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„Doppelmoral“ ist es, Klima-Aktivist:innen erst „radikal“ zu nennen und ihnen dann Bali vorzuwerfen

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Von: Jana Stäbener

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Zwei Klima-Aktivist:innen wird Doppelmoral vorgeworfen, weil sie nach Bali flogen. Unsere Autorin wundert sich. Hieß es nicht immer, sie wären „zu radikal“?

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„Selbstgefällige Pseudomoralisten“, „Klima-Idioten“, „Moralprediger“ – all diese Begriffe werden den Klima-Aktivist:innen Luisa S. und Yannick S. gerade auf Twitter an den Kopf geworfen. Warum? Weil die beiden im November 2022 nach Bali in den Urlaub flogen, so berichtet es zumindest die Bild. Dabei hätten die beiden den Gerichtstermin verpasst, der wegen einer ihrer Straßenblockaden im Stuttgarter Berufsverkehr angesetzt wurde. Relativ unschöne Aktion – da würde wohl jede:r zustimmen.

Wegen einer Demonstration gegen den Straßenverkehr vor Gericht zu müssen und dann den Termin zu verpassen, weil man einen Flug nach Thailand und Bali antritt, klingt wirklich nicht gut. Aber, dass die Bild-Zeitung, rechte Politiker:innen und andere Konservative den Aktivist:innen nun Doppelmoral vorwerfen, ist fehl am Platz. Waren es nicht sie, die die „Klima-Kleber“ immer wieder als „zu radikal“ bezeichneten? Gab es nicht sogar eine Razzia bei der „Letzten Generation“? (Hier 11 Tweets, die zeigen, wie unnötig die war.)

Klima-Aktivist:innen fliegen nach Bali – leben sie damit wirklich Doppelmoral?

Laut Bild hatte der Flug von Luisa, die im Prozess als Zeugin auftreten sollte, und Yannick, der als Angeklagter erscheinen sollte, eine Klima-Bilanz von etwa 7,9 Tonnen CO₂. Laut CO₂-Rechner von Quarks stößt ein Flugzeug pro Person gerechnet etwa 2,1 Tonnen pro 10.000 Kilometer aus. Etwas mehr, als ein Auto, das für 10.000 Kilometer um die 1,5 Tonnen ausstößt. Ein Hin- und Rückflug nach Bali über Thailand (etwa 22.000 Kilometer) dürfte also (für beide zusammen gerechnet) bei etwa acht Tonnen CO₂ liegen.

Aber: Schaut man sich den Verkehrssektor im Allgemeinen an, so hat der Straßenverkehr im Vergleich mit anderen Bereichen seit Jahren den größten Anteil an den Treibhausgasemissionen. Laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur war der gesamte Verkehr im Jahr 2019 für etwa ein Viertel der gesamten CO₂-Emissionen der EU verantwortlich. Davon entfielen 71,7 Prozent auf den Straßenverkehr.

Die Autos mit Pendler:innen, die zur Arbeit fahren, die Diesel-LKWs und die SUVs sind es also, die verkehrstechnisch die größte Menge an Treibhausgasen ausstoßen – vor allem, wenn man bedenkt wie viele Menschen alleine in einem Auto sitzen. Mal ganz zu schweigen vom Energiesektor und der Industrie, die in Deutschland laut Statistischem Bundesamt Hauptursache für den CO₂-Ausstoß sind. Wenn sich Luisa und Yannik also auf die Straße kleben, um diese Autos zu stoppen und trotzdem fliegen, leben sie dann wirklich „Doppelmoral“? Ich finde das an den Haaren herbeigezogen.

Dürfen Klimaaktivist:innen in ferne Länder fliegen?

Klar, wir müssen uns an dieser Stelle die Frage stellen: Dürfen Klimaaktivist:innen in ferne Länder fliegen – ja oder nein? Auch Luisa Neubauer bekam wegen ihrer Flüge nach Namibia oder Kanada den Spitzname „Langstrecken-Luisa“ verpasst. Sie setzt sich seit Jahren bei Fridays for Future für Klimaschutz ein. Ich finde nicht, dass das mit ihren Reisen unvereinbar wäre. Sich für Klimaschutz einzusetzen, Tempo bei erneuerbaren Energien zu fordern, infrage zu stellen, dass jede:r allein in einem dicken Auto sitzt, das steht für mich nicht in direktem Gegensatz dazu, die Welt zu bereisen.

Wir lieben es, Menschen in Schubladen zu stecken. Entweder, sie sind die Bösen, oder sie sind die Guten. Und wehe, sie sind die Guten, dann sollten sie mal lieber aufpassen, dass sie nicht „zu gut“ werden. Denn dann sind sie auf einmal radikale, woke, Links-grün-Versiffte, die nebenbei ganz Deutschland zum Gendern zwingen wollen. Dann wird nämlich ganz genau hingeschaut, ob sie nicht irgendwann mal etwas egoistisch Menschliches machen. Und oh wunder: das tun sie.

Ist es Doppelmoral nach Bali zu fliegen und für Klimaschutz zu protestieren?
Ist es Doppelmoral, nach Bali zu fliegen und für Klimaschutz zu protestieren? (Symbolbild) © Wirestock/IMAGO/Jonas Walzberg/dpa

Belohnung für Klima-Protest – ich fühle das ehrlich gesagt zu 100 Prozent

Versteht mich nicht falsch. Auch ich denke, dass man sich den ein oder anderen Flug um die Welt sparen sollte. Dass man lieber die Bahn nimmt, wenn man von Berlin nach München oder Paris möchte, ist für mich Gesetz. Aber gleichzeitig steckt in uns allen auch ein gewisser menschlicher Egoismus. Besonders sichtbar wird der sowieso in Krisenzeiten, sagte der Wirtschaftspsychologe Gunnar Mau zu BuzzFeed News DE, als wir ihn zur Insolvenz der „Unverpackt-Läden“ interviewten.

