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Soldaten tanzen an der Front: „WarToks“ sind ein verstörender TikTok-Trend

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Von: Mika Engelhardt

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So sieht das Leben in der Ukraine jetzt aus: Auf TikTok teilen Soldat:innen und Influencer:innen ihren Alltag mit mal ernsten, mal ulkigen Videos.
So sieht das Leben in der Ukraine jetzt aus: Auf TikTok teilen Soldat:innen und Influencer:innen ihren Alltag mit mal ernsten, mal ulkigen Videos. © Screenshot TikTok

Junge Ukrainer:innen zeigen auf TikTok, wie es in ihrem Alltag aussieht. Soldat:innen zeigen das Leben an der Front. Das kann unterhaltsam sein, aber es ist auch Vorsicht geboten.

Ein bisschen absurd ist es schon, dieses Video. Zwischen all den Meldungen über Zerstörung, Tote und kriegerische Auseinandersetzung mischt es sich, und es zeigt offenbar einen ukrainischen Soldaten in voller Montur - der „Smooth Criminal“ von Michael Jackson tanzt. Dass Mitglieder der Armee aus ihrem Leben Videos machen und diese posten, kennt man ja aus vielen Ländern. Aber dieses Video entstand nicht in einer Pause oder beim Training, sondern mitten im Krieg gegen Russland. Und es ist nur eins von Tausenden, die sich gerade auf TikTok wie ein Lauffeuer verbreiten.

„WarTok“ nennt sich dieser neue Trend, bei dem vor allem junge Ukrainer:innen von ihrem Leben im Krieg berichten. Es sind viele Mitglieder der Armee, aber auch ganz gewöhnliche Menschen, die in Videos durch die Ruinen laufen und den Schrecken zeigen - all das untermalt mit lockerer Elektromusik und allen Eigenarten, für die TikTok eben bekannt ist. Ein Video wird aus einem Fenster herausgefilmt, im Hintergrund plärrt EDM-Musik. Der Kameramann sagt etwas auf Ukrainisch, das in den Kommentaren als „Wenn ich schon sterbe, dann wenigstens mit Musik“ übersetzt wird.

Für ein weiteres Video geht eine junge Frau ganz nahe an ein scheinbar abgestütztes Geschütz heran. Eine Bombe oder ähnliches, genau kann man das nicht erkennen. Ob sie noch intakt ist, lässt sich auch nicht sagen. Aber die junge Frau nähert sich dem Objekt ohne Angst, macht ein paar lockere Kommentare. Nach einem Schnitt sieht man den mit Trümmern bedeckten Boden. Auf die Spitze treibt es vielleicht eine andere Nutzerin, die in einem luxuriösen Hotelzimmer steht und die Kriegserklärung Russlands mit einem Tanz zur Kenntnis nimmt.

Wenn man sich die WarToks ansieht, kommt man nicht umher, als manchmal zu schmunzeln. Zu absurd sind die Ideen und zu wahnwitzig die Umsetzungen. Aber darüber sollte man nicht vergessen, wie ernst die Situation in der Ukraine ist. In welch großer Gefahr diese Menschen im Ukraine-Krieg schweben. Bei jedem Tanzvideo von Soldaten fragt man sich unweigerlich, ob diese Person wohl noch am Leben ist. Wird der Krieg verharmlost? Oder müssen die Menschen, die seit über einer Woche im Krieg leben, einfach ab und an etwas Luft ablassen? Eine klare Antwort gibt es nicht.

Zumindest hoffen kann man. Hoffen, dass die Menschen sich für solche Videos nicht zusätzlich in Gefahr bringen. Hoffen, dass der Krieg bald ein Ende findet. Was man nicht tun sollte, ist, die WarToks für bare Münze zu nehmen. Denn wie bei so vielen Posts bei Social Media ist es beinahe unmöglich zu verifizieren, ob die Videos auch wirklich das zeigen, was sie vorgeben zu zeigen. Schon jetzt kursieren allerlei Des- und Missinformationen über den Krieg im Internet, zum Beispiel Videos von zerstörten Gebäuden, die gar nicht in der Ukraine stehen.

WarToks dienen also allenfalls als zweifelhafte Unterhaltung. Angefeuert durch den TikTok-Algorithmus, der sich sofort auf jeden neuen Trend stürzt, werden die Videos millionenfach gesehen und geteilt. Es ist das erste Mal, dass ein Krieg auf solche Weise dokumentiert und gesehen wird. Russische Videos gibt es übrigens kaum, TikTok wird einzig durch die ukrainische Perspektive geflutet. Natürlich können diese Videos, wenn sie richtig eingeordnet werden, auch als Informationsquelle genutzt werden, sagt der TikTok-Experte Markus Bösch im Gespräch mit dem Handelsblatt. Er sieht in WarToks mehr als nur einen kurzfristigen Trend.

WarToks: zwischen Information und gefährlicher Desinformation

Bösch ist sogar der Meinung, dass die WarToks neue Nutzer:innen zu TikTok führen könnten, die sich einen Eindruck von der Lebensrealität in der Ukraine machen wollen. Besonders die Aufnahmen aus der Armee können für journalistische Zwecke aufschlussreich sein. Andere Influencer:innen hätten es sich zur Aufgabe gemacht, auf Englisch über den Krieg zu berichten und eine direkte Quelle vor Ort zu sein. Aber auch Bösch betont die Gefahr, Falschinformationen auf den Leim zu gehen.

Am Ende steht ein sehr ambivalentes Gefühl, wenn es um WarToks geht. Sie bewegen sich irgendwo zwischen morbider Unterhaltung, interessanten Einblicken und der Gefahr, dass all das gar nicht so stimmen kann. Ihre Popularität könnte in den nächsten Tagen und Wochen wohl noch wachsen. Es ist eine ganz neue Art der Kriegsberichterstattung. Der Krieg ist sozusagen bei Social Media eingezogen.

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