfner soll von Dissertation aus dem Nationalsozialismus abgeschrieben haben
Die Übereinstimmungen von Döpfners Arbeit mit der von Helmut Andres, der seine Arbeit 1938 zur Zeit des Nationalsozialismus (NS) veröffentlichte, macht den Plagiatsverdacht für die Prüfer besonders brisant. Weber machte sich auf die Suche nach Arbeiten zum Thema Musikkritik vor und nach 1938. Nachdem er mehrere Arbeiten mit der von Andres und Döpfner abgeglichen hatte, erhärtet sich die These, dass Döpfner nur Andres plagiiert haben kann. „Es gibt keine Zweifel mehr für mich“, sagt Weber.
Döpfner selbst bezeichnet nur elf Seiten vor den mutmaßlich abgeschriebenen Stellen die Dissertation von Helmut Andres als „Sprachrohr unverhohlen faschistischer Kultur-Ideologie“ und als „oberflächlich gearbeitete[n] Untersuchung“. Weber wäre daher ohne den Hinweis von Heidingsfelder gar nicht auf die Idee gekommen, dass sich Döpfner bei genau dieser Arbeit „bedient“ habe. „Das ist schon eine sehr verlogene Vorgehensweise gegenüber dem Leser“, sagt Weber. Auch Heidingsfelder wirft Döpfner vor, dass „eine kritische Diskussion der Leistungen von Andres gerade vor dem historischen Hintergrund ein unabdingbar notwendiger Bestandteil der Dissertation sein müsste“.
Wie sind die Plagiatsvorwürfe gegen Döpfner zu bewerten?
Auch für Jurist Gerhard Dannemann, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, sei es „in hohem Maße erklärungsbedürftig“, sollte Döpfner von Andres abgeschrieben haben. Webers Dokumentation belege, dass Döpfner auf mehreren Seiten seiner Dissertation „in unzulässiger Weise fremde wissenschaftliche Leistungen als eigene ausgegeben hat“.
Dannemann ist Teil von VroniPlag Wiki, eine Internetplattform, die Plagiate in Hochschulschriften dokumentiert. Döpfner habe offenbar gegen drei Grundregeln im wissenschaftlichen Umgang mit Quellen verstoßen: „1. Nenne alle Quellen, die du verwendest, dort, wo du sie verwendest; 2. Kennzeichne alle wörtlichen Übernahmen als Zitate sowie 3. Stelle klar, wenn du eine von dir zitierte Quelle nicht selbst überprüft hast.“ Das Argument, dass es diese Regeln vor 30 Jahren noch nicht gab, als Döpfner seine Doktorarbeit schrieb, höre man sehr oft, aber es sei falsch, so Dannemann und Weber.
Wissenschaftler:innen müssen einander vertrauen können. „Besonders gefährlich sind immer Belegplagiate, also das ungeprüfte Abschreiben von oft auch noch fehlerhaften Belegen. Dafür findet man in der Dokumentation von Herrn Weber auffallend viele Beispiele. Gerade Belegplagiate verbreiten, verschlimmern und perpetuieren Irrtümer, die gute wissenschaftliche Praxis verhindert hätte“, stellt Dannemann gegenüber BuzzFeed News Deutschland fest.
Die Konsequenzen: Uni Frankfurt prüft Mathias Döpfners Doktorarbeit
Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Ex-Bildungsministerin Annette Schavan und Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey – die Liste der Personen mit entzogenem Doktortitel wegen Plagiat ist lang. Die Dissertation von Mathias Döpfner hätte die Goethe-Universität Frankfurt „meines Erachtens so nicht annehmen dürfen“, sagt Dannemann. Auch Heidingsfelder stimmt zu: „Mit dem Wissen um die zahlreichen Plagiate, Verstöße gegen die gültigen Zitierregeln, die vorliegenden Zitier- und Leichtsinnsfehler hätte die Universität Frankfurt Döpfner den Doktorgrad nicht verleihen dürfen.“
Seit Anfang Februar liegt der Uni Frankfurt die Plagiatsanzeige von Heidingsfelder vor. „Die Universitätsleitung hat das Vorbringen gegen Herrn Dr. Döpfner an die Kommission zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten weitergeleitet, die eine entsprechende Prüfung im Rahmen eines vorgegebenen Verfahrens vornehmen wird“, heißt es in einem Schreiben, das BuzzFeed News Deutschland einsehen konnte.
Im Hochschulgesetz des Landes Hessen heißt es im Paragraf 32: „Grade und Bezeichnungen sollen entzogen werden, wenn sie durch Täuschung erworben wurden, oder nach ihrer Verleihung alte oder neue Tatsachen bekannt werden, die ihre Verleihung ausgeschlossen hätten.“ Sofern sich die Kommission dem Befund von Weber anschließe, gehe es auch um die moralische Komponente des Plagiats, so Weber. Wie bewertet sie die Tatsache des Abschreibens von einer Dissertation, die in der NS-Zeit publiziert wurde? Für Weber ist klar: „Auch wenn es nur wenige Stellen sind, so etwas darf nicht Wissenschaft sein. Jeder Anschein einer Nähe zur NS-Zeit ist ein absolutes No-Go.“ Er fordert, dass Mathias Döpfner der Doktorgrad entzogen wird.
„Mathias Döpfner ist über den Vorgang informiert. Er hat volles Vertrauen in die Arbeit der Kommission der Universität Frankfurt.“ heißt es auf Anfrage von BuzzFeed News Deutschland in einem Statement von einem Unternehmenssprecher der Axel Springer SE.