TikTokerin zeigt, warum einige Slogans zur Aufklärung über Brustkrebs irgendwie beleidigend sind

Gängige Slogans zur Aufklärung über Brustkrebs wie „Save the Tatas“ und „Save Second Base“ sind sachlich falsch und sexualisieren die Krankheit.
Annie Bond machte bei ihren Auftritten als Stand-up-Comedian in Kalifornien Witze über ihr Singledasein und ihre Unbeholfenheit. Bis bei ihr im Alter von 26 Jahren Brustkrebs im 4. Stadium diagnostiziert wurde, der sich auf ihre Lymphknoten und die Leber ausgebreitet hatte. Die Ärzt:innen sagten ihr, sie habe nur noch zwischen zwei und fünf Jahren zu leben.
Bond ist heute 33 Jahre alt und ein „wandelndes medizinisches Wunder“. Und ja, sie weiß immer noch, wie man Witze reißt, und auch mal einsteckt. Übrigens: Diese 6 Arten auf ein schlimmes Ereignis zu reagieren, sind alle voll okay.
Eines Oktobermorgens jedoch sah sie beim Spaziergang mit ihrem Hund eine Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Boobies Rule“ (dt. Brüste regieren) trug. Ein gängiger Slogan, der auf T-Shirts, Armbändern, Laptop-Aufklebern und zahllosen anderen leuchtend rosafarbenen Produkten zu finden ist, die meist während des Breast Care Awareness Months (dt. Brustkrebs-Aufklärungsmonat) verkauft und getragen werden. Man will so zum Gespräch über die Krankheit anregen.

Brustkrebs-Slogans können für Betroffene extrem unsensibel sein
Aber Bond verstand den Humor einfach nicht. Leicht beleidigt erstellte sie ein TikTok-Video zu diesem Thema, das fast 976.000 Aufrufe und mehr als 2.000 Kommentare erhalten hat. Und auch diese 11 frauenfeindlichen Werbeslogans machen einfach wütend.
Brustkrebs-Awareness Slogans: Inhaltslos und sexualisierend
Nicht nur, dass die Slogans wie „Save the Tatas“ oder „Save Second Base“ die Krankheit auf eine Weise sexualisieren, die impliziert, dass Brüste es wert sind gerettet zu werden, Leben aber nicht, sie sind auch sachlich falsch, so Bond. Laut dem National Cancer Institute entscheiden sich 70 Prozent der Menschen mit Brustkrebs im Frühstadium oder einer genetischen Veranlagung für die Krankheit für eine Mastektomie, also die chirurgische Entfernung einer oder beider Brüste. 3D-Nippeltattoos können Brustkrebsüberlebenden dabei viel Lebensqualität zurückgeben.
„Nur zu sagen ‚Boobies rules‘ lehrt mich nichts über Brustkrebs und gibt mir nicht das Gefühl, dass ich als Überlebende von Brustkrebs repräsentiert werde. Es gibt viel bessere Wege, um die Menschen auf das Thema aufmerksam zu machen“, sagt Bond. „Ich bin Comedian. Ich liebe Witze. Man kann mir sagen, dass ich keinen Sinn für Humor habe, und das ist in Ordnung, denn ich weiß, dass ich ihn habe. Ich halte nur nichts davon, über Witze zu lachen, die auf Kosten anderer Leute gehen.“ Und auch dieser deutsche Comedian geht humorvoll mit seiner seltenen Krankheit um.
Die meisten Menschen, die Bonds TikTok sahen, drückten in den Kommentaren ihre Dankbarkeit aus; sie hatten keine Ahnung, dass solche Slogans verletzend sein könnten. Aber viele andere warfen ihr vor, übermäßig empfindlich zu sein. Sie sahen in dem Slogan den nett gemeinten Versuch, das Bewusstsein für Brustkrebs zu schärfen.
Slogans wie „Boobies rule“ sexualisieren Brustkrebs unnötig
„Die Tatsache, dass ich nicht auf ein Thema, nämlich die Sexualisierung von Brustkrebs, hinweisen kann, ohne dass es zu einem größeren politischen Thema wird, finde ich verrückt“, sagt Bond, die auch Schauspielerin und Autorin ist.
