Der Oberste Gerichtshof: Die höchste Instanz

Der Oberste Gerichtshof überprüft mit seinen Richter:innen die Entscheidungen von Oberlandes- und Landesgerichten. Ihm kommt eine Kontroll- und Leitfunktion zu.
Als oberstes Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit entscheidet der Oberste Gerichtshof in Zivil- und Strafsachen.
Mit einem Justiz-Ministerialerlass wurde der Oberste Gerichtshof (OGH) am 21. August 1848 ins Leben gerufen. Am 7. August 1850 trat das „Gesetz über die Organisation des obersten Gerichts- und Kassationshofs in Wien“ in Kraft. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen alle zur damaligen Habsburgermonarchie gehörenden Länder sowie 19 sogenannten Oberlandesgerichtssprengel. Die noch immer existierende Gerichtsorganisation basiert auf dem im Jahr 1867 ratifizierten Gesetz, bei dem die Trennung von Justiz und Verwaltung beschlossen wurde.
Das Bundes-Verfassungsgesetz
Im Jahr 1920 wurde der Oberste Gerichtshof durch das Bundes-Verfassungsgesetz rechtlich abgesichert. Nach einem Brand im Jahr 1927 und dem zeitweiligen Umzug in andere Räumlichkeiten konnten das Höchstgericht und seine Richter Anfang der 1930er-Jahre wieder in den Wiener Justizpalast zurückkehren. In den Jahren 1939 bis 1945 konnte das Gericht seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen.
Erst nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs und mit der Gründung der Zweiten Republik erhielt der Oberste Gerichtshof seine Kompetenzen zurück. Ende der 1960er-Jahre wurde das Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof verabschiedet, das als Rechtsgrundlage für seine Organisation fungiert.
Der Oberste Gerichtshof und seine Richter
Der Oberste Gerichtshof ist das oberste Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit (die ordentliche Gerichtsbarkeit umfasst alle Gerichte, die für allgemeine Zivil- und Strafsachen zuständig sind). Zusammen mit dem Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof bildet er die Gemeinschaft der drei österreichischen Höchstgerichte. Es wäre nicht zulässig, eine weitere, dem Obersten Gerichtshof übergeordnete Instanz einzurichten. Allerdings muss der Oberste Gerichtshof nicht zwingend die letzte angerufene Instanz sein, denn um eine Überlastung des Obersten Gerichtshofs zu vermeiden, können bestimmte Gerichtsverfahren einfachgesetzlich geregelt werden. So ist gewährleistet, dass der Oberste Gerichtshof immer genügend Kapazität hat, um seine Leitfunktion ohne Beschränkungen wahrnehmen zu können.
Die Richter des Obersten Gerichtshofs tagen in verschiedenen Senaten, denen sie fest angehören. Die Entscheidungen der Senate sind endgültig und nicht anfechtbar. Alle Senate sind in ihrem Verhältnis zueinander ebenbürtig. Zu den weiteren Aufgaben des OGH gehört außerdem die Gesetzesbegutachtung, bei der er zu Gesetzesentwürfen Stellung bezieht. Hierfür sind die Senate eingerichtet. Der Oberste Gerichtshof wird überdies in den folgenden Fällen tätig:
- Dienstgericht für Richter:innen
- Disziplinargericht für Richter:innen und Staatsanwält:innen
- Disziplinarverfahren gegen Notar:innen und Rechtsanwält:innen
Der Oberste Gerichtshof: die Richter:innen und ihre Rechtsprechung durch die Senate
Der Oberste Gerichtshof führt seine Aufgaben mithilfe einzelner Senate aus. Einfache Senate, beziehungsweise sogenannte Fünfersenate, setzen sich aus dem Vorsitzenden sowie vier weiteren Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs zusammen. Die fünf Richter:innen entscheiden jeweils in letzter Instanz. Derzeit bestehen die folgenden Senate in Straf- und Zivilsachen:
- elf Senate für letztinstanzliche Rechtsmittelentscheidungen in Zivilsachen (Senate 1 bis 10 und 17)
- ein Senat für die Nachprüfung von Schiedssprüchen (Senat 18)
- fünf Senate in Strafsachen (Senate 11 bis 15)
- ein Senat als Kartellobergericht (Senat 16)
Dem Kartellobergericht gehören – anders als bei den anderen Senaten – lediglich drei Richter:innen an sowie zwei fachkundige Laienrichter:innen, die gesetzlich zum Obersten Gerichtshof einberufen sind. Die Zuständigkeit sogenannter Dreiersenate wird dann erforderlich, wenn es um konkrete verfahrensrechtliche Fragen geht. Dazu gehören Entscheidungen nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz sowie Ordinationen und Delegierungen. Ein Dreiersenat besteht aus einem Vorsitzenden sowie zwei weiteren Richter:innen des Obersten Gerichtshofs.
Die Besonderheit des verstärkten Senats und die Leitfunktion des OGH
Der verstärkte Senat besteht aus sechs weiteren Mitgliedern des OGH und judiziert in Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Dazu zählen insbesondere solche, die von der Rechtsprechung des OGH oder von der zuletzt ergangenen Entscheidung eines verstärkten Senats abgehen. Er wird auch dann tätig, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung durch einfache Senate nicht einheitlich gelöst werden konnte. Seit 1969 wurden siebzig Entscheidungen durch verstärkte Senate herbeigeführt.
