1. BuzzFeed.at
  2. News

Immer mehr Straftaten: Diese Bundesländer gelten als queer-feindlich

Erstellt:

Von: Michael Schmucker

Kommentare

Zwei Frauen sitzen gemeinsam auf einem Sessel.
Wie gut oder schlecht finden es deutsche Bürger:innen, wenn sich vor ihnen zwei Frauen küssen? © Imago/HEX

Eine neue Rankingliste zeigt, wo in Deutschland besonders viel Hass gegen queere Menschen grassiert. Oft gibt es einen politischen Zusammenhang.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich erstmals die Lebensrealität der LGBTQIA+-Community in der Bundesrepublik genauer hingeschaut und wollte wissen, wie queer-freundlich die einzelnen Bundesländer wirklich sind. Herausgekommen ist eine Rankingliste – doch wer ist ganz oben und wer ganz unten? Und vor allem warum?

Die OECD hat sich auf verschiedene Aspekte konzentriert, zum Beispiel darauf, welche rechtlichen Fortschritte allgemein erzielt worden sind oder wie Menschen auf explizite Situationen reagieren. Wie gut oder schlecht finden es beispielsweise deutsche Bürger:innen, wenn sich vor ihnen zwei Männer oder zwei Frauen küssen? Oder wie gut funktionieren die Aktionspläne in den Bundesländern, die Gleichberechtigung und Akzeptanz fördern sollen?

Mecklenburg-Vorpommern zumeist auf den letzten Plätzen

Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass es keine eindeutigen Gewinner:innen gibt. Je nach Frage fällt auch das Ranking der 16 Bundesländer tatsächlich unterschiedlich aus. Ein gewisser Trend lässt sich allerdings durchaus erkennen. Stets sehr weit oben in der Hitliste befindet sich die Stadt Berlin, während Mecklenburg-Vorpommern zumeist auf den letzten Plätzen landet.

Ebenso oftmals weiter unten oder höchstes einmal im Mittelfeld finden sich Bundesländer wie Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Niedersachen. René Mertens vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) erklärt das gegenüber BuzzFeed News so: „Ressentiments und LSBTIQ*-feindliche Hassgewalt sind noch nicht überwunden, sondern in Teilen der Gesellschaft weiterhin verbreitet. Dort, wo sie auch auf Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus oder andere demokratiefeindliche Einstellungen treffen, sind LSBTIQ*-feindliche Einstellungen besonders hoch. Oft korreliert dies mit hohen Zustimmungswerten zu rechtspopulistischen Parteien.“

OECD-Studie zeigt Verbesserungspotenziale und Handlungsbedarfe

Mecklenburg-Vorpommern liegt bei Fragen rund um küssende Homosexuelle oder bei der Akzeptanz von Regenbogenfamilien auf dem viertletzten Platz, in puncto Aktionsplan sogar auf dem allerletzten. Alexander Kujat, Pressesprecher des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport, sagt gegenüber BuzzFeed News: „Anhand der Ergebnisse aus der OECD-Studie wird deutlich, dass noch weitere Verbesserungspotenziale und Handlungsbedarfe der Landesregierung bestehen. Dies umfasst aus der Sicht des Sozialministeriums beispielsweise die Einrichtung einer Trans*- und Inter-Beratungsstelle in Mecklenburg-Vorpommern, die nach aktuellen Planungen in den kommenden Jahren aufgebaut werden soll.“

Die OECD-Studie zeige laut Kujat auf der anderen Seite auch auf, dass einige Fortschritte in den letzten Jahren verzeichnet werden konnten. Eine Online-Umfrage kam 2020 zu dem Schluss, dass 72 Prozent der queeren Menschen in Mecklenburg-Vorpommern offen leben können. „Die durchgeführte Repräsentativbefragung kommt zudem zu dem Ergebnis, dass in vielen Lebensbereichen eine mehrheitliche Aufgeschlossenheit der Bürger:innen besteht“, so Kujat, der im gleichen Atemzug allerdings auch eingestehen muss, dass jeder zweite queere Befragte innerhalb der vergangenen fünf Jahre auch Anfeindungen erlebt hat.

Kurzum: Es gibt noch viel zu tun. Kujat betont, dass der Aktionsplan fortgeschrieben, aktuelle Entwicklungen eingebunden und die queere Community künftig direkter in den Prozess einbezogen werden soll. „Die Landesregierung setzt sich für eine offene und vielfältige Zivilgesellschaft im Land ein. Vor diesem Hintergrund soll in Mecklenburg-Vorpommern auch die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt selbstverständlich und ohne Angst oder Ausgrenzung gelebt werden können.“ Dabei betont der Sprecher des Ministeriums allerdings auch: „Die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Gesellschaft kann nicht verordnet werden, sondern die Gesellschaft muss diese Vielfalt von innen heraus respektieren und leben.“

„Niedersachsen hat noch ein Stück Arbeit vor sich, wenn es um die Akzeptanz von LSBTIQ* Personen geht“

Und wie sehen das Vertreter:innen anderer Bundesländer? Niedersaschen gehört zu der Mehrzahl der Regionen, die je nach Frage ein sehr unterschiedliches Bild abgeben. Öffentliches Küssen von queeren Menschen ist für die Bürger:innen weniger ein Problem, ein Aktionsplan indes existiert noch gar nicht.

