1. BuzzFeed.at
  2. News
  3. Recherchen

Sebastian Kurz: Vom ÖVP-Messias zum Vater

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Emily Erhold

Kommentare

Sebastian Kurz im Parlament.
Sebastian Kurz tritt nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler als ÖVP-Abgeordneter im Parlament auf. © Georges Schneider/photonews.at/Imago

Die Karriere von Sebastian Kurz ist so steil wie kaum eine zweite. 2017 wird er mit 31 Jahren zum weltweit jüngsten amtierenden Regierungschef. Es folgt eine krisenreiche Amtszeit als Bundeskanzler, ehe er 2021 zurücktritt.

NameSebastian Kurz
SpitznamenBasti, Shorty, Schweigekanzler
Berühmt wegen:Geilomobil, Ibiza-Untersuchungsausschuss, WKStA, Corona-Pressekonferenzen
Geburtstag27. August 1986
GeburtsortWien
Letztes Politisches AmtAbgeordneter zum Nationalrat
Aktueller JobVater
FreundinSusanne Thier
SchuleVolksschule Anton-Baumgartner-Straße, Gymnasium Erlgasse

Sebastian Kurz: Von der JVP zum jüngsten Bundeskanzler Österreichs

Schon als Teenie entdeckt Sebastian Kurz die Politik und tritt 2003, ein Jahr vor seiner Matura, in die Jugendorganisation der Österreichischen Volkspartei, in die Junge ÖVP (JVP) ein. 2008 wird er zum Vorsitzenden der Wiener JVP, nur ein Jahr später auch zum Bundesvorsitzenden. Als Obmann der JVP Wien macht er erstmals 2010 Schlagzeilen.

Im Wahlkampf um die Hauptstadt fährt er mit schwarzen Hummer a.k.a „Geilomobil“ auf. Der junge Kurz posiert auf der Motorhaube, verteilt Kondome und will mit dem Slogan „Schwarz macht geil“ die Jugend für die damals in Wien um ihre Existenz kämpfende ÖVP begeistern. Der Erfolg für die Partei bleibt bei der Gemeinderatswahl zwar aus, die Karriere von Kurz ist aber weiter im Aufwind. Nach einem Abstecher als Abgeordneter im Gemeinderat und Landtag wird er 2011 vom damaligen ÖVP-Obmann Michael Spindelegger als Integrationsstaatssekretär ins Innenministerium geholt. 2013 wird Kurz mit nur 27 Jahren Minister für Europa, Integration und Äußeres.

Der Kurze Weg ins Kanzleramt: Projekt Ballhausplatz

Am 10. Mai 2017 kündigt der damalige Vizekanzler und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner seinen Rücktritt an. Sein Nachfolger als Obmann wird am 14. Mai Sebastian Kurz. Der 30-jährige Politiker lehnt es ab, auch die Rolle des Vizekanzlers zu übernehmen, fordert aber sofort Neuwahlen. Justizminister Wolfgang Brandstetter wird Vizekanzler. Kurz selbst scheint auf die Parteiübernahme bestens vorbereitet zu sein - ist er auch - wie das Wochenblatt „Der Falter“ später herausfindet. In Dokumenten, die der Zeitung zugespielt werden, ist die Parteiübernahme von Kurz und seine Strategie für die Neuwahlen als „Projekt Ballhausplatz“ minutiös niedergeschrieben.

Kurz knüpft seine Bestellung zum Obmann an sieben Bedingungen, darunter freie Hand bei der Aufstellung der Bundesparteiliste und die Möglichkeit, bei den Neuwahlen unter dem Listen-Namen „Liste Sebastian Kurz- die neue Volkspartei (ÖVP)„ anzutreten. Beim Parteitag im Juli wird Kurz mit 98,7 Prozent zum neuen Partei-Obmann gewählt. Schwarz wird zu Türkis. In der ÖVP beginnt die Ära Kurz.

Der junge Politiker wirbelt viel schwarzen Staub auf. Er krempelt die konservative Partei komplett um. Der neue Anstrich scheint zu wirken. Bei den Nationalratswahlen am 15. Oktober 2017 geht die Neue Volkspartei von Sebastian Kurz mit 31,5 Prozent der Stimmen als Sieger hervor. Mit der zweitstärksten Partei, der SPÖ, möchte Kurz allerdings keine erneute Koalition eingehen. Stattdessen holt er die rechtspopulistische FPÖ in die Regierung. Die offiziellen Koalitionsverhandlungen beginnen am 25. Oktober 2017.

Kurz I: Die türkis-blaue Koalition

Als die Regierung Kurz I am 18. Dezember 2017 angelobt wird, ist Sebastian Kurz der jüngste amtierende Regierungschef der Welt. Er ist es auch, der mit der FPÖ eine rechtspopulistische Partei in die Regierung holt. Für dieses Bündnis erntet Kurz auch heftig Kritik. Ab Oktober 2018 finden in Wien wie schon zu Zeiten der FPÖ-ÖVP-Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Donnerstagsdemonstrationen statt.

