Leonore Gewessler: Durchsetzungskraft und Aktivismus

Ministerin Leonore Gewesslers beruflicher Erfolgsweg führte vom siebten Wiener Gemeindebezirk Neubau über Brüssel bis in den österreichischen Nationalrat.
Die Umweltaktivistin Leonore Gewessler kam am 15. September 1977 in Graz zur Welt. Die Tochter eines Landarztes besuchte die Volksschule in Sankt Marein, anschließend das Wirtschaftskundliche Bundesrealgymnasium in Graz. Nach erfolgreicher Matura schrieb sie sich für ein Bachelorstudium der Politikwissenschaften an der Universität in Wien ein. Ihren Schwerpunkt legte sie dabei auf Internationale Entwicklungen. Neben dem Studium war sie in der politischen Erwachsenenbildung tätig.
Ihr Privatleben hält die Ministerin sehr bedeckt. Was man aber weiß: Ihr Ehemann ist Herbert Greisberger, Geschäftsführer der Energie und Umweltagentur des Landes Niederösterreich. „Er ist ein großartiger Mann und ein großartiger Teil meines Lebens. Für mich war schnell klar, dass das bleibt.“ Kinder hat das Paar nicht. In Wien ist sie vorwiegend mit dem Klappfahrrad unterwegs, auf längeren Strecken gibt sie Nachtzügen den Vorzug.
Umweltaktivistin Leonore Gewessler im Einsatz für den Umweltschutz
Nach dem Ende ihres Studiums nahm Leonore Gewessler zunächst eine Stelle als Büroleiterin der Bezirksvorstehung im siebten Wiener Gemeindebezirk Neubau an. Hier gehörte die nachhaltige Stadtentwicklung zu ihren Aufgabengebieten. Ab September 2008 war sie in ihrer Funktion als Direktorin am Aufbau der neu gegründeten Green European Foundation (GEF) beteiligt. Eine politische Stiftung mit Hauptstandort in Brüssel, eng verbunden mit den Europäischen Grünen und finanziert aus Geldern des Europäischen Parlaments.
Hinzu kamen Tätigkeiten für die Heinrich-Böll-Stiftung und das europäische Netzwerk Friends of the Earth Europe. In den Jahren von 2014 bis 2019 war sie zudem als politische Geschäftsführerin in den Bereichen Kampagnen, Nachhaltigkeit und Öffentlichkeitsarbeit für die Umweltorganisation Global 2000 aktiv. Als unabhängige Umweltbewegung hat es sich Global 2000 Aufgabe gemacht, für eine intakte Umwelt, eine zukunftsfähige Gesellschaft und nachhaltiges Wirtschaften zu kämpfen. In diesem Sinne trat die Umweltaktivistin unter anderem ein
- für die Erhaltung der Verfassungsbestimmung zum umfassenden Umweltschutz
- für eine von chemisch-synthetischen Spritzmitteln unabhängige Landwirtschaftspolitik
- für die europaweit tätige Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“
- gegen die Kohleverstromung Österreichs
- gegen den Bau der dritten Flughafen-Piste in Wien-Schwechat
- gegen Sicherheitsmängel beim grenznahen slowakischen Kernkraftwerk
- gegen die Handelsabkommen CETA und TTIP
Aufgrund der Unvereinbarkeit eines politischen Amtes als Ministerin mit ihrer Tätigkeit für Global 2000 sah sich Leonore Gewessler im Juni 2019 gezwungen, von ihrem Amt als Geschäftsführerin zurückzutreten.
Die Umweltaktivistin Leonore Gewessler wurde Abgeordnete im Nationalrat
Erste Erfahrungen mit der Politik sammelte Leonore Gewessler während ihrer Tätigkeit als Büroleiterin der grünen Bezirksvorstehung in Neubau. Dort wurden verschiedene Modelle von Bürgerbeteiligungen an sie herangetragen, Plätze verkehrstechnisch beruhigt und „mehr Platz für die Menschen“ geschaffen. Die Umweltaktivistin wird der Presse Jahre später in einem Interview darüber erzählen, dass es sie berührt habe, abends in die Straßenbahn einzusteigen und zu hören „wie die Leute über das sprachen, was man selbst tagsüber gemacht hat“. Zudem ließ sie nicht unerwähnt, dass besonders eine Erfahrung sie als Kind nachhaltig geprägt habe: Ihre Sandkiste war als Reaktion auf der Reaktorunfall in Tschernobyl zur verbotenen Zone erklärt worden.