Silke von der Kammer vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung erklärt dazu gegenüber BuzzFeed News: „Niedersachsen hat sicher noch ein Stück Arbeit vor sich, wenn es um die Akzeptanz von LSBTIQ*-Personen geht, steht jedoch im Bundesvergleich nicht schlechter da als die anderen Länder. Das Verfassen eines queeren Aktionsplans ist im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode vereinbart.“

Nach Vorbild einer Vielfaltskampagne vergangener Jahre soll jetzt auch der Landesaktionsplan entstehen: „In diesem Aktionsplan werden sich dann auch die aktuellen Bedarfe der Community in Niedersachsen widerspiegeln.“ Mertens vom LSVD gibt dabei zu bedenken: „Akzeptanzförderung ist kein Selbstläufer. Es reicht nicht aus, wenn ein Bundesland einfach nur einen Aktionsplan hat. Die Maßnahmen müssen auch umgesetzt werden. Vor allem müssen die Maßnahmen auch im Haushalt finanziell untersetzt, evaluiert und vor allem auch weiterentwickelt werden.“

Niedersachsen will Beratungsstrukturen ausbauen

Von der Kammer erklärt, Niedersachen sei bereits mitten in der Arbeit: „Themen beziehungsweise präventive Maßnahmen werden bereits jetzt und auch zukünftig im Prozess der Entwicklung eines Aktionsplans bedacht und weiterentwickelt. So ist zum Beispiel der Ausbau von Beratungsstrukturen, bei dem die Grafik Niedersachsen unterdurchschnittlich positioniert, im Niedersächsischen Koalitionsvertrag für die neue Legislaturperiode festgeschrieben.“

Zudem gilt zu bedenken, dass die erhobenen Daten auch teilweise ein verzerrtes Bild abgeben können, wie der Fall Bayern eindrucksvoll beweist. Die Regierung im Freistaat weigert sich bis heute strikt, einen Aktionsplan überhaupt anzudenken. Die Herangehensweise ist offensichtlich: Wo keine queer-feindlichen Angriffe festgehalten werden, da gibt es sie anscheinend auch gar nicht.

Bayern: Straftaten gegen queere Menschen versiebenfacht

Mertens: „Der LSVD geht davon aus, dass nur ein Bruchteil der queer-feindlichen Hasskriminalität überhaupt angemessen registriert und klassifiziert wird – manche Bundesländer sind anderen hier weit voraus. Hinzu kommt, dass viele Betroffene diese Straftaten nicht zur Anzeige bringen – oft aus Angst, nicht ernstgenommen zu werden oder erneut Diskriminierung zu erfahren. In Bayern haben sich die registrierten Straftaten gegen queere Menschen zwischen 2010 und 2021 versiebenfacht. Das ist aber nicht mal die Spitze des Eisbergs!“  

Jedes Land braucht jetzt und auch zukünftig einen eigenen Landesaktionsplan, unabhängig von der Bundespolitik, so Mertens weiter: „Beleidigungen und Herabwürdigungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen, Anfeindungen und Übergriffe bis hin zur offenen Gewalt gehören weiterhin zur Wirklichkeit in Deutschland. LSBTIQ*-feindliche Einstellungen sind noch tief in unserer Gesellschaft verwurzelt.

Positiver Wandel: Rund 64 Prozent haben keine Probleme im Umgang mit queeren Menschen

Allerdings zeige die OECD-Studie aber tatsächlich auch, dass queere Menschen in den letzten Jahren viel an persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit erkämpft haben. Immer mehr queere Menschen in der Bundesrepublik leben selbstbewusst, offen und akzeptiert in allen Bereichen des alltäglichen Lebens. Rund 64 Prozent der Deutschen haben keinerlei Probleme mehr im Umgang mit queeren Menschen, für 71 Prozent ist ein:e LGBTQIA+-Kolleg:in kein Problem mehr und 59 Prozent machen auch kein Drama mehr, wenn das eigene Kind sich outet.

„Das Ziel ist, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft ohne Angst vor Anfeindungen selbstverständlich so leben können, wie sie sind. Wenn wir die Gleichstellung und die Akzeptanz fördern, wird keinem Menschen etwas weggenommen. Im Gegenteil, wir alle profitieren von einer Gesellschaft, die vielfältig ist, solidarisch zueinandersteht und respektvoll miteinander umgeht.“

Auch interessant

Kommentare