Man sieht ja im April auch keine „Save the Balls“ (dt. Rettet die Eier)-Shirts, die im Testicular Cancer (Hodenkrebs) Awareness Month getragen werden. Ganz zu schweigen davon, dass viele dieser Phrasen Männer sowie trans* und nicht-binäre Personen ausschließen, die an Brustkrebs erkranken. Schätzungen der National Breat Cancer Foundation, Inc. zufolge wird die Krankheit in diesem Jahr bei 2.710 Männern in den USA diagnostiziert, 530 von ihnen werden daran sterben.
Brustkrebs-Diagnose: Es fehlt an einem Bewusstsein über die tatsächliche Realität der Erkrankung
Es gehe aber weniger um die individuelle Entscheidung, diese Slogans zu bewerben, so Bond, sondern vielmehr darum, dass Unternehmen von dem Schmerz der Menschen profitieren, was als „Pinkwashing“ bekannt geworden ist, so Breast Cancer Action.
Der Begriff wurde 2002 von der Aktivistenorganisation Breast Cancer Action geprägt und wird verwendet, um Unternehmen anzuprangern, die für das berühmte rosa Schleifen-Symbol oder rosa Produkte werben, ohne sicherzustellen, dass genügend oder überhaupt Erlöse an Brustkrebs-Programme und -Forschung gehen oder dass ihre Produkte auch wirklich sicher für Brustkrebspatient:innen sind.

In den USA erkrankt eine von acht Frauen in ihrem Leben an Brustkrebs
Insgesamt habe der Trend zu einem allgemeinen Mangel an Bewusstsein beigetragen, der immer noch anhält, obwohl Brustkrebs eine der bekanntesten Krankheiten überhaupt ist. „Jeder weiß, dass es Brustkrebs gibt. Was die Menschen nicht wissen, ist die Realität der Krankheit und was nötig wäre, um tatsächlich geheilt zu werden“, sagt Bond. „Das ist der Punkt, an dem der Zusammenhang nicht stimmt, und das ärgert mich.“
Brustkrebs ist in den USA nach Lungenkrebs die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen, und allein in den USA gibt es mehr als 3,8 Millionen Überlebende. Obwohl die Sterblichkeitsrate bei Brustkrebs dank der Fortschritte bei der Behandlung und Früherkennung seit 1989 um 43 Prozent gesunken ist, hat sich dieser Rückgang in den letzten Jahren verlangsamt, so Breast Cancer Org. Und das, obwohl es mehr Maßnahmen zur Sensibilisierung gibt sowie mehr finanzielle Mittel. Schätzungen zufolge werden in diesem Jahr mehr als 43.000 Frauen an der Krankheit sterben, und bei einer von acht Frauen wird die Diagnose im Laufe ihres Lebens gestellt, so die National Breast Cancer Foundation Inc.
Als Krebspatientin ist es oft sehr schwierig, sich im Gesundheitswesen zurechtzufinden; Kämpfe mit Versicherungsgesellschaften um die Genehmigung lebensrettender Behandlungen, deren Erfolg nicht garantiert ist, sind an der Tagesordnung. Und die Mittel für Brustkrebsforschung sind notorisch verzerrt. Nur etwa zwei bis fünf Prozent der Forschungsgelder fließen laut Metavivor in Studien über metastasierenden Brustkrebs (Stadium 4), der als nicht überlebensfähig gilt und an dem jedes Jahr etwa 40.000 Männer und Frauen sterben.
Eine Brustkrebs-Diagnose betrifft nicht nur Brüste, sondern ein ganzes Leben
Bei Brustkrebs geht es auch um viel mehr als nur um Brüste. Viele junge Frauen kommen laut dem Journal of Thoracic Disease, infolge von Behandlungen wie der Chemotherapie vorzeitig in die Wechseljahre. Das kann körperliche und emotionale Probleme wie Unfruchtbarkeit, Müdigkeit, Haarausfall, Probleme mit Sex und Intimität, langfristige Nervenschäden, Schlafprobleme, kognitive Störungen und vieles mehr mit sich bringen, so Breast Cancer Org.
