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Marokko – ein Land zwischen Demokratie und Monarchie

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Das seit 1956 unabhängige, ehemalige Kolonialland hat heute immer wieder mit Protesten junger Menschen zu kämpfen, die das Land verlassen wollen. Alles, was du über das demokratieangehauchte Königreich wissen musst.

Marokko ist ein Königreich mit demokratischen Elementen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist signifikant hoch und Korruption steht an der Tagesordnung. Seit der Parlamentswahl 2021 ist Aziz Akhannouch Ministerpräsident. Marokko ist das Top 3 Herkunftsland für Geflüchtete in Österreich. Davor liegen Syrien und Afghanistan.

Marokko: Daten und Fakten

Marokko ist ein muslimisches geprägtes Land in Nordafrika mit ca. 37 Millionen Einwohnern. Es ist sowohl der arabischen Welt, dem afrikanischen Kontinent als auch der Kultur der Amazigh (Berber) verbunden und weist deshalb eine erstaunliche kulturelle und sprachliche Vielfalt auf.

Auf politischer Ebene ist Marokko eine islamisch legitimierte Monarchie mit konstitutionellen als auch demokratischen Elementen. Die Führung des Landes liegt in der Hand von König Mohammed VI. Seit der Reform der Verfassung von 2011 wird die Regierung jedoch durch das Parlament gebildet. Die Verwaltungsstrukturen sind vornehmlich zentralistisch. Das bedeutet: Marokko ist in zwölf Regionen unterteilt, die sich ihrerseits in 62 Provinzen und 13 Präfekturen untergliedern. Dabei ist auch die Westsahara enthalten, die Marokko als integralen Teil seines Territoriums betrachtet, was international jedoch nicht anerkannt wird.

Parlamentswahl in Marokko
Wahlhelferin in einem Wahllokal in Rabat. © Mosa'ab Elshamy/AP/dpa

Marokko verfolgt eine aktive Menschrechtspolitik und konnte in wichtigen Bereichen, unter anderem Frauenrechte, deutliche Fortschritte erzielen. Trotzdem kritisieren Nichtregierungsorganisationen zunehmende Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die strafrechtliche Verfolgung von einzelnen Journalisten. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen für 2020 belegt Marokko Platz 133 von 180 Staaten.

Außerdem ist die Friedenstruppe der UNO, die in Wien in der UNO-City vertreten ist, Minurso in der Westsahara stationiert. Das Mandat wurde im Oktober 2021 bis zum 31. Oktober 2022 verlängert. Laut UNHCR können Geflüchtete für Marokko ein Entwicklungsantreiber sein.

Marokko: Frühe Geschichte des Landes

Die ursprüngliche Bevölkerung Marokkos sind die Berber, die als sesshafte Bauern oder herumwandernde Nomaden lebten. Ihre Dörfer und Schutzburgen im Hohen Atlas waren aus Lehm gebaut. Auch wenn die Berber im Landesinneren ihre kulturelle Identität weitgehend behaupten konnten, so haben ihnen die Araber doch den Islam gebracht, zu dem sich heute mehr als 97 Prozent der Marokkaner:innen bekennen.

Schon Phönizier, Karthager und Römer hatten an den Küsten Marokkos Kolonien und Handelsstützpunkte errichtet. Während der Ausbreitung des Islams im achten Jahrhundert eroberten arabische Truppen die Region und waren von nun an die wichtigste Kraft für die kulturelle Entwicklung des Landes. Ihre Paläste und Moscheen gehören zu den imposantesten Bauten Marokkos.

Heute besteht die marokkanische Bevölkerung zu etwa einem Drittel aus Berbern. Unterteilt in etwa 300 Stammesgruppen, siedeln sie vor allem in den gebirgigen Regionen des Hohen und Mittleren Atlas sowie des Riffgebirges. Dazu kommt noch ein weiteres Drittel arabischer Berber, die in den Städten des Nordens leben. Über die Jahrhunderte haben sie sich mit der eingewanderten arabischen Bevölkerung vermischt und deren Kultur und Sprache weitgehend übernommen. Zusätzlich dazu gibt es noch einen kleinen Anteil Araber sowie die Haratin. Sie sind Nachfahren von Sklaven oder Söldnern, die seit dem 11. Jahrhundert aus anderen afrikanischen Ländern nach Marokko kamen. 

Die Kolonialzeit in Marokko bis 1956

Schon im 15. Jahrhundert hatten Spanier und Portugiesen begonnen, kleinere Niederlassungen an der marokkanischen Küste zu gründen. Doch erst mit dem Aufkommen des Imperialismus im 19. Jahrhundert begannen sich verschiedene europäische Mächte für das nordafrikanische Land zu interessieren. Sowohl Frankreich, Spanien, Großbritannien als auch das Deutsche Reich versuchten ihre Interessen in Afrika zu sichern. Lange Zeit konnte sich Marokko gegen die Besetzung des Landes durch europäische Kolonialmächte wehren. Mit der Besetzung Algeriens 1830 und Tunesiens rückte die Bedrohung allerdings immer näher.

Schließlich konnte auch Marokko aufgrund von inneren Unruhen und zunehmender Staatsverschuldung gegen die Europäer nicht mehr Stand halten. Am 30. März 1912 unterzeichnete der amtierende Sultan in Fès den Protektoratsvertrag mit Frankreich, den „Vertrag von Fès“. Dadurch verlor Marokko offiziell seine Unabhängigkeit, was zu Protesten und Aufständen der marokkanischen Bevölkerung führte.

