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Kameras, Drohnen, Ausgangssperre: Geflüchtete in Griechenland hinter Stacheldraht

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Hinter Stacheldraht: Geflüchteten können diese neuen Lager der EU große Probleme bereiten. © Franziska Grillmeyer

Das neue Lager auf der griechischen Insel Samos ähnelt einem Gefängnis – obwohl eine EU-Behörde genau davor gewarnt hatte. Ippen Investigativ zeigt anhand interner Dokumente und einer Recherche vor Ort, was das für Betroffene bedeutet.

Von Franziska Grillmeier und Vera Deleja-Hotko mit Katy Fallon und Elisa Perriguer

Farid Wali steigt aus dem Bus, er hält seine kleine Tochter Ava an der Hand. Eine uniformierte Sicherheitsangestellte öffnet den Kofferraum des Busses. Darin liegen schwarze Plastiktüten, gefüllt mit Decken und Klamotten, ein Spiegel und Tüten voller Brot und Süßigkeiten. Wali, der eigentlich anders heißt, und seine Tochter stellen sich in die Schlange zu den anderen Geflüchteten. Als sie an die Reihe kommen, spreizen Vater und Tochter die Arme von ihren Körpern. 

Eine Frau in einer Schutzweste tastet die beiden mit einem Metalldetektor ab. Dann dürfen sie den Vorplatz zu den Drehkreuzen betreten. Die Sonne reflektiert das Licht auf den weißen Containern, drei Meter hoher Maschendrahtzaun umgibt das Gelände. Darauf: NATO-Stacheldraht mit Widerhaken. Der Versuch, diesen Zaun zu überwinden, kann tödlich enden.

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Geflüchtete leben im neuen Lager auf Samos in Nato-Stacheldraht © Fayad Mulla

„Closed Controlled Access Center of Samos“ – übersetzt: „geschlossenes, kontrolliertes Ankunftszentrum von Samos“ – steht auf einem Banner, das über Wali und seiner Tochter hängt. Die metallenen Drehkreuze knacken jedes Mal, wenn ein Mensch durch sie hindurch geht. Sicherheitsangestellte durchsuchen das Gepäck der Geflüchteten nach Sprengstoff. Jeder, der passieren will, muss seinen Fingerabdruck abgeben und bekommt eine Chipkarte. 

Das Camp dürfen Wali und seine Tochter nur von acht Uhr morgens bis acht Uhr Abends verlassen. Die griechische Polizei und eine private Sicherheitsfirma patrouillieren 24 Stunden am Tag, Drohnen fliegen über das Areal, das 3000 Geflüchteten Platz bieten soll. Zahlreiche Überwachungskameras übertragen live Bilder aus dem Lager in eine Kommandozentrale. Manche Kameras sind so montiert, dass sie bei geöffneter Tür die Betten der Geflüchteten filmen. 

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Farid Walis Tochter im neuen Geflüchteten-Lager auf Samos. © Franziska Grillmeier

Wali kniet sich neben seine Tochter, die mit ihren Fingern im Maschendraht pult. Hinter ihnen stehen Wachtürme. Meterlang zieht sich der doppelt gereihte Maschendrahtzaun um das ganze Gelände. „Ich habe sie angelogen“, sagt er uns durch den Maschendrahtzaun. „Ich habe ihr gesagt, wir fahren nach Athen. Aber das hier ist ein Gefängnis.“ 

Fünf neue Geflüchtetenlager für 276 Millionen Euro

276 Millionen Euro hat die Europäische Union der griechischen Regierung für den Bau fünf sogenannter „Multiple Purpose Reception and Identification Centers“ bereitgestellt. Auf den Inseln Samos, Kos, Leros und Chios finanziert die EU den Bau neuer Lager, in denen Geflüchtete unterkommen sollen. Samos ist das erste Lager, das Mitte September eröffnet hat. Es hat 48 Millionen Euro gekostet. Und es ist ein Pilotprojekt der EU, das in zwei Teile geteilt ist. Im vorderen Teil leben Menschen, die noch im Asylprozess stecken. Im hinteren Teil gibt es eine geschlossene Haftanstalt, ein sogenanntes „Prokeka“, in dem Geflüchtete mit negativem Asylbescheid auf ihre Abschiebung warten. Bis nächstes Jahr sollen alle Unterkünfte fertig gestellt sein. 