„Es gibt einfach eine ganze Identitätskrise, die damit einhergeht, dass sich die gesamte Körperchemie verändert. Und ich glaube, die Leute verstehen das nicht“, sagt Bond. Wenn man jemanden fragen würde, warum er meint, dass wir „die Tatas retten“ sollten, wird er sagen, dass es wegen der Früherkennung ist, so Bond. Aber Früherkennung rettet keine Brüste, sie rettet Leben.
Brustkrebs-Diagnose: Viele Betroffenen entscheiden sich für eine Mastektomie
Tatsächlich entscheiden sich viele Menschen, bei denen der Krebs früh entdeckt wird, für die Entfernung einer oder beider Brüste, um zu verhindern, dass der Krebs nach der Behandlung wiederkehrt oder sich auf andere Körperteile ausbreitet. Nach Angaben der Amerikanischen Krebsgesellschaft liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate von Menschen, deren Brustkrebs früh erkannt wird, bei 99 Prozent.
Manche Menschen, die die BRCA1- oder BRCA2-Gene von ihren Eltern geerbt haben – was mit einem 70-prozentigen Lebenszeitrisiko für Brustkrebs sowie einem erhöhten Risiko für Eierstockkrebs verbunden ist – können sich auch für den Eingriff als Präventionsmaßnahme entscheiden. Angelina Jolie und Christina Applegate sind zwei berühmte Frauen, die BRCA-Gene hatten und sich einer doppelten Mastektomie unterzogen, um Brustkrebs zu verhindern oder zu behandeln.
Heather Perkins, stellvertretende Direktorin von Breast Cancer Action, wurde im Alter von 34 Jahren mit Brustkrebs im Stadium 1 diagnostiziert. Zuvor hatte sie sechs Jahre lang versucht, Ärzt:innen davon zu überzeugen, dass mit ihrer Gesundheit etwas nicht stimmte. Ihre Ärzt:innen wiesen ihre Bedenken zurück und sagten ihr wiederholt, dass sie keinen Krebs haben könne, weil sie zu jung und gesund sei und es in ihrer Familie keine Anzeichen für diese Krankheit gebe. (Etwa 85 Prozent der Brustkrebserkrankungen treten bei Menschen ohne familiäre Vorbelastung auf.)

Sexualisierende Brustkrebs-Slogans: „Wir sollten Krebs nicht sexy machen“
Kurz nach ihrer Diagnose entschied sich Perkins jedoch für den „radikalen“ Weg und unterzog sich einer doppelten Mastektomie, um das Gefühl zu vermeiden, „ständig über [ihre] Schulter schauen zu müssen“. Erst im ersten Oktober nach ihrer Diagnose bemerkte Perkins, wie anders es sich anfühlte, Menschen mit Produkten herumlaufen zu sehen, die alle dazu ermutigen, ihre Brüste zu retten – vor ihrer Diagnose besaß sie sogar selbst einige davon. Plötzlich war es, als hätte sie in gewisser Weise versagt, genau das zu retten, wovon alle so besessen waren.
„Wir sollten Krebs nicht sexy machen. Wir stellen in zu vielen Bereichen den Profit über den Menschen, und der Monat bläht diese Idee auf“, sagte Perkins. „Wir sind als Gesellschaft so darauf trainiert, dass wir uns durch den Kauf dieses T-Shirts wirklich inspiriert fühlen, etwas zu tun. Wir schaffen vielleicht eine Gemeinschaft für Menschen, die mit einer Gesundheitsdiagnose zu kämpfen haben, aber wir unternehmen nicht genug, um das zu stoppen.“
Brustkrebs-Diagnose: Betroffenen zuzuhören ist wichtig, um die Krankheit besser zu verstehen
Das soll nicht heißen, dass wir über Brustkrebs oder Krebs im Allgemeinen keine Witze machen dürfen. Das können wir sehr wohl, sagt Bond. Es muss nur mit Respekt geschehen, und das ist in der Regel nur möglich, wenn wir uns die Zeit nehmen, denen, die Krebs haben, zuhören. Ein Beispiel dafür ist The Cancer Patient, ein Instagram-Account, eine Twitter-Seite und ein Podcast, die sich mit viralen Memes nicht nur über verschiedene Krebsarten lustig machen, sondern auch für heitere Gespräche über ansonsten dunkle Realitäten sorgen.
