Trotz Tierschutzverstößen: Tausende Kühe nach Usbekistan transportiert - Behörden sind machtlos

Über 7000 Rinder aus Deutschland wurden im vergangenen Jahr nach Kasachstan und Usbekistan transportiert. Die Tiere leiden oft Hunger und Durst.
Für eine Kuh ist die Fahrt nach Usbekistan eine Tortur. Wenn sie auf den Transportlaster geladen wird, liegen mehr als 5000 Kilometer Fahrt im LKW vor ihr, tagelang steht sie auf schwankendem Boden. Die Kuh ist in der Regel trächtig, sie soll am Zielort eine neue Herde aufbauen. Im Sommer steigt die Hitze im Laster schnell mal auf 30 Grad oder mehr, im Winter gefriert das Wasser in den Tränken. Die Kuh muss sich anstrengen, um das Gleichgewicht zu halten. Fällt sie zu Boden, fehlt ihr manchmal die Kraft, wieder aufzustehen. Sie liegt dann zentimeterhoch im Kot.
Der Tierschutz wird auf den Fahrten nach Usbekistan und Kasachstan oft nicht eingehalten, immer wieder wird das Gesetz gebrochen. Das bestätigen Behördenmitarbeiter, Wissenschaftler und Tierschützer im Gespräch mit Ippen Investigativ. Die EU-Transportverordnung schreibt vor, dass die Rinder nach spätestens 29 Stunden abgeladen werden müssen, um zu fressen, zu trinken und sich auf festem Boden auszuruhen. Landesministerien in ganz Deutschland haben massive Zweifel daran, dass es auf dem Weg nach Kasachstan und Usbekistan überhaupt genügend Versorgungsstationen gibt, um die Tiere rechtskonform zu versorgen.
Zahlreiche Bundesländer, darunter Hessen, Sachsen und Bayern, haben Usbekistan und Kasachstan auf eine Liste an Drittländern gesetzt, bei der „erhebliche Zweifel“ daran bestehen, dass deutsche Tierschutzstandards beim Transport der Tiere eingehalten werden.
Trotz bekannter Verstöße werden tausende Rinder nach Usbekistan transportiert
Über ein rechtliches Schlupfloch haben Transportunternehmen im vergangenen Jahr dennoch mehr als 7000 Rinder über Ungarn nach Kasachstan und Usbekistan transportiert – trotz bekannter Verstöße im Tierschutz. Das zeigen Recherchen von Ippen Investigativ.
Exklusive Zahlen belegen, dass allein im vergangenen Jahr mehr als 3000 Tiere über Ungarn nach Kasachstan transportiert wurden und mehr als 4200 Rinder nach Usbekistan. Die internen Dokumente, aus denen diese Daten hervorgehen, stammen aus einer europäischen Kontrollbehörde. Die Tierrechtsorganisation Animal Welfare Foundation hat die Unterlagen über das Informationsfreiheitsgesetz erhalten. Ippen Investigativ hat die Dokumente und Daten gesichtet, die Echtheit überprüft und stichprobenartig Behörden und Ministerien mit den Ergebnissen konfrontiert.
Der Europäische Gerichtshof hatte 2015 entschieden, dass Behörden sicherstellen müssen, dass der Tierschutz auf dem Transport bis zum Zielland eingehalten wird. Den von Ippen Investigativ angefragten Behörden waren die hohe Zahl der deutschen Tiertransporte nach Kasachstan und Usbekistan aber bisher nicht bekannt.
„Für die schwangeren Tiere bedeutet die lange Fahrt ein enormer Stress“
Grund dafür ist ein Schlupfloch in der EU-Transportverordnung. Bleiben die Tiere 48 Stunden an einem Ort, gilt ihre Weiterfahrt als neuer Transport. Die Tiere werden zunächst nach Ungarn gefahren, dort zwei Tage abgeladen und dann weitertransportiert, bis nach Kasachstan oder Usbekistan. Deutsche Behörden können den Tierschutz auf der Weiterfahrt nicht mehr kontrollieren, Beamte in Ungarn sind dann zuständig. Deutsche Behörden erfahren nicht einmal, wohin die deutschen Tiere am Ende tatsächlich transportiert werden.