Die Menschen gehen wöchentlich auf die Straße, um gegen die rassistische und fremdenfeindliche Politik der Regierung zu demonstrieren. Besonders der damalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl fällt immer wieder mit Negativ-Schlagzeilen auf. So spricht er etwa bei einer Pressekonferenz im Jänner 2018 davon, Asylwerber „konzentriert an einem Ort“ halten zu wollen. Kurz, der fast nie auf solche Aussagen reagiert, wird von den Medien schnell als „Schweigekanzler“ bezeichnet - ein Spitzname, den bereits Wolfgang Schüssel innehatte. Mit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos und dem anschließenden Bruch der Koalition enden auch die Donnerstagsdemos.

Die Ibiza-Affäre und das Ende von Kurz I

Am 17. Mai 2019 veröffentlichen „Spiegel Online“ und „Die Süddeutsche Zeitung“ ein Video, das die Innenpolitik Österreich noch lange erschüttern wird. Es zeigt Vizekanzler HC Strache, wie er 2017 mit seinem Parteikollegen Johann Gudenus einen Abend in einer Villa auf Ibiza verbringt. Sie unterhalten sich mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte über mögliche Großinvestitionen in Österreich. Strache spricht über eine potenzielle Übernahme der „Kronen Zeitung“ durch die Russin. Gudenus und Strache zeigen in dem Video ihre Bereitschaft zur Korruption.

Das von den Medien schnell als „Ibiza-Video“ titulierte Material wird zum Politik-Skandal. Die erste Regierung unter Sebastian Kurz scheitert an der Ibiza-Affäre. Nur einen Tag nach Veröffentlichung treten Strache und Gudenus von ihren Ämtern zurück, Bundeskanzler Kurz verkündet das Ende der Koalition und baldige Neuwahlen. Die vorübergehende Regierung unter Finanzminister Hartwig Löger wird am 3. Juni durch die Übergangsregierung unter Brigitte Bierlein ersetzt.

Sebastian Kurz und der Reisswolf: Die Schredder-Affäre

Trotz der Beendigung der türkis-blauen Koalition durch Sebastian Kurz, kündigte die Liste JETZT ein Misstrauensvotum gegen die Kurz-Regierung an. Wenige Tage darauf lässt ein Mitarbeiter des Bundeskanzleramts unter falschen Namen bei der Firma Reisswolf Datenträger schreddern. Der Fall schafft es in die Medien. Auch Jahre später ist nicht bekannt, was auf den vernichteten Festplatten zu sehen ist. Die ÖVP beharrt darauf, dass es sich dabei lediglich um Druckerfestplatten gehandelt habe. Das wird allerdings von Parlamentarier:innen und Journalist:innen bezweifelt.

Später wird vermutet, dass es sich zumindest bei einer der Festplatten um die Laptop-Festplatte des damaligen Kanzleramtsministers Gernot Blümel handelt. Im Ibiza-Untersuchungsausschuss gibt er an, keinen Laptop zu besitzen, obwohl ihm ein solcher beruflich zustehen würde. Sebastian Kurz nennt das Schreddern „normales“ Prozedere. Die Schredder-Affäre wird ebenso wie die Ibiza-Affäre seit 2020 im Ibiza-Untersuchungsausschuss aufgearbeitet. Zwar ist das Schreddern von Datenträgern tatsächlich ein legitimes Vorgehen, die Art und Weise des Vorgangs sowie die Verwendung eines falschen Namens werden von der Staatsanwaltschaft Wien geprüft.

Kurz II: Corona und die Pressekonferenzen

Kurz ist dennoch erneut Spitzenkandidat der ÖVP und betreibt bis zu den Neuwahlen fleißig Wahlkampf. Die ÖVP erhält 37,46 Prozent der Stimmen. Nachdem auch weiterhin eine Koalition mit der SPÖ für Kurz nicht infrage kommt und die erste Koalition mit der FPÖ mehr als unschön beendet wurde, versucht es der Bundeskanzler in seiner zweiten Amtszeit mit den Grünen. Es entsteht die erste türkis-grüne Koalition auf Bundesebene.

Das Regierungsprogramm spiegelt die Farben der Parteien wider: Österreich soll etwa bereits 2040, also zehn Jahre vor dem EU-Ziel, klimaneutral werden. Ein österreichweites Öffi-Ticket wird 2021 durchgesetzt. Außerdem einigen sich die Regierungsparteien auf den Ausstieg aus Öl und Kohle. Ein Klimacheck für Gesetze soll kommen. Die Integrationspolitik ist hingegen mehr türkis als grün. „Integration durch Leistung“ heißt das Motto.