Ippen Investigativ hat in Koordination mit Journalistinnen von FragDenStaat, dem ZDF Magazin Royale und dem französischen Magazin Médiapart den Bau des Lagers über die vergangenen Monate hinweg begleitet. Wir waren vor Ort, um mit Politikern der griechischen Regierung zu sprechen, mit Hilfsorganisationen und mit Geflüchteten, die in die neuen Lager umgesiedelt wurden. 

Neu: Interne Dokumente zur Planung des Geflüchtetenlagers

Wir haben interne Dokumente über den Planungsprozess des Lagers ausgewertet, die wir über das Informationsfreiheitsgesetz von europäischen Behörden, wie dem DG Home, FRA und EASO, erhalten haben. Die Recherchen zeigen, dass die EU und das griechische Migrationsministerium Strukturen im Lager umgesetzt hat, vor denen ihre eigene Menschenrechtsagentur gewarnt hatte.

Als Anfang September vergangenen Jahres das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos abbrannte, wuchs der Druck auf die EU, die Situation der Geflüchteten zu verbessern. Ausgelegt war das Lager Moria für 2800 Menschen, es lebten damals jedoch etwa 13.000 Geflüchtete in Zelten, die weder Wind, noch Regen oder Kälte Stand hielten. Es gab keine ausreichende medizinische Versorgung oder sichere Rückzugsorte, die sanitären Anlagen waren verdreckt, die meisten Zelte nicht an das Stromnetz angeschlossen.

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Das berüchtigte Lager Moria: Vor dem Brand im Jahr 2020 gab es hier keine ausreichende medizinische Versorgung, die meisten Zelte waren nicht an das Stromnetz angeschlossen. © Franziska Grillmeyer

„Keine zweiten Morias“ dürfe es mehr geben, sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zwei Wochen nach dem Feuer vor dem EU-Parlament in Brüssel. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach davon, dass man gemeinsam zeigen müsse, „dass Europa Migration menschlich und effektiv steuert“. 

Task-Force sollte EU-Standards für Geflüchtetenlager durchsetzen

Unter der Leitung der deutschen EU-Beamtin Beate Gminder richtete die EU-Kommission im September 2020 eine Task Force für Migrationsmanagement ein, zu der mittlerweile acht Mitarbeiter:innen gehören. Sie sollte bei der Planung der neuen Lager darauf achten, dass dabei EU-Standards eingehalten werden: Wetterfest sollten die Lager sein, sicher, nachhaltig und umweltfreundlich. Was das genau bedeutet, blieb vage formuliert. 

Auf eine Anfrage antwortet die Kommission, dass die Lager „würdevoll“ sein sollen, mit einem abgeteilten Bereich für vulnerable Gruppen, zu denen Menschen mit Behinderung, unbegleitete Minderjährige, Familien mit Kindern oder alleinstehende Frauen zählen. In der entsprechenden EU-Richtlinie steht, dass sich Geflüchtete im Aufnahmeland oder zumindest in einem zugewiesenen Gebiet frei bewegen dürfen. Das Design solcher Lager wird kaum definiert. 

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Im neuen Lager auf Samos leben Geflüchtete in Containern. © Fayad Mulla

Wie sehr die neuen Lager großen Inhaftierungslagern ähneln würden, das war von Anfang an ein Konflikt zwischen der EU und der griechischen Regierung. „Wir sperren keine Menschen ein, nur weil sie Migranten sind. Sie haben also die Möglichkeit zu gehen und kommen, wann immer sie wollen“, sagte die EU-Innenministerin Ylva Johansson im März 2021 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis auf der Insel Lesbos. Unsere Recherche vor Ort zeigt, dass diese Ankündigungen nicht erfüllt wurden.