Die Person hinter den Accounts, die lieber anonym bleiben wollte, erzählte uns, dass bei ihr nur ein Jahr nachdem sie von den Phillipinen ausgewandert war, ein Non-Hodgkin-Lymphom (ein Krebs des Immunsystems) diagnostiziert wurde. Ihre Familie blieb zurück, und so wandte sie sich an Facebook-Krebs-Selbsthilfegruppen, um Gemeinschaft, Rat und ein paar Lacher zu finden.
„Deine Krebs-Geschichte ist so inspirierend. Ich weiß nicht, wie du das machst.“
Ich, mit Medikamenten vollgepumpt während meiner ganzen KrEbs GEschIChtE.
Beim Umgang mit einer Krebsdiagnose ist Humor gar keine so schlechte Idee
Erst als der entzündliche Brustkrebs einer Freundin wiederkam und sie in ein Hospiz musste, beschlossen sie, ihre Krebs-Comedy auf das nächste Level zu heben. „Sie erzählte mir, dass sie es so satt war, dass die Leute sie fragten, wie es ihr ginge. Sie sagte dann: ‚Was glauben die denn, wie es mir geht? Ich liege buchstäblich im Bett und sterbe“, so die Gründerin von Cancer Patient.
„Anstatt sie zu fragen, wie es ihr geht, oder nach Neuigkeiten zu fragen, habe ich einfach angefangen, Krebs-Memes zu machen und sie ihr zu schicken, um sie aufzumuntern.“ Zwei Jahre nach dem Tod ihrer Freundin gründeten sie 2018 den Instagram-Account @thecancerpatient. Innerhalb von drei Monaten hatte er 10.000 Follower:innen. Inzwischen sind es fast 93.000.
„Wenn du eine andere Person mit Glatze im Krebszentrum siehst, und nicht weißt, ob du sie ansprechen sollst oder nicht“
Tabuthema Krebs: „Niemand spricht wirklich über die schwierigen Seiten der Krankheit“
„Wenn man über Krebsunterstützung und -befürwortung spricht, geht es immer um die typischen Beispiele der Lance Armstrongs dieser Welt“, sagten sie. „Alle sind nur auf die pittoresken, triumphierenden Krebspatient:innen fixiert, und niemand spricht wirklich über die schwierigen Seiten der Krankheit.“ Ihr Ziel: die Art und Weise zu ändern, wie Menschen Krebspatient:innen wahrnehmen und unterstützen. Und auch diese 14 gesellschaftliche Tabu-Themen sollten eigentlich keine sein.
„Jede Art von Verletzlichkeit zu zeigen, wird als Schwäche angesehen, und das ist definitiv nicht der Fall. In den letzten zehn Jahren haben wir große Fortschritte im Bereich der psychischen Gesundheit gemacht, und ich denke, es ist an der Zeit, dass diese Fortschritte auch darin gemacht werden, wie wir Krebs wahrnehmen“, so der Schöpfer von Cancer Patient. „Alle sind zu sehr damit beschäftigt, Krebs als etwas Inspirierendes darzustellen, sodass wir dazu neigen, die wirklichen Sorgen von Krebspatient:innen zu entwerten und abzutun.“
Witze über Krebs sind okay, solange sie respektvoll sind
Über Krebs zu sprechen ist unangenehm, aber genau das ist der Punkt, sagt Bond. Wenigstens bleiben bei diesen Gesprächen Witze übrig, die tatsächlich lustig, genau und respektvoll sind.
„Wenn man es nicht selbst erlebt hat, versteht man es nicht. Und wenn man es durchgemacht haben und anders darüber denkt, ist das auch in Ordnung“, so Bond. „Es ist unbestreitbar, dass Krebs jede:n betrifft und dass Menschen in jedem Alter und auf allen Gesundheitsstufen an Krebs sterben. Aber wenn wir nur auf die Menschen hören würden, die wissen, wovon sie reden, könnten wir wirklich etwas bewirken.“
Autorin ist Katie Camero. Dieser Artikel erschien am 07.11.2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.