Von 1899 bis 1914 unterhielt das deutsche Kaiserreich in verschiedenen Städten des Landes sogar eigene Poststationen, in denen deutsche Briefmarken ausgegeben wurden. Doch auch mit solchen Vorstößen konnte das Deutsche Reich nicht verhindern, dass Frankreich seine Vormachtstellung in Marokko weiter ausbaute. Das 1930 erlassene Berbergesetz „Dahir berbère“, das die Berber französischer Rechtsprechung unterstellte und das Ziel hatte, Berber und Araber noch deutlicher zu trennen, löste den Widerstand der marokkanischen Bevölkerung gegen die Protektoratsherrschaft aus.

Am Ende konnten die Deutschen nur zuschauen, wie Frankreich Zentralmarokko unter seine Herrschaft brachte und Spanien sich an der Mittelmeerküste starkmachte. In beiden Gebieten erhoben sich sowohl Araber als auch Berber, um gegen die europäische Fremdherrschaft zu kämpfen. Diese Aufstände wurden blutig niedergeschlagen. Erst 1956 erlangte das Land seine Unabhängigkeit zurück.

Marokko von 1956 bis 1999

Nach der hart erkämpften Unabhängigkeit nahm Sultan Mohammed V. 1956 den Königstitel an. Er hatte schon 1947 die Unabhängigkeit seines Landes gefordert und musste daraufhin mehrere Jahre das Land verlassen. In seinen Reden sprach er von der Demokratisierung Marokkos, das Land war allerdings noch nicht für diese neuen Ideen bereit. Als Mohammed V. 1961 starb, übernahm sein Sohn Hassan die Regierungsgeschäfte. Er ließ sich weitreichende Befugnisse durch das Parlament zusichern und ging mit harter Hand gegen oppositionelle Kräfte vor.

Als Hassan 1999 starb, war die Meinung innerhalb des Volkes zweigeteilt. Für die einen war er ein machtbesessener Despot und Kriegstreiber. Andere trauerten um einen Mann, der den an vielen Stellen von Armut geprägten Agrarstaat Marokko in ein modernes Land mit wachsendem Industrie- und Dienstleistungssektor verwandelt hatte. 1999 folgte ihm sein Sohn Mohammed VI. auf den Thron und führte weitreichende wirtschaftliche und demokratische Reformen durch.

Marokko: Der Arabische Frühling

Im Jahr 2011, während des Arabischen Frühlings, waren diese Reformen den Marokkanern nicht mehr genug. Von Tunesien aus breitete sich durch die ganze arabische Welt eine Protestwelle aus: Demonstrant:innen forderten mehr Demokratie und Menschenrechte, ein Ende der weitverbreiteten Korruption, eine entschiedenere Bekämpfung der Armut. Trotzdem gelang es Marokkos König Mohammed VI., die Demonstrant:innen zu besänftigen.

Denn traditionell empfinden viele Marokkaner:innen ihren König als überparteiliche Instanz, die das ethnisch, geografisch und sozial vielschichtige Land zusammenhält. Mit einer Verfassungsreform stärkte Mohammed VI. 2011 die Gewaltenteilung und schränkte seine eigene Macht ein, blieb aber weiterhin der starke Mann im Staat. Gemäß der Reform gab er einen Teil seiner bisherigen Rechte an Parlament und Premierminister ab.

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Doch der Armut im Land, allen voran der hohen Jugendarbeitslosigkeit, wurde er dadurch trotzdem nicht Herr. Viele junge Menschen können sich eine Zukunft in ihrer Heimat nicht mehr vorstellen und sehen eine Flucht nach Europa als möglichen Ausweg. Auch die Korruption in Staat und Wirtschaft bleibt ein Problem. Seit 2016 flammen deshalb immer wieder neue Proteste auf. Anders als während des Arabischen Frühlings greift die marokkanische Polizei inzwischen meist hart durch. Der gesellschaftliche Frieden im Land bleibt brüchig. 

Marokko: Das politische System

Marokko gilt als modernes arabisches Land und beliebtes Touristenziel. Gemäß der Verfassung von 1992, zuletzt geändert im Jahr 2011, ist Marokko eine nominelle konstitutionelle Monarchie, deren derzeitiges Staatsoberhaupt seit dem 23. Juli 1999 König Mohammed VI. ist. Er ist der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt nicht nur den Ministerpräsidenten, der in der Regel von der stärksten politischen Partei des Parlamentes vorgeschlagen wird, sondern auch einzelne Minister und muss dem gesamten Kabinett zustimmen.

Zusätzlich hat er das Recht, das Parlament jederzeit aufzulösen und den Ausnahmezustand zu verhängen. Im Vergleich zu europäischen Monarchen hat der marokkanische König weitergehende Kompetenzen unter einer eingeschränkten Gewaltenteilung.

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Ministerpräsident war seit November 2011 Abdelilah Benkirane, zuvor Generalsekretär der moderat islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD). Nach der Parlamentswahl im Jahr 2016 gelang es Benkirane nicht, eine neue Regierung zu bilden. Am 15. März 2017 wurde er daher vom König als Ministerpräsident offiziell entlassen, sowie sein Parteikollege Saadeddine Othmani am 5. April 2017 vereidigt und mit der Regierungsbildung betraut.

Im Rahmen der Parlamentswahl 2021 wurde eine umstrittene Wahlrechtsreform durchgeführt. Dadurch wurde vor allem die Regierungspartei PJD benachteiligt. Sie musste große Verluste hinnehmen und gewann nur 13 Mandate im neu gewählten Parlament. Stärkste Partei wurde die RNI unter ihrem Vorsitzenden Aziz Akhannouch. Er wurde von König Mohammed mit der Regierungsbildung beauftragt

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