„Vielen geht die Luft aus“: Eine Psychologin erklärt, wie sehr die Pandemie Schüler:innen belastet

Ungewissheit in der Schule, Ungewissheit für die Zukunft: Junge Menschen leiden besonders unter der Pandemie.
Nach längeren Weihnachtsferien sind Österreichs Schüler:innen gerade einmal eine Woche zurück im Unterricht. 30 Klassen wurden aufgrund positiver Corona-Fälle gleich ins Distance-Learning geschickt. Zwei Jahre dauert die Pandemie bereits an. Fast genauso lange befinden sich die Schulen im Ausnahmezustand. Distance Learning, Hybridunterricht und sich immer ändernde Maßnahmen wurden auf dem Rücken der Schüler:innen ausgetragen. Während die Omikron-Welle für ein Rekordhoch an täglichen Neuinfektionen sorgte, verkündete Bildungsminister Martin Polaschek, dass anders als in den letzten beiden Jahren die mündliche Matura heuer wieder verpflichtend sein werde. Damit reichte es den Maturant:innen. Die „Aktion kritischer Schüler_innen“ rief zum Streik am 18. Jänner auf.
Die Pandemie belastet die jüngeren Generationen ohnehin extrem. Fehlende soziale Kontakte, Lockdowns, Unsicherheit: Die GenZ leidet unter Corona. Das zeigt zuletzt auch eine Studie der Donau-Uni Krems, die 1.500 Schüler:innen im Alter von 14 bis 20 Jahren untersucht hat. Depressive Symptome, Angststörungen und Schlafstörungen haben sich bei ihnen verfünf- bis verzehnfacht. Wir haben die klinische und Gesundheitspsychologin Caroline Erb gefragt, wie sehr die ewige Stresssituation vor allem junge Menschen belastet und wie sie mit der großen Unsicherheit umgehen können.
Gesundheitspsychologin Caroline Erb über die Belastungen junger Menschen in der Pandemie
Frau Erb, die Pandemie dauert nun schon zwei Jahre. Wie wirkt sich das auf Schüler:innen aus?
Die jungen Leute trifft es aus meiner Sicht ganz besonders. Wir sehen das auch an aktuellen Studien und Untersuchungen. Hier kommt es verstärkt zu psychischen Erkrankungen. Depressionen, Angststörungen, aber auch Essstörungen nehmen zu. Viele junge Leute ziehen sich immer mehr zurück. Es herrscht ein Gefühl der Einsamkeit und der Isolation vor. Es fehlen auch die Planbarkeit und die Perspektive, egal, ob ich jetzt Schüler:in oder an der Uni bin, eine Lehre mache oder ein Praktikum. Die berufspraktischen Tage wurden beispielsweise wieder einmal abgesagt. Aber auch Sportwochen und Sprachreisen: All das fällt seit zwei Jahren ins Wasser. Gerade bei so etwas geht es ja nicht nur um gute Noten, sondern auch ganz stark um das Soziale und das Gemeinschaftliche. Wir sehen natürlich auf der einen Seite, dass vielen hier die Luft ausgeht. Gerade auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind alle Stationen ausgelastet. Psycholog:innen im niedergelassenen Bereich wissen schon gar nicht mehr, an welche Kolleg:innen, die Patient:innen weiterempfohlen werden sollen, weil hier ein riesiger Bedarf besteht. Ich habe auch den Eindruck, dass die jungen Leute sehr lange gar niemanden hatten, der hier ihre Interessen vertritt.
Junge Leute scheinen in der Pandemie besonders belastet zu sein. Studien zeigen, dass auch Suizidgedanken zunehmen. Was muss hier getan werden?