Neues Lager „fern von den städtischen Gebieten“

Die griechische Regierung hatte mit dem Bau der neuen Lager offenbar vor allem ein Ziel: Die Geflüchteten aus dem Blickfeld der Bevölkerung zu halten. Das legen öffentliche Aussagen des griechischen Migrationsministers nahe. Bei seiner Eröffnungsrede des neuen Lagers sagte Notis Mitarakis Mitte September: „Wir haben unser Versprechen gegenüber der Bevölkerung auf den Inseln eingelöst. Wir haben ein neues, modernes und sicheres geschlossen-kontrolliertes Lager geschaffen (...), fern von den städtischen Gebieten.“

Journalist:innen, unabhängige Menschenrechtsbeobachter:innen und Anwält:innen können die neuen Lager nur mit Genehmigung und unter Begleitung der griechischen Behörden betreten. Das erschwert es, zu dokumentieren, was wirklich in den Lagern passiert. Zur Eröffnungsfeier bekam die Presse am 18. September 2021 Zugang zu dem Lager auf Samos. Eine Reporterin von Ippen Investigativ war vor Ort – zwei Tage, bevor Wali, seine Tochter und die anderen 300 Menschen in das Lager gebracht wurden. 

Es ist ein heißer Vormittag. Das Areal befindet sich im Hinterland der Insel, 15 Minuten Autofahrt vom Hafen und der Stadt entfernt. Zu Fuß bräuchte man für diese Strecke weit über eine Stunde. Neben einem Hügel erstreckt sich das Containerdorf auf 154 Hektar Fläche in einer Absenkung. Olivenbaumfelder und Wiesen grenzen es vom Rest der Insel ab.  

Laminatboden, Klimaanlage, WLAN – aber 24/7 unter Beobachtung

Auf den ersten Blick handelt es sich um eine klare Verbesserung zum abgebrannten Lager Moria, das auf der Nachbarinsel Lesvos lag. Dort mussten Wurfzelte – mit Bambusstöcken und Brettern gestützt – auch über den Winter halten. Jetzt gibt es 25 Quadratmeter große Container in denen vier Menschen Platz zum Schlafen haben. Der Boden ist mit Laminat ausgelegt und die Klimaanlage kühlt die Luft auf 23 Grad. Es gibt sogar WLAN. 

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Auf den ersten Blick eine klare Verbesserung zum Lager in Moria: Die neuen Geflüchteten-Unterkünfte auf Samos. © Franziska Grillmeier

Aber da ist auch die Kehrseite: Rund um das Lager patrouillieren durchgehend Polizeiautos, drinnen uniformierte Sicherheitsbeamte. Das Gelände ist übersät mit Lautsprechern, Überwachungskameras und Bewegungsmeldern. Gab es früher kaum jemanden, der sich um ihre Belange kümmerte, sind die Geflüchteten jetzt eingezäunt und unter ständiger Beobachtung von der griechischen Polizei, einer privaten Sicherheitsfirma und den EU-Agenturen. Die EU-Kommission schreibt auf Anfrage, der Zaun rund um das Lager sei dazu da, die Geflüchteten zu schützen – und nicht dafür da, sie einzusperren.

Gesichter und Bewegungen werden von Kameras aufgezeichnet. Die Aufnahmen werden in einem dafür eigens eingerichtet Kontrollraum im Migrationsministerium in Athen gezeigt. Neben Drohnen, die auch am Tag des Transfers über dem Lager kreisen, soll eine Software zum Einsatz kommen, die mit künstlicher Intelligenz Bewegungen analysiert. Sie soll spontane Ansammlungen vermeiden helfen.

All das ist Teil einer neuen Migrationsstrategie Griechenlands, zu dem unter anderem das Projekt „Centaur“ gehört, ein „Sicherheitsmanagementsystem“ zum „Schutz von Menschenleben und Eigentum“, das hier als Pilotprojekt eingesetzt wird. 