Schon während ihrer Zeit bei Global 2000 hatte die spätere Ministerin ein Gespür dafür entwickelt, politische Ansichten zwar freundlich, aber mit Nachdruck zu vertreten. Mit ihrer Kandidatur für die Grünen wagte sie den Schritt in die Politik. Am 29. Juni 2019 errang Leonore Gewessler bei der Wahl zum Nationalrat Rang zwei der oberösterreichischen Landesliste der Grünen. Mit einer Zustimmung von 99,52 Prozent gewann sie am 6. Juli 2019 Rang zwei der Bundesliste. Mit dem 23. Oktober zog sie als Abgeordnete in den Nationalrat ein und war für ihre Partei als Teil des Sondierungs- und Verhandlungsteams an der Regierungsbildung mit der ÖVP beteiligt.
Von der Nationalratsabgeordneten zur Ministerin
Neben ihrer Tätigkeit als Abgeordnete war Leonore Gewessler Mitglied des Beirats in der Grünen Bildungswerkstatt. Zudem hatte die Umweltaktivistin in ihrer Partei die Position der stellvertretenden Klubobfrau des Grünen Klubs im Parlament inne. In der Bundesregierung Kurz II wurde sie am 07. Jänner 2020 zunächst zur Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie ernannt. Aufgrund von Änderungen im Bundesministeriengesetz trug sie ab 29. Jänner 2020 den Titel Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz führte sie ihr Amt unter den darauffolgenden Kanzlern Alexander Schallenberg und Karl Nehammer fort.
Obwohl Leonore Gewessler als Quereinsteigerin gilt, war ihre Qualifikation für den Posten als „Superministerin“ zu keinem Zeitpunkt umstritten. Hatte sie doch in ihrer Funktion als Geschäftsführerin für Global 2000 in Brüssel ausreichend internationale Erfahrung sammeln können. Zu den größten Erfolgen der Ministerin zählt die Einführung des Klimatickets, das nach Zahlung von 1095 Euro ein ganzes Jahr lang österreichweit die Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmitteln erlaubt. Mit umgerechnet gerade einmal drei Euro pro Tag ein sowohl nutzer- als auch umweltfreundliches Konzept.
Die Umweltaktivistin in der Rolle der Bundesministerin
In ihrer Funktion als Bundesministerin vertritt sie die Ansicht: „Politik ist nicht dazu da, zu moralisieren oder zu sagen, was du essen darfst und was nicht.“ Ihr Amt sieht sie als „Riesenverantwortung“, aber auch als „Riesenchance“. Die Umweltaktivistin möchte nicht verbieten, sondern durch Anreize dazu anregen, den Lebensstil und die eigenen Konsumgewohnheiten zu überdenken. Sie selbst bezieht Ökostrom, heizt mit Fernwärme, trennt ihren Müll und isst zum Frühstück dennoch eine Banane mit schlechter Klimabilanz.
Die Umweltaktivistin gilt als sachlich, kompetent und durchsetzungsfähig. Ihre Politik hat den Ausbau erneuerbarer Energien und den Umstieg vom Pkw auf umweltfreundliche Mobilität zum Ziel. Insbesondere im Flugverkehr beschäftigen sie Alternativen, die in der Lage sind, die CO2-Emissionen zu reduzieren und alternative Treibstoffe zu etablieren. Zudem plant sie, Raser härter zu bestrafen und sie durch höhere Bußgelder, längeren Entzug des Führerscheins oder Abnahme des Autos von ihrem fahrlässigen Verhalten abzubringen.
Anfang Dezember 2021 gab Gewessler bekannt, das geplante Straßenbauprojekt der Lobau-Autobahn zu stoppen. „Die Lobau-Autobahn wird nicht gebaut“, so die Ministerin. Hintergrund für ihre Entscheidung ist ein 145-Seiten langes Evaluierungsgutachten. Kritik kam vonseiten der SPÖ, insbesondere des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig.
Umweltaktivistin Leonore Gewessler im Einsatz für den Klimaschutz
Ministerin Leonore Gewessler sieht in der Klimakrise „die größte Herausforderung unserer Zeit“ und ist davon überzeugt, dass Klima- und Umweltschutz nicht ohne soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen sind. Hierzu seien langwierige demokratische Aushandlungsprozesse notwendig, um „allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen“. Im Kampf gegen den Klimawandel gehören für die Umweltaktivistin CO2-Bepreisung, Ökostrom, Emissionsreduktion und Klimaneutralität zu den wichtigsten Zielen für die Zukunft.
Ministerin Leonore Gewessler sieht in der Klimakrise „die größte Herausforderung unserer Zeit“ und ist davon überzeugt, dass Klima- und Umweltschutz nicht ohne soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen sind. Hierzu seien langwierige demokratische Aushandlungsprozesse notwendig, um „allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen“. Im Kampf gegen den Klimawandel gehören für die Umweltaktivistin CO2-Bepreisung, Ökostrom, Emissionsreduktion und Klimaneutralität zu den wichtigsten Zielen für die Zukunft.
Von Gabi Knapp