Die Menschen müssten jetzt angesichts überall steigender Preise und düsterer Prognosen zwangsläufig ihre Prioritäten ändern. „Das Motiv der Nachhaltigkeit ist zumindest vorläufig in den Hintergrund gerückt“, sagt Mau. Auf mich trifft das jedenfalls zu. Und ich kann den Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation nur applaudieren, dass sie trotz der ganzen Krisen noch für mehr Klima-Schutz demonstrieren. Ich kann das von mir nicht behaupten. Was ist mit dir?

Wenn sie sich dann als Belohnung eine Reise nach Asien gönnen, dann fühle ich das ehrlich gesagt zu 100 Prozent. Wenn die Welt schon vor die Hunde geht, warum sollten es dann sie sein, die sie nicht gesehen haben? Warum sollte die Letzte Generation, nur weil sie für das Klima auf die Straße geht, als einzige keinen Spaß mehr haben dürfen? (Vor allem, weil es ja bestimmt super spaßig ist, sich im Winter auf die Straße zu kleben.)

Erst Klima-RAF, jetzt zu wenig radikal – das ist Doppelmoral

Nicht Luisa und Yannik sind es, die Doppelmoral leben. Sondern die, die sich nun wie Aasgeier auf die beiden jungen Leute stürzen. War es nicht die Bild-Zeitung, die im November dokumentierte, „wie radikal die Letzte Generation geworden ist“? Sie titelte: „Die Klima-Kleber sind auf dem Weg der RAF“. Eine Aussage, die ein Polizei-Experte für falsch hält, denn Aktivist:innen seien „keine Schwerverbrecher“, sagt er uns.

Jetzt, einige Monate später, wirft die Bild den beiden vor, nicht konsequent ergo radikal genug zu sein? Das ist Doppelmoral. Wie sonst soll man die Aufregung um den Bali-Flug verstehen. Aktivst:innen dürften dann eigentlich gar nichts, was mit den Zielen ihres Aktivismus unvereinbar ist.  Sie dürfen kein elektrisches Licht benutzen, weil es nicht immer 100 Prozent Öko ist, keine Verkehrsmittel außer dem Fahrrad nehmen, keinen Kaffee aus Plastikbechern trinken und Gott bewahre nicht auf andere Kontinente reisen.

Auch Politiker:innen von CDU und AfD klingen etwas scheinheilig, wenn sie die Letzte Generation erst als Klima-Terroristen (übrigens zum Unwort des Jahres 2022 gekürt) bezeichnen und sie jetzt nicht mehr „ernst nehmen“ können, weil sie nicht radikal genug sind. Das twittert der ehemalige AfD-Fraktionsvorsitzende des Abgeordnetenhauses Berlin, Georg Pazderski, am Mittwoch, 1. Februar. Er versteht die Rechtfertigung nicht, dass sie den Flug als Privatleute gebucht haben und nicht als Klimaschützer:innen.

„Du darfst selbst dann 1,5° Klimaschutz fordern, wenn du eine Umweltsau bist“

Aber warum? Was ist daran so schwer zu verstehen, dass Menschen nicht immer 100 Prozent von einer Sache sein können. Ich bin Vegetarierin und trage trotzdem ab und zu Leder. Macht mich das jetzt zu einem schlechten Menschen? Zur personifizierten Doppelmoral auf zwei Beinen? Ich glaube nicht. Jeder Mensch, egal ob Journalist:in, Politiker:in, oder eben Klimaaktivist:in hat ein Recht auf Privatsphäre und Privatleben und was er oder sie dabei macht, ist allein seine Sache, solange er nicht gegen Gesetze verstößt oder anderen schadet.

Viele Menschen, inklusive der, die jetzt ganz laut „Doppelmoral“ schreien, scheinen sich vom Protest der Letzten Generation persönlich angegriffen zu fühlen. Dabei ist das gar nicht das Ziel. Viel mehr geht es darum, den großen Wandel als Gesellschaft einzufordern, das sagten uns die Klima-Aktivist:innen als wir sie zu ihrer Aktion am Flughafen BER befragten. „Jede Person muss sich fragen: Was ist in den nächsten zwei Jahren mein Beitrag zum Wandel? Wie kann ich Druck auf die Politik ausüben?“, erklärten die Sprecher:innen der Letzten Generation Theo Schnarr und Lilly Schubert.

Eine Person auf Twitter fasst das ganz gut in Worte: „Du darfst selbst dann 1,5° Klimaschutz fordern, wenn du eine Umweltsau bist. Denn die Forderung ist unabhängig von deinen Taten richtig. Aber wenn anderen diese richtige Forderung nicht passen, greifen sie dich als Person an.“ Schade eigentlich, denn im Grunde genommen geht es nicht um den oder die Einzelne. Es geht um die größte Krise der Menschheit, die wir nur gemeinsam bekämpfen können. Ich bin pessimistisch, dass wir das schaffen, wenn wir uns lieber gegenseitig für Reisen nach Bali verurteilen, als zusammenzuarbeiten.

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