Mutige trans* Schüler:innen in Virginia kämpfen dafür, ihr Geschlecht selbst wählen zu dürfen

In ganz Virginia gingen Schüler:innen auf die Straße, um gegen neue transfeindliche Richtlinien in diesem US-Bundesstaat zu protestieren.
Tausende Schüler:innen an fast 100 Schulen in Virginia nahmen am Dienstag, dem 27. September 2022,an Demonstrationen teil, um gegen einen Vorschlag des Republikaners Govenn Youngkin zu protestieren. Er würde die Rechte von trans* Schüler:innen an öffentlichen Schulen stark einschränken.
Die neue Richtlinie sieht vor, dass Eltern die Entscheidungsgewalt darüber erhalten, ob ihr Kind in der Schule „ein soziales Geschlecht zum Ausdruck bringt, das nicht mit seinem biologischen Geschlecht übereinstimmt“, und welche Pronomen ihr Kind in der Schule verwendet. Apropos Pronomen: Hier erklären wir dir, was hinter Neopronomen steckt und wie man sie benutzt.
Der Vorschlag besagt, dass der offizielle Name und das Geschlecht eines Schülers nicht ohne offizielles „rechtliches Dokument“ oder einen „Gerichtsbeschluss“ geändert werden können. Hinzukommt, dass Lehrer:innen und andere Schulbeamt:innen „Schüler:innen nur mit den Pronomen ansprechen dürfen, die dem biologischen Geschlecht entsprechen, das in den offiziellen Unterlagen der Schüler:innen angegeben ist“. Trans* Schüler:innen wären außerdem gezwungen, Schuleinrichtungen (zum Beispiel Toiletten) zu nutzen, die dem Geschlecht entsprechen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Dabei gibt es in deutschen Schulen zum Teil schon genderneutrale Toiletten.
Trans* Schüler:innen in Virginia: Bisher durften sie selbstgewählte Namen und Pronomen nutzen
Die