ÖVP: Von Schwarz zu Türkis und von der Mitte nach rechts

Die ÖVP ist in ihrem Ursprung konservativ ausgerichtet und eine der wichtigsten Parteien in Österreich. Wissenswertes über die Österreichische Volkspartei:
Die ÖVP wurde am 17. 4. 1945 in Wien durch Leopold Kunschak, Hans Pernter, Lois Weinberger, Leopold Figl, Julius Raab und Felix Hurdes gegründet. Von ihrer Vorgängerin, der Christlich-Sozialen Partei, grenzte sich die ÖVP 1945 durch ein eindeutiges Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie und zur österreichischen Nation ab. Das bis Ende der 60er-Jahre erfolgreiche Konzept der ÖVP war das einer bürgerlichen Sammelpartei, die verschiedene Berufsgruppen und ideologischen Strömungen (Konservativismus, Liberalismus, kath. Soziallehre) in sich vereinte.
Die Ziele der ÖVP
Ziel der ÖVP war und ist die politische Repräsentanz und Vertretung aller österreichischen Bürger:innen. Sie betont daher mit „Volkspartei“ in ihrem Namen nicht etwa die ideologische Ausrichtung, sondern stellt den Menschen und die Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Seit 1987 ist die ÖVP ununterbrochen in der Bundesregierung vertreten.
Die ÖVP ist territorial und funktional gegliedert. Territorial folgt sie den staatlichen Gliederungsebenen Bund, Länder, politische Bezirke, zum Teil Gerichtsbezirke und Gemeinden, funktional weist sie eine bündische Struktur auf. Die drei traditionellen und einflussreichsten Bünde sind der Österreichische Bauernbund (ÖBB), der Österreichische Wirtschaftsbund (ÖWB) und der Österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB). Die drei weiteren Teilorganisationen der ÖVP sind die Österreichische Frauenbewegung (ÖFB), die Junge ÖVP (JVP) und der Österreichische Seniorenbund (ÖSB). Seit 1945 stellte die ÖVP bisher (Dezember 2021) sieben Bundeskanzler:
- 1945-1953: Leopold Figl
- 1953 – 1961: Julius Raab
- 1961 - 1961: Alfons Gorbach
- 1961 - 1961: Alfons Gorbach
- 2000 – 2007: Wolfgang Schüssel
- 2017 – 2019: Sebastian Kurz
- 2019 – 2021: Sebastian Kurz
- 2021: Alexander Schallenberg
- 2021: Karl Nehammer
Die Anfänge der ÖVP
Von November 1945 bis März 1970 dominierte die ÖVP die österreichische Politik als stärkere Regierungspartei der Großen Koalition (1947 bis 1966), die den Bundeskanzler und die wichtigsten Ressortminister stellte, und als Träger der ersten Alleinregierung (1966-70). Die Wahlniederlage 1970 leitete eine 17-jährige Oppositionszeit (1970-86) ein, die 1987 mit der Bildung der zweiten Großen Koalition mit der SPÖ beendet wurde, diesmal allerdings mit der ÖVP als schwächerem Koalitionspartner.
Bei den Nationalratswahlen 1986 verzeichnete die ÖVP einen leichten Wählerrückgang, 1990 und 1994 verlor sie so stark, dass sie auf die Größe einer Mittelpartei zurückfiel, 1995 erreichte sie leichte Stimmengewinne. Bei den Nationalratswahlen 1999 konnte die ÖVP ihren Mandatsstand halten, wurde aber nach Stimmen zur drittstärksten Partei hinter SPÖ und FPÖ. Die Stärke der ÖVP liegt auf Länderebene: Seit 1945 stellt die ÖVP in sechs Bundesländern durchgehend die Landeshauptleute (Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg), im Burgenland 1945-64 und in Kärnten 1991 bis 1999.
ÖVP: Neugründung einer Christlich-Sozialen Partei
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde die politische Elite des Ständestaats verhaftet. Unter ihnen waren auch Leopold Figl, Alfons Gorbach und Felix Hurdes. Im KZ Dachau begann nun eine Diskussion über das Scheitern der I. Republik mit ebenfalls inhaftierten Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen. Das war die entscheidende Weichenstellung für die politische Kultur der II. Republik.
Bald kam auch die Frage über eine Neugründung einer Christlich-Sozialen Partei auf. 1943 wurde Leopold Figl aus Dachau entlassen und er knüpfte Kontakte zu Julius Raab. Figl besuchte auch ehemalige Funktionäre des Bauernbundes. 1944 wurde der Bauernbund neugegründet und seine Integration in die Österreichische Volkspartei beschlossen. Der Name Österreichische Volkspartei war seit 1940/41 in der Weinberger/Hurdes Gruppe aufgekommen und wurde allgemein akzeptiert.
Gründung einer Gesamtpartei
Am 6. April 1945 wurde die politische Elite der Gründungsphase der II. Republik aus der Haft entlassen, nachdem die meisten nach dem Attentat auf Hitler wieder verhaftet worden waren. Jetzt sollte sofort eine politische Partei gegründet werden und zur Bildung einer gemeinsamen Regierung sollten Kontakte zu den Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen hergestellt werden. Man wollte nicht den alleinigen politischen Führungsanspruch der Widerstandsgruppe O5 überlassen. Daher sollten Mitglieder von O5 für die ÖVP gewonnen werden.
Die SPÖ wurde bereits am 14. April gegründet und die KPÖ bestand durch die Weiterführung auch schon in der Illegalität. Aber vor der Gründung der ÖVP wurden bereits die Bünde gegründet, der Wirtschaftsbund am 13. April und der ÖAAB am 9. April. Daher wollten die führenden Mitglieder eine rasche Gründung einer Gesamtpartei, um ein Gegengewicht zur SPÖ und zur KPÖ zu schaffen. Am 17. April 1945 wurde die ÖVP im Schottenstift gegründet und Leopold Kunschak Parteiobmann. Kunschak war bereits sehr alt und es wurde ihm Hans Pernter zur Seite gestellt.
Die erste Große Koalition
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde der Sozialdemokrat Karl Renner von den Sowjets mit der Regierungsbildung betraut. Es wurde eine provisorische Regierung gebildet, in der eine Zweidrittel Mehrheit der Linken bestand. Davor aber wurde der Landbund in die ÖVP integriert und der Bauernbund erhielt ein größeres politisches Gewicht. Deswegen wurde auch Leopold Figl für die Regierung nominiert. Damit begann der Aufstieg Figls an die Parteispitze. Am 27. April unterschrieb Kunschak für die ÖVP die Unabhängigkeitserklärung.
Am 15. April war eine Vorentscheidung für das System der Sozialpartnerschaft mit der Gründung des ÖGB geschaffen worden. Die Regierung Renner wurde nur von der Sowjetunion anerkannt und die ÖVP befürchtete eine Teilung des Landes. Es wurden daher Versuche unternommen, um mit dem Westen und dem Süden Österreichs Kontakt aufzunehmen. Zwischen dem 23. Juni und dem 23. September fanden vier Länderkonferenzen in Salzburg statt, durch diese die Einheit Österreichs gesichert wurde. Am 29. Juni wurden bereits Vertreter der westlichen Bundesländer in die Regierung aufgenommen.
Der 23. September 1945 war eine wichtige Zäsur für die ÖVP, denn es wurde das Primat der Bünde über die Gesamtpartei beschlossen und Leopold Figl wurde neuer Parteiobmann. Bei den Wahlen am 25. November erreichte die ÖVP die absolute Mehrheit. Es kam zu einer Neuauflage der Konzentrationsregierung, aber mit geänderten Verhältnissen. Leopold Figl wurde Bundeskanzler. In sieben Bundesländern erlangte die ÖVP ebenfalls die absolute Mehrheit. 1946 begann der Aufstieg von Julius Raab. Er wurde Präsident der Bundeswirtschaftskammer und löste 1952 Figl als Parteiobmann ab. 1947 zog die KPÖ ihr einziges Regierungsmitglied ab und es folgte die Phase der ersten Großen Koalition.
Das Grundsatzprogramm der ÖVP
Mit den „15 programmatischen Leitsätzen“ vom Juni 1945 präsentierte sich die ÖVP als soziale und wirtschaftliche Volkspartei. Sie sprach damals eine breite Bürgerschaft an und vereinte die christliche Soziallehre mit dem Konservatismus und dem Liberalismus sowie dem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie und zur österreichischen Nation. Auf das Grundsatzprogramm von 1945 folgte 1972 das „Salzburger Programm“ und 1985 die Ergänzung durch das „Zukunftsmanifest“. Im Grundsatzprogramm von 1995 werden die Werte Freiheit, Verantwortung, Leistung, Sicherheit und Subsidiarität betont.
Außerdem wurde das auf dem ökologischen Prinzip der Nachhaltigkeit beruhende Konzept der „Ökosozialen Marktwirtschaft“ als ökonomisches Ordnungssystem der Zukunft in das Grundsatzprogramm aufgenommen. Darunter wird das Ziel verstanden, die natürlichen Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Die ÖVP versteht sich als christdemokratische Partei, Partei des liberalen Rechtsstaates und der offenen Gesellschaft, als Österreichpartei in Europa, Partei der ökosozialen Marktwirtschaft und als Partei des österreichischen Volkes.
Die Bundesparteiobmänner der ÖVP
- Leopold Kunschak (1945)
- Leopold Figl (1945-1952)
- Julius Raab (1952-1960)
- Alfons Gorbach (1960-1963)
- Josef Klaus (1963-1970)
- Hermann Withalm (1970/71)
- Karl Schleinzer (1971-1975)
- Josef Taus (1975-1979)
- Alois Mock (1979-1989)
- Josef Riegler (1989-1991)
- Erhard Busek (1991-1995)
- Wolfgang Schüssel (1995-2007)
- Wilhelm Molterer (2007-2008)
- Josef Pröll (2008-2011)
- Michael Spindelegger (2011-2014)
- Reinhold Mitterlehner (2014-2017)
- Sebastian Kurz (2017 - 2021)
- Karl Nehammer (seit 2021)
ÖVP – die Phase „Kurz“
Der Aufstieg von Sebastian Kurz in der Politik ist beispiellos. Er war immer der Jüngste – der jüngste Staatssekretär, der jüngste Außenminister, der jüngste ÖVP-Chef und auch der jüngste Bundeskanzler. Sein Jus-Studium hatte er abgebrochen. „Jetzt studiert die Justiz ihn“, so die ORF-Nachrichtensendung „Zeit im Bild“ am 12. Oktober 2021. Die Eckpunkte seiner Karriere: Mit 24 Jahren wurde er Integrationsstaatssekretär, mit 27 Jahren jüngster Außenminister der österreichischen Geschichte.
Als Außenminister vertrat er unter anderem eine harte Linie in der Asylpolitik und bediente sich dabei an Themen, die sonst eher die rechtspopulistische FPÖ vertritt. Aufgrund dieses Rechtsruckes kommt es zum Machtkampf innerhalb der ÖVP. Kurz sägte am Sessel des ÖVP-Parteichefs und Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner, der im Mai 2017 seinen Rücktritt bekannt gab. Kurz wurde daraufhin ÖVP-Obmann und wandelte die bislang schwarze ÖVP in eine jugendlich auftretende und damit für viele Wähler attraktive „neue Volkspartei“ um. Die Partei wurde auch umgestrichen: Von Schwarz zu Türkis. Mit 31 Jahren wurde Sebastian Kurz im Jahr 2017 Österreichs Bundeskanzler, in Koalition mit der FPÖ.
Erst das sogenannte „Ibiza-Video“ setzte dem Kurz-Höhenflug vorerst ein abruptes Ende, da Kurz im Rahmen des Ibiza-Untersuchungsausschusses der Falschaussage beschuldigt wurde. Der Nationalrat sprach der ÖVP-FPÖ-Regierung das Misstrauen aus. Erstmals in der Zweiten Republik wurde ein Bundeskanzler abgewählt. Bei den darauffolgenden Neuwahlen war die ÖVP aber erneut klarer Gewinner. Sebastian Kurz wurde ein zweites Mal Bundeskanzler, diesmal in Koalition mit den Grünen.
ÖVP: Die jüngsten Ereignisse
Anfang Oktober präsentierten die ÖVP und Koalitionspartner Die Grünen die Eckpunkte der gemeinsamen Steuerreform. Wenige Tage später stand Österreichs Politikwelt Kopf. Nach Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale, dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt wird publik, dass gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie acht weitere Verdächtige aus dessen näherem Umfeld wegen Bestechlichkeit und Untreue ermittelt wird. Bereits am 23. September 2021 hatte die Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) beim Richter Hausdurchsuchungen unter anderem im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium, in der ÖVP-Zentrale und der Mediengruppe „Österreich“ beantragt.
Bei den Hausdurchsuchungen ging es um den Verdacht von Geldflüssen für geschönte Umfragen, die in der Zeitung Österreich veröffentlicht worden seien. Am 9. Oktober kündigte Sebastian Kurz im Rahmen einer Pressekonferenz seinen Rücktritt als Kanzler an. Ein paar Woche leitete er als Klubchef, gemeinsam mit August Wöginger, die Geschicke der Volkspartei im Parlament. Alexander Schallenberg übernahm den Posten des Kanzlers. Bis Anfang Dezember, als sich Kurz endgültig aus der Politik zurückzog und es zu einer weiteren Rochade der ÖVP-Ministerien kam. Schallenberg ist seitdem wieder Außenminister, der neue Bundeskanzler und ÖVP-Chef ist nun der frühere Innenminister Karl Nehammer.
von Wolfgang Wonesch