Man muss sich immer ansehen, welche Möglichkeiten junge Menschen haben. Gibt es zu Hause einen eigenen Ort, an dem man ungestört lernen und sich zurückziehen kann oder sitzen alle zwischen Tür und Angel am Küchentisch? Dann muss man sich anschauen, ob der oder die Schüler:in mit dem Lernstoff überhaupt noch mitkommt. Es gibt auch Jugendliche, die im Distance Learning begonnen haben, sich ganz zu isolieren und teilweise für Lehrer:innen gar nicht mehr online erreichbar waren. Der Präsenzunterricht bietet meiner Meinung nach bessere Möglichkeiten, die Schüler:innen mitzunehmen und auch zwischendurch zu fragen, wie es ihnen geht. Wichtig ist auch für Eltern, darauf zu achten, ob das Kind Sport macht und Freund:innen trifft. Die Zahl der Suizid-Gedanken oder -Absichten sowie selbstverletzende Verhaltensweisen ist erschütternd. Wichtig sind daher auch niederschwellige, also leicht zugängliche Angebote. Hier ist es dann wichtig, dass Betroffene wissen, wo sie sich hinwenden können. Das muss offen kommuniziert werden.
Was ist in der Pandemie wichtig, um die Psyche von Schüler:innen zu schützen?
Wichtig sind Dinge wie Struktur. Eine offene Schule bietet auch zwischenmenschlich viel Wertvolles: Gemeinsam lachen, blödeln, Bewegung im Freien, einen normalen Tagesablauf haben. Wichtig ist auch die Perspektive. Das ist natürlich schwierig, denn wir hanteln uns gerade von Virusmutation zu Virusmutation. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass es Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen gibt.
Gibt es hier in Österreich genügen Anlaufstellen für junge Leute, die Hilfe brauchen?
Ich glaube, das Thema der Kinder- und Jugendversorgung wird hierzulande seit Jahren stiefmütterlich behandelt. Wir sehen es ja auch auf Kinder- und Jugendpsychiatrien und -Kliniken. Hier schlagen eigentlich die meisten Expert:innen schon länger Alarm und fordern auch eine bessere Ausbildung. Für Betroffene ist es natürlich auch eine Frage des Geldes. Es gibt auch nicht viele Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen oder auch Institutionen, die volle Kassenplätze anbieten. Das ist sicher auch etwas, wo vor allem das Tempo eine Rolle spielt. Denn jetzt in der Pandemie haben wir hier ein akutes Problem. In meinen Augen wurden vor allem auch Studierende komplett vergessen. Ich habe das Gefühl, für Menschen in Ausbildung gibt es in Österreich noch keine starke Lobby. Viele Hochschulen verzichten komplett auf Offline-Veranstaltungen, egal wie hoch die Zahl der Neuinfektionen ist. Das darf man auch überhaupt nicht unterschätzen. Ich sehe es auch in meiner Praxis. Wirklich viele Studierende, die grundsätzlich fest im Leben stehen, beutelt es jetzt teilweise richtig durch. Hier geht es oft um Einsamkeit oder Angst. Es gibt hier viele Sorgen. Auch dieses Unkonkrete in der Pandemie belastet die Betroffenen. Ich würde mir gerade auch für diese Altersgruppe eine stärkere Lobby und Interessenvertretung wünschen.
Welche längerfristigen Auswirkungen kann die Pandemie auf die mentale Gesundheit haben?
Das werden wir alles erst sehen. Wer eine Depression oder Angststörung entwickelt, braucht möglicherweise längerfristige Unterstützung und Begleitung
Die Pandemie ist eine Zeit der großen Unsicherheit. Gerade jetzt müssen Schüler:innen auch noch sehr flexibel sein und wechseln zwischen Fern- und Präsenzunterricht. Wie kann man am besten mit so einer Situation umgehen?
Auf der einen Seite kann man für sich vielleicht sagen, dass man etwas gelernt oder sich besser kennengelernt und gewisse Skills entwickelt hat. Auf der anderen Seite braucht es einfach Perspektiven. Hier ist es auch wichtig, dass die Politik mit den Menschen offen und ehrlich kommuniziert. In der Vergangenheit haben wir schon viele falsche Botschaften, beispielsweise über ein potenzielles, bevorstehendes Ende der Pandemie, zu hören bekommen. Auch für junge Menschen ist es wichtig, dass sie hier zumindest ein wenig auf Sicht fahren können und wissen, was in naher Zukunft auf sie zukommt.