EU bezahlt Überwachung Flüchtender aus Covid-19-Fonds

Unsere Recherchen zeigen, dass dieses und zwei weitere Überwachungssysteme für Flüchtende über den EU-Fonds „Recovery and Resilience Facility“ finanziert werden – der eigentlich dafür gedacht war, die Wirtschaft in den Mitgliedstaaten nach Covid-19 auf nachhaltigem und digitalem Wege wieder anzukurbeln. Auf diesen Fond hat sich Griechenland unter anderem mit seinen Überwachungssystemen beworben. 37 Millionen sollen von der Gesamtsumme dafür verwendet werden. Die Kommission hat bereits die erste Anzahlung überwiesen. Die EU-Kommission schreibt auf Anfrage, die Projekte finanzierten auch Arbeitsplätze für Geflüchtete und trage zur digitalen Transformation bei. Das Überwachungssystem sei im Einklang mit dem Datenschutz und Menschenrechten, schreibt die Kommission.

Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis steht in einem Anzug und mit einer blauen Krawatte neben zwei Sicherheitsbeamten, die am Maschendrahtzaun ein Selfie knipsen. „Wir versuchen die Menschen davon zu überzeugen, es hier zu genießen“, sagt Mitarakis zu einer Gruppe Journalist:innen. Es gebe medizinische Versorgung und kulturelle Angebote wie Spiel- und Sportplätze innerhalb des Lagers. Also müssten die Geflüchteten es gar nicht erst verlassen. 

Wer abends zu spät zum Lager kommt, muss draußen schlafen

Und wer sich verspätet?, fragt eine Reporterin. „Der wird bestraft, wie jeder, der gegen die Hausregeln verstößt“, sagt Mitarakis. „Dann kommt man eben mal fünf bis zehn Tage nicht aus dem Lager.“ Auf Nachfrage beim griechischen Migrationsministerium wird bestätigt, dass Bewohner:innen, die zu spät kommen, für die Nacht nicht mehr das Lager betreten dürften. 

Interne Unterlagen, die Ippen Investigativ vorliegen, zeigen, dass sich die Task Force Migrationsmanagement, Griechenland sowie andere EU-Agenturen und internationale Organisationen monatlich zur Konzeption der neuen Lager trafen – virtuell, aber auch vor Ort. Trotz der engen Abstimmung scheinen die Verantwortlichen einen Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte FRA ignoriert zu haben.

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Mit Natodraht umzäunt wirkt die neue Unterkunft auf Samos wie ein Inhaftierungslager. © Franziska Grillmeier

Im Februar 2021 schrieb die Menschenrechtsagentur in einem Bericht, dass ein Lager für Geflüchtete „nicht wie ein Gefängnis aussehen“ sollte. Zudem solle man auf Stacheldraht „und gefängnisähnliche Umzäunung“ verzichten, „um das Risiko einer Retraumatisierung von Menschen, die Gewalt und Verfolgung erlebt haben, so weit wie möglich zu vermeiden.“ Aus dem Grund solle auch das Personal keine Uniformen tragen. Vor allem Kinder sollten dem nicht ausgesetzt werden. Die Menschen sollten nicht „abseits“ der restlichen Bevölkerung leben. Und sie sollten sich außer- wie innerhalb der Lager frei bewegen können.

EU ignorierte offenbar Report der eigenen Menschenrechtsagentur

All das, was ein Lager laut der Menschenrechtsagentur FRA nicht sein sollte, trifft nun auf das neue Lager auf Samos zu. Stacheldraht umzäunt das Lager, Drohnen fliegen beim Transfer der Geflüchteten über das Gelände, Kameras filmen die Geflüchteten zu jeder Tages- und Nachtzeit, uniformierte Polizisten kontrollieren das Geschehen und die Möglichkeiten, das Lager zu verlassen, sind eingeschränkt.

Die Kommission finanzierte den Bau vollständig – trotz der Warnung ihrer eigenen Menschenrechtsagentur. Aber nicht nur das: Sie machte das Lager auch zu ihrem Pilotprojekt – und begrüßte die „gestiegenen Sicherheitsmaßnahmen“.

Auch Deutschland hat Griechenland beim Bau der Lager finanziell und mit Expertise unterstützt. Zwei Mitarbeiter:innen des Technischen Hilfswerks, der ehrenamtlichen Einsatzorganisation des Bundes, wurden im September 2020 nach Griechenland geschickt, um mit Expertise den Bau dort zu unterstützen.

