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Syrien – von A wie Aufstand bis Z wie Zerschlagung

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Die Demokratisierung des Landes ist weit entfernt, stattdessen stehen Anschläge auf die eigenen Bürger:innen an der Tagesordnung. Wissenswertes über Syrien.

Offiziell ist die Arabische Republik Syrien ein sozialistisch-volksdemokratischer Staat mit einem Präsidenten an der Staatsspitze. Die Familie Al-Assad hat daraus allerdings eine Diktatur gefertigt. Das ist auch der Grund, weshalb seit dem März 2011 in Syrien gekämpft wird. Es ist andauernde, bewaffnete Auseinandersetzung verschiedener Gruppen. Auslöser des Konflikts war ein friedlicher Protest gegen das autoritäre Regime Assads im Zuge des Arabischen Frühlings Anfang 2011. Der Großteil der Geflüchteten in Österreich kommt aus Syrien.

Syrien: Aktuelle Problematik

Es kam zu einer wachsenden Einflussnahme der Muslimbrüder, anderer radikalsunnitischer Gruppierungen und ausländischer Interessenvertreter, die dabei eigene Interessen verfolgen. Neben dem Zustrom von Waffen kämpften zudem auch immer mehr ausländische Freiwillige und Söldner in Syrien. Der Wunsch der Opposition, die Demokratisierung Syriens zu erreichen, rückte in diesem Krieg immer mehr in den Hintergrund, stattdessen trat der Kampf verschiedener Organisationen aus religiösen und ethnischen Gründen in den Vordergrund. Aber schon davor war die syrische Geschichte bereits seit Jahrhunderten von wechselnden Herrschern, territorialen Konflikten und der Suche nach einer eigenen Identität geprägt. 

Alltag für Kinder in Syrien: Der Schulweg führt an zerstörten Häusern vorbei.
Alltag für Kinder in Syrien: Der Schulweg führt an zerstörten Häusern vorbei. © Anas Alkharboutli/dpa

Demografische und geografische Fakten

70 Prozent der Bevölkerung sind Sunniten, 3 Prozent Schiiten, 13 Prozent Alawiten, 9 Prozent Christen und 3 Prozent Drusen. Obwohl die Alawiten eine Minderheit darstellen, wird das Land seit 1971 von der alawitischen Familie Assad beherrscht. Syrien grenzt im Süden an Israel und Jordanien, im Westen an den Libanon und das Mittelmeer, im Norden an die Türkei und im Osten an den Irak. Im Jahr 2010 lebten knapp 21 Millionen Menschen im Land, die meisten in Aleppo, der Hauptstadtregion von Damaskus, in Homs, Hama und Latakia. Heutzutage sind viele davon wegen Kriegen, Eroberungen, Terror und Kriegsverbrechen auf der Flucht.

Die Beziehungen zwischen Syrien und Iran gründen im Wesentlichen auf einer gemeinsamen feindlichen Haltung gegenüber Israel und einem ähnlichen Verständnis der islamischen Identität.

Syrien und seine Geschichte bis 1920

64 v. Chr.: Die Provinz Syria wird durch Feldherr Gnaeus Pompeius Magnus zum Teil des Römischen Reiches ernannt. Der Name des heutigen Syriens ist darauf zurückzuführen. Hauptstadt ist Antiochia, damals eine der größten und bedeutendsten Städte im östlichen Mittelmeerraum.

636 n. Chr.: Das byzantinische Syrien wird von Arabern nach der Schlacht am Jarmuk erobert. Im Jahr 661 verlagert der Kalif Muʿāwiya I. die Hauptstadt seines Kalifats nach Damaskus. Dadurch wird Syrien das neue Kernland des Reiches.

1098: Christliche Kreuzfahrer landen in Syrien und gründen mehrere Kleinstaaten. Da die islamischen Herrscher in der Region zerstritten sind, können sich die Kreuzritter dort lange halten. Mit der Niederlage in Damaskus im Jahr 1148 endete der zweite Kreuzzug. Nach der Eroberung Israels durch Saladin wurde Damaskus unter der vom im begründeten Ayyubidendynastie zur Hauptstadt seines Reiches. Erst 1268 erobern muslimische Truppen das Land zurück.