„Für die schwangeren Tiere bedeutet die lange Fahrt ein enormer Stress“, sagt Iris Baumgärtner von der Animal Welfare Foundation. Auf tausenden Kilometern müssen die Rinder jedes Bremsen ausgleichen, jede Kurve, sie können sich nicht hinlegen und wer rangniedrig ist kommt oft nicht einmal an die Tränke und leidet Durst.
Eine Analyse der internen Daten zeigt: Besonders viele exportierte Tiere stammen ursprünglich aus Bayern; das betrifft mehr als 2500 Kühe, also rund 85 Prozent der Tiere, die nach Kasachstan transportiert wurden. Nach Usbekistan wurden zahlreiche Tiere aus Bayern und Niedersachsen transportiert, etliche kommen zudem aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. (Grafik)
Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und (STMUV) hatte schon vor Monaten auf den möglichen Umweg der Tiere über Ungarn hingewiesen. „Tierschutzwidrige Transporte in kritische Drittstaaten sind nicht hinnehmbar“, schreibt das Ministerium auf Anfrage. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg schreibt: Man sehe „deutlichen Handlungsbedarf zum Schutz der Tiere“. Aus dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz heißt es, man wisse von dem rechtlichen Schlupfloch, aber: „Das Ausmaß war nicht bekannt.“ Das Vorgehen der Exporteure befremde. Es überrasche allerdings auch nicht, wenn man zugrunde lege, dass deutsche Behörden über Jahre hinweg Fahrtenplanungen vorgelegt bekommen hätten „in denen nicht existierende Versorgungsstationen eingetragen waren“.
Vor zwei Jahren hatte eine Delegation deutscher Tierärztinnen auf einer Reise nach Russland festgestellt, dass Versorgungsstationen für Rinder auf der Route nach Kasachstan und Usbekistan zum Teil gar nicht existieren. Statt Ställen mit Tieren fanden die Tierärztinnen verlassene Wiesen vor, ein angeblicher Stall sollte mitten in Moskau in einem Bürokomplex liegen. „Wir waren extrem betroffen“, sagt die hessische Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin. Sie hatte die Reise initiiert, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Anlass dafür waren Recherchen der Tierschutzorganisation Animals Angels. Die Tierrechtler hatten den Transport der Rinder im Winter bei Minusgraden begleitet. Bilder von schneebedeckten Tieren und eingefrorenen Tränken gingen durch die Medien.
Auch das Ergebnis der Tierärztinnen fiel ernüchternd aus: „Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass offensichtlich eine Branche systematisch die Behörden belogen hat“, sagt Madeleine Martin. „Diese Tiere können nicht gesetzeskonform transportiert worden sein, weil auf dem hinteren Teil der Strecke nach Samara eine Versorgungsstation fehlt. Und von da aus ist der Weg noch sehr weit.“ Die Tiere sind dann schnell mehr als 35 Stunden am Stück unterwegs – oder sogar mehrere Tage.
Kontrollbehörden scheiterten vor Gericht
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit schreibt auf Anfrage, man gehe davon aus, dass die Rechtsvorgaben bei den Transporten „in der Praxis regelmäßig nicht eingehalten werden“. Auch das Sozialministerium in Sachsen hat „erhebliche Zweifel“ daran, dass EU-Tierschutzvorgaben auf den langen Transporten eingehalten würden. Das hessische Verbraucherschutzministerium spricht von „systemimmanenten“ Tierschutzverstößen.
Konfrontiert mit dieser Problematik schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), dass man sich für ein EU weites Transportverbot einsetze. Bundesministerin Julia Klöckner habe das Thema der Versorgungsstationen „allgemein“ beim informellen EU-Agrarministertreffen im September vergangen Jahres in Koblenz thematisiert. Dabei habe Klöckner „auf die oft unzuverlässige Informationslage zu Versorgungsstationen in Drittländern aufmerksam“ gemacht. Zuständig für die Kontrollen seien die Landesbehörden.