Ärzte ohne Grenzen: „Europa bricht diese Menschen“ 

Kritik an den gefängnisähnlichen Zuständen kommt unter anderem von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die sich weigert, in dem neuen Lager zu arbeiten. „Die Eröffnung des neuen Lagers verändert die kollektive Identität der Geflüchteten, ihr Selbstwertgefühl und ihre Würde“, sagt Eva Papaioannou, Psychologin bei Ärzte ohne Grenzen. „Europa bricht diese Menschen.“ Schon Monate zuvor hätten Patient:innen Angst gehabt, in dem neuen Lager eingesperrt zu werden. Für Menschen, die Folter durchlebt haben, sei das streng kontrollierte Lager nicht nur ein Freiheitsentzug. Es bestehe auch die Gefahr, dass traumatische Erfahrungen wieder aufbrechen. 

Besonders umstritten ist die sogenannte Haftanstalt „Prokeka” im hinteren Teil des Lagers. Dort werden Geflüchtete eingesperrt, die einen negativen Asylbescheid erhalten haben – bis sie abgeschoben werden. Bis zu 960 Menschen können in diesem Abschiebegefängnis bis zu 18 Monate lang inhaftiert werden und dürfen das Gelände nicht verlassen. Das Anti-Folter-Komitee (CPT) des Europarats verurteilte die Zustände in der Abschiebehaft in den vergangenen Jahren mehrmals. Die Haftbedingungen würden unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen. 

Der Anwalt Dimitris Choulis vertritt seit zwei Jahren Asylsuchende auf der Insel Samos. „Die Menschen können hier 18 Monate lang festgehalten werden, ohne zu wissen, ob sie zurückgeführt werden können“, sagt Choulis. „Dabei können wir kaum mehr kontrollieren, was in der Abschiebehaft passiert, da die Zugänge immer restriktiver werden.“ 

Geflüchtete stecken oft über Monate in Abschiebehaft

Mit einem zweifach abgelehnten Asylantrag können die griechischen Behörden Asylbewerber:innen entweder in die Türkei oder in das Herkunftsland zurückführen. Doch die Türkei nimmt seit März 2020 niemanden zurück. Auch die Abschiebungen in die Heimatländer gehen nur schleppend voran. Die Menschen, die mit einem negativen Asylbescheid inhaftiert werden, stecken daher oft über Monate in ihrer Haft fest, ohne zu wissen, was mit ihnen passieren soll.

Nach Jahren der Überlastung fiel die Zahl der auf den Inseln befindlichen Asylbewerber:innen von insgesamt knapp 40.000 im April 2020 auf nun nur noch etwa 4500. Die meisten wurden aufs Festland gebracht. Teilweise noch im laufenden Asylverfahren. Zehntausende Geflüchtete leben allein im Großraum Athen, oft in prekären Umständen. Sobald das Asyl anerkannt ist, bekommen die Menschen in Griechenland keine finanzielle Unterstützung mehr. Trotzdem müssen sie Camps und Unterkünfte unmittelbar verlassen. Viele landen in Athen oder Thessaloniki auf der Straße, schlagen wieder ein Zelt in einem der Festlandlager auf oder kommen bei Freunden und Verwandten in oft prekären Bedingungen unter.

Auch Wali fühlt sich von den griechischen Behörden im Stich gelassen. „Anstatt dass sie uns helfen, müssen wir immer auf ihren Willen hören“, schreibt Wali. Eine Woche nach dem Einzug ins neue Lager teilt Wali uns über WhatsApp mit, dass die Ausstattung dort weitaus besser sei als zuvor. Aber seine Tochter verstehe die Situation nicht. Wenn sie das Lager verlässt, um in die Hafenstadt zu fahren, frage sie, warum sie am Eingang zum Lager kontrolliert werde. Das passiere doch sonst nur in Gefängnissen, sage sie.*Ippen Investigativ ist das Rechercheteam von IPPEN.MEDIA.

Diese Recherche wurde  unterstützt durch ein Stipendium des Journalismfund.eu sowie der Mitarbeit des Disinfaux Collective.

Sie haben selbst Missstände erlebt oder Hinweise und Dokumente zu Machtmissbrauch, die unser Rechercheteam interessieren könnten? Wenden Sie sich vertraulich an recherche@ippen-investigativ.de. 

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