1516: Syrien wird Teil des Osmanischen Reichs und hat als Drehkreuz für den Warenverkehr eine strategisch besondere Bedeutung. Unter den Osmanen, die bis zum 1. Weltkrieg an der Macht bleiben sollten, herrscht relative Toleranz zwischen Muslimen, Christen und Juden. Nachdem europäische Händler den Seeweg nach Indien entdecken, beginnt der wirtschaftliche Niedergang Syriens, da das Land seine Bedeutung für den Transithandel aus Asien einbüßt.

1918: Das Osmanische Reich verbündete sich während des Ersten Weltkrieges mit dem Deutschen Reich und wurde daher nach dem 1. Weltkrieg dem Sykes-Piquet-Abkommen entsprechend in ein französisches und ein britisches Mandatsgebiete aufgeteilt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ist Syrien zunächst von britischen Truppen besetzt.

1920: Syrien erklärt sich zur unabhängigen Monarchie. Eine arabisch-nationalistische Regierung unter Duldung der Briten wird errichtet. Faisal I. lässt sich zum König krönen. Im selben Jahr marschieren Frankreichs Truppen ein und stellen das Land unter ihre Verwaltung. Dabei trennen sie Libanon, Palästina und Jordanien von Syrien ab. Die Syrer empfinden Frankreich als Kolonialmacht. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Aufständen, die die Franzosen mit Gewalt niederschlagen.

Syrien und seine Geschichte bis 2000

1946: Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ziehen sich die französischen Truppen aus Syrien zurück und entlassen das Land 1946 – in den heutigen Grenzen – in die Unabhängigkeit. Bereits 1945 ist Syrien Gründungsmitglied der Vereinten Nationen.

1963: Die Baath-Partei putscht sich in Syrien an die Macht: Sie verknüpft sozialistische mit panarabischen Ideen miteinander. Unternehmen werden verstaatlicht, das Land orientiert sich in Richtung Sowjetunion.

1970 bis 2000: Der ehemalige Verteidigungsminister Hafiz al-Assad, ein Mitglied der Baath-Partei, gelangt 1970 durch einen Staatsstreich an die Macht. Militär und Geheimdienst sichern seine Herrschaft ab. Oppositionelle werden verhaftet oder ermordet. 1971 wird er zum Präsidenten Syriens gewählt. 1982 lässt er einen Aufstand der Muslimbrüder in Hama niederschlagen, mehr als 20.000 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Hafiz al-Assad stirbt im Jahr 2000.

2000: Im Jahr 2000 kommt Hafiz al-Assads Sohn Baschar al-Assad an die Macht. Zunächst gilt er als Reformer, doch als der Arabische Frühling 2011 in Syrien zu Demonstrationen für mehr Demokratie und Bürgerrechte und gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit führt, reagiert er mit brutaler Härte. Ein Bürgerkrieg bricht aus. Vier Millionen Menschen flüchten aus dem Land. Mehr als 500.000 Menschen sollen bisher gestorben sein.

Der Arabische Frühling und seine Folgen

Im Juli 2011 bildete sich die Freie Syrische Armee (FSA). Einstige Zivilist:innen bewaffnen sich, Desserteure der syrischen Regierungstruppen laufen über, um sich gemeinsam gegen den Staat zu wehren, der mit Beginn des Arabischen Frühlings gestartet hatte, die Armee auf Demonstrant:innen loszulassen. Assad entsendet gewalttätige Truppen in die Städte Hama und Deir Ezzo, wo hunderte Zivilist:innen getötet werden. Später sollten auch Untergruppen der al-Qaida sowie unzählige weitere Splittergruppen in den bewaffneten Konflikt eintreten. Die USA und die EU verhängen Sanktionen gegen Öl und andere Güter, um Druck auf die syrische Regierung auszuüben, damit sie ihre gewaltsamen Handlungen einstellt. Der Versuch bleibt erfolglos.

Die syrische Regierung verstärkt 2012 das Bombardement seiner Bürger:innen in mehreren Städten des Landes. Die USA schließen ihre Botschaft in Damaskus und ziehen ihre Diplomaten ab. Der Golf-Kooperationsrat verkündet, dass er seine Diplomaten aus Damaskus abzieht und syrische Diplomaten aus den Mitgliedsstaaten ausweist.

Der Giftgasangriff von Ghuta

Eine UNO-Untersuchung der Giftgasangriffe von Ghuta vom 21. August 2013 wies den Einsatz des chemischen Kampfstoffs Sarin in hoch konzentrierter Form nach, der mittels Boden-Boden-Raketen verschossen wurde. Unterschiedlichen Angaben zufolge starben dabei bis zu 1.729 Menschen. Einige tausend Personen sollen mit neurotoxischen Reaktionen in Krankenhäuser eingeliefert worden sein.

Das beim Giftgasangriff verwendete Sarin stammte aufgrund seiner chemischen Spurenelemente aus denselben Beständen der syrischen Armee wie Giftgas bei anderen Angriffen. Die Hohe UN-Kommissarin für Menschenrechte, Navanethem Pillay, erklärte, dass eine Untersuchungskommission „überwältigende Beweise“ dafür gefunden hat, dass höchste Regierungskreise in Syrien verantwortlich für die Kriegsverbrechen sind.

Syrien und der Einfluss der Terrormiliz IS

2014 ruft der Islamische Staat in den besetzten Gebieten in Syrien und dem Irak ein Kalifat (einen islamischen Staat) aus. Die USA und Alliierte fliegen Luftangriffe gegen ISIS-Ziele in Syrien, insbesondere in den Städten Raqqa und Aleppo. Russland fliegt seine ersten Luftangriffe und erklärt, dass es ausschließlich ISIS angreift. Die syrische Opposition kritisiert, dass Russland fast nur Anti-Assad-Rebellen angreift und dadurch mehr schadet als hilft.

Mit der Unterstützung russischer Flugzeuge erobert die syrische Regierung Aleppo zurück, einen der wichtigsten Rebellenstützpunkte. Zehntausende syrische Flüchtlinge sind in Flüchtlingslagern nahe der jordanischen Grenze gestrandet, nachdem Jordanien seine Grenzen geschlossen hat, um den Flüchtlingsstrom zu bremsen.

Bei dem Giftgasangriff am 4. April 2017 starben in der syrischen Stadt Chan Schaichun während des Bürgerkriegs in Syrien durch Giftgas mindestens 86 Menschen und weitere wurden verletzt. Die Provinz Idlib wurde damals von einem syrischen Rebellenbündnis kontrolliert und galt als wichtigste Hochburg der Rebellen. Die Regierungen zahlreicher Länder, darunter USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, machten die syrische Regierung für den Giftgas-Angriff verantwortlich.

Im Juli 2022 tauchen Berichte auf, nach denen die radikalislamische Palästinenser-Organisation Hamas und Syrien ihre Beziehungen wieder aufnehmen, nachdem hier zehn Jahre lang Funkstille geherrscht hatte. Das bereitet in Israel Grund zur Sorge. Angeblich war die libanesische Hisbollah an der Versöhnung beteiligt.

Der Sieg der Taliban in Afghanistan gab auch den IS Schläferzellen im Osten Syriens Auftrieb nach Berichten der Tagesschau. Eine Wiederkehr zum „Islamischen Staat“ wäre ein schwerer Schlag für die Frauenrechte wie in Afghanistan.

Syrien: Flucht und Angst sind Normalität

Bis zum April 2018 schätzte der damalige Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de Mistura (aktuell: Geir Pedersen), dass seit Beginn des Krieges rund 500.000 Menschen getötet wurden. Nach Angaben des UNHCR, die auch in der Wiener UNO-City einen Sitz haben, verließen bis Januar 2019 rund 6,7 Millionen Menschen das Land verlassen. Die meisten von ihnen befinden sich in den angrenzenden Staaten: Türkei, Libanon und Jordanien.

Mehr als eine Million syrischen Kriegsflüchtlinge sind nach Europa gekommen – von ihnen leben rund 770.000 Menschen in Deutschland, prägend für die europäische Geflüchtetenpolitik war sicherlich das Jahr 2015. In Österreich wurden im Jahr 2021 bis Ende September rund 23.000 Asylanträge gestellt. Die meisten Asylanträge in Österreich kommen aus Syrien gefolgt von Afghanistan und Marokko.

Von Wolfgang Wonesch

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