Die aber scheiterten in den vergangenen Jahren immer wieder bei dem Versuch, Transporte in umstrittene Drittstaaten zu unterbinden. Transportunternehmer zogen vor Gericht und Verwaltungsgerichte entschieden mehrfach, dass die befürchteten Gefahren zu „abstrakt“ seien. Eine bayerische Behörde etwa konnte Anfang des Jahres einen Transport nach Ungarn nicht stoppen, obwohl bekannt war, dass nach 30 Tagen ein Weitertransport nach Kasachstan geplant war. Das Verwaltungsgericht München urteilte, dass „befürchtete tierschutzrechtlicher Verstöße“ nicht ausreichen würden, um den Transport zu stoppen. Zudem liege der Weitertransport nicht mehr im Verantwortungsbereich der bayerischen Behörde.
Das Bundesministerium wollte nationale Verbotsliste für Drittstaaten verhindern
Das Bayerische Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz schreibt auf Anfrage, die rechtliche Situation sei „unbefriedigend“. Die „verbliebenen Schlupflöcher“ müssten geschlossen werden. Im Februar hatte der Bundesrat die Bundesregierung dazu aufgefordert, Langstreckentransporte in weit entfernte Drittstaaten zu verbieten.
Zwei Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass ein solches Verbot rechtlich möglich wäre. Eines hat die hessische Tierschutzbeauftragte Madeleine Martin Auftrag gegeben. Dem Gutachten zufolge können Transporte untersagt werden, wenn eine „realistische nicht fernliegende“ Möglichkeit besteht, dass es zu einem Verstoß gegen das EU-Recht auf dem Transportweg komme. Ein anderes Gutachten, das die Tierschutzorganisation Vier Pfoten in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Tiertransporte in Länder wie Usbekistan und Kasachstan verbieten könne.
Als der Bundesrat Mitte diesen Jahres über ein Transportverbot in 17 problematische Drittländer entscheiden wollte, wendete sich das BMEL wenige Tage vor der Abstimmung an die Landesministerien. Die Rechtsgrundlage für eine nationale Regelung bewerte man „als zu unbestimmt“, heißt es in dem internen Schreiben, das Ippen Investigativ vorliegt. Es fehle eine Begründung für jedes einzelne Land, die Regelung sei nicht „verhältnismäßig“. Man könne andere wichtige Regelungen blockieren, wenn man am nationalen Transportverbot festhalte. „Das sollte unter allen Umständen verhindert werden!“ schreibt das Ministerium.
„Das ist ein erhebliches Tierschutzproblem“
Welchen Einfluss die Bedenken des Bundesministeriums auf die Abstimmung im Bundesrat hatte ist unklar. Fest steht: Die Entscheidung fiel gegen eine Verbotsliste.
„Es wäre ein starkes Zeichen gewesen, wenn Deutschland offiziell gesagt hätte, wir verbieten das“, sagt die EU-Abgeordnete Tilly Metz, Vorsitzende des sogenannten ANIT-Ausschusses, der auf EU-Ebene überprüft, wie die Transportverordnung verbessert werden kann. „Wenn man weiß, dass Rastplätze gar nicht existieren, dann wäre es für mich eine logische Konsequenz zu sagen, wir können eigentlich gewisse Tiertransporte außerhalb der EU gar nicht zulassen“, sagt Metz.
Michael Marahrens, stellvertretender Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich Löffler-Institut, hat im Auftrag des Ausschusses vor Kurzem eine Untersuchung über Tierschutztransporte veröffentlicht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die derzeitige Rechtslage die Tiere nicht wirksam vor Verletzungen, Schmerzen und Leid bei langen Transporten in Drittländern schützt. „Sowohl das Transportgeschehen als auch die Behandlung der Tiere im Bestimmungsland sind von Intransparenz gekennzeichnet“, sagt Marahrens. Zahlreiche Tierschutzprobleme ergäben sich zudem vor Ort. Die Tiere seien weder auf das Klima noch auf dortige Parasiten angepasst. „Das ist ein erhebliches Tierschutzproblem“, sagt Marahrens. „Die Tiere werden dann oft krank.“ Die Lösung liege auf der Hand. Man müsse genetisches Material exportieren und neue Rassen züchten, die angepasst sind auf den neuen Lebensraum.