Sieben Richter:innen und vier fachkundige Laienrichter:innen repräsentieren die Senatsbesetzung in Arbeits- und Sozialrechtssachen. Im Falle der Kartellgerichtsbarkeit besteht der verstärkte Senat aus sieben Richter:innen sowie zwei fachkundigen Laienrichter:innen.
Die Leitfunktion des Obersten Gerichtshofs dient der Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit und der Rechtsentwicklung. Die Anrufbarkeit des OGH hängt dabei von gesetzlichen Beschränkungen ab, die sich am Streitgegenstand, der Bedeutung der Rechtsfrage für Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung und an weiteren Faktoren bemessen.
Der Oberste Gerichtshof und seine Richter: Entscheidungen in Zivilverfahren
Zu den wesentlichen Aufgaben der Richter gehören außerdem Entscheidungen in Straf- und Zivilverfahren. In Zivilsachen entscheidet der OGH über die folgenden Sachverhalte:
- Revisionen (bei ergangenen Urteilen)
- Revisionsrekurse (bei ergangenen Beschlüssen)
- Rekurse gegen bestimmte berufungsgerichtliche Formalbeschlüsse
In Zivilsachen kontrolliert die Richter die oben genannten Sachverhalte in zweiter Instanz. Dabei überprüft er die durch Oberlandes- und Landesgerichte getroffenen Entscheidungen auf Verfahrensfehler hin und ordnet sie rechtlich ein. Allerdings werden dabei Beweise oder Tatsachenfeststellungen nicht auf ihre Richtigkeit hin überprüft.
In Strafsachen entscheidet der Oberste Gerichtshof über die folgenden Sachverhalte:
- Nichtigkeitsbeschwerden und damit verbundene Berufungen
- Grundrechtsbeschwerden
- Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens
- Beschwerden gegen Beschlüsse
Nichtigkeitsbeschwerden können gegen durch Geschworenengerichte oder Schöffengerichte ergangene Urteile erhoben werden. Als Nichtigkeitsbeschwerden gelten Fehler bei der Hauptverhandlung oder Fehler in Bezug auf das Urteil. Dabei ist die Aufhebung des Urteils das Ziel. Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist eine Entscheidung in der Sache oder die Verweisung an ein Gericht erster Instanz.
Berufungen, Nichtigkeitsbeschwerden und Grundrechte am Obersten Gerichtshof
Im Rahmen einer Berufung kann das Ausmaß der Sanktionen oder die Ansprüche der Opfer erneut thematisiert werden. Der Oberste Gerichtshof entscheidet entweder in nicht-öffentlicher Sitzung oder in öffentlicher Verhandlung nach einer Stellungnahme durch die Generalprokuratur. Dem OGH werden sowohl Nichtigkeitsbeschwerde als auch Berufung vorgelegt. Wird die Nichtigkeitsbeschwerde in öffentlicher Verhandlung verworfen, entscheidet der OGH über die Berufung. Gibt er der Nichtigkeitsbeschwerde statt, so ist die Berufung durch dieselbe Partei nicht mehr möglich. Wird die Nichtigkeitsbeschwerde hingegen in nicht-öffentlicher Verhandlung verworfen, muss ein Oberlandesgericht über die Berufung entscheiden.
Der OGH wacht außerdem in einigen Fällen über die Wahrung von Grund- und Menschenrechten. Wird zum Beispiel ein Beschuldigter durch eine Fortsetzung der Untersuchungshaft in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, kann er dies beim Obersten Gerichtshof geltend machen. Das Höchstgericht überprüft die entsprechende Entscheidung des zuständigen Oberlandesgerichts und hebt diese – falls notwendig – auf. Wurden Grund- oder Menschenrechte durch eine Entscheidung eines Strafgerichts verletzt, können diese auch ohne Einschaltung des Europäischen Gerichtshof beim Obersten Gerichtshof rechtlich durchgesetzt werden.
Der Oberste Gerichtshof: die verschiedenen Einrichtungen der Institution
Seine Leitfunktion erfüllt der Oberste Gerichtshof mithilfe des Evidenzbüros, der Zentralbibliothek und seiner in verschiedene Abteilungen unterteilten Geschäftsstelle. Das Evidenzbüro übernimmt die Erfassung und Aufbereitung von Entscheidungen des OGH. Die Datenbank umfasst rund 127.000 Entscheiden des OGH sowie 130.000 Rechtssätze. Der Leiter des Evidenzbüros, sein Stellvertreter sowie aus den Sprengeln der Oberlandesgerichte stammende Richter:innen oder Staatsanwält:innen und weitere Bundesbedienstete mit abgeschlossenem rechtswissenschaftlichem Studium bilden das Team. Bestimmt werden Leiter:innen und Stellvertreter:innen aus den Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs durch seinen/seine Präsidenten/Präsidentin.
Zum Obersten Gerichtshof gehört außerdem die Zentralbibliothek, die die Bibliotheken des Oberlandesgerichts Wien und des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen einschließt. In ihr lagern mehr als 140.000 Bände. Sie befindet sich im Wirtschaftshof des Justizpalastes. Unterhalb der eingerichteten Lesebrücke liegt ein Bücherspeicher.
Die Assistenz des OGH befindet sich ebenfalls in der Geschäftsstelle und gliedert sich in eine Präsidialabteilung, Geschäftsabteilungen für Zivil- und Strafsachen und für das Evidenzbüro. Ebenfalls Teil der Geschäftsstelle sind die Zahl- und Einlaufstelle, denen der Zustelldienst und die Teamassistenz angehören.
von freiem Autor