Das Kopftuchverbot an Schulen wird ausgeweitet. In islamischen Kinderbetreuungsstätten soll es verstärkte Kontrollen geben. Auch eine Steuersenkung und ein erhöhter Familienbonus steht im Programm. Bei der Sicherungshaft für „gefährliche Personen“ setzen sich die Türkisen gegen die Grünen durch, die zuvor vehement gegen eine solche Politik eingetreten sind. Man will sich aber zumindest auf einen verfassungskonformen Kompromiss einigen.

Nicht lange nach der Angelobung der türkis-grünen Koalition kommt es zur ersten schweren Krise im Land. Die Corona-Pandemie trifft auch Österreich. Die Regierung scheint zumindest am Anfang die Situation unter Kontrolle zu halten. Schnell wird ein Lockdown verhängt. Die strengen Maßnahmen scheinen im Frühling 2020 noch Wirkung zu zeigen. Kurz setzt vor allem auf inszenierte Pressekonferenzen, kündigt sogar Ankündigungen an. Nicht immer sind die Maßnahmen und ihr Zeitpunkt ganz schlüssig.

Auch als die ersten Impfungen in der EU zur Verfügung stehen, passieren dem Bundeskanzler einige Patzer. In einem Konflikt über die Verteilung der Impfdosen wird Kurz in Brüssel heftig kritisiert. Österreich droht wiederum mit einer Impfstoff-Blockade. Die Regierung strauchelt mit der Corona-Krise. Im April tritt der Grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober zurück und lässt seinem Unmut gegenüber dem türkisen Koalitionspartner Luft. Unterdessen geht die Impf-Kampagne in Österreich nur schleppend voran. Im September liegt die Durchimpfungsrate der Bevölkerung gerade einmal bei etwa 60 Prozent.

Auch abseits der Corona-Krise hat Kurz viele Hindernisse zu überwinden. Seine strenge Migrationspolitik wird innerhalb der EU heftig kritisiert. Er will keine Geflüchteten aus dem abgebrannten griechischen Lager Moria aufnehmen. Anfang 2021 macht die Abschiebung eines hier geborenen und aufgewachsenen Mädchens Schlagzeilen und wirft ein schlechtes Licht auf das Asylsystem in Österreich. Der spätere Bundeskanzler, Karl Nehammer, der damals noch Innenminister ist, gerät dabei ins Kreuzfeuer der Medien.

Sebastian Kurz: Ermittlungen wegen Falschaussagen

Im Mai 2021 wird bekannt, dass die Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft (WKStA) Ermittlungen gegen den Bundeskanzler aufgenommen hat. Konkret geht es um mutmaßliche Falschaussagen im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Es sind Aussagen zu der Vorgehensweise bei der Bestellung des Aufsichtsrats der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG). Kurz wird zum Beschuldigten. Von seinem Amt als Bundeskanzler tritt er nicht zurück.

Sebastian Kurz und die ÖVP-Korruptionsaffäre

Am 6. Oktober 2021 wird bekannt, dass die WKStA Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im Finanzministerium durchgeführt hat. Sebastian Kurz und weitere Personen sollen 2017 gefälschte Umfragen an die Tageszeitung „Österreich“ geschickt und die Kosten durch Scheinrechnungen dem Finanzministerium verrechnet haben. In der gefälschten Umfrage hatte die ÖVP 2017 eine extrem schlechte Zustimmungsrate von nur 18 Prozent in der Bevölkerung. Das fiktive Ergebnis trug damals zum Rücktritt des ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehner bei und ebnete den Weg für Sebastian Kurz.

Im Zuge der Anschuldigungen gegen ihn, tritt Sebastian Kurz am 9. Oktober 2021 als Bundeskanzler zurück. Der bis dahin als Außenminister eingesetzte ÖVP-Politiker Alexander Schallenberg übernimmt das Amt. Kurz bleibt allerdings Partei-Obmann und wird außerdem zum Klub-Obmann der ÖVP im Parlament. Am 14. Oktober wird er als Abgeordneter im Nationalrat angelobt. Noch am selben Tag stellt die WKStA einen Antrag zur Aufhebung der Immunität von Kurz, damit die Ermittlungen gegen seine Person weitergeführt werden können.

Sebastian Kurz verabschiedet sich aus der Politik

Und dann kommt der 2. Dezember 2021. Ein Tag, an dem eine Ära zu Ende geht. Sebastian Kurz kündigt an, sich aus all seinen politischen Ämtern zurückzuziehen. Als Grund gibt er die Geburt seines Sohnes an und dass die Vorwürfe gegen ihn „kraftraubend und zehrend“ gewesen wären. Das habe „in mir meine eigene Flamme kleiner werden lassen“. In nächster Zeit möchte sich Kurz auf seine Familie konzentrieren und dann den Sprung in die Privatwirtschaft wagen.

Auch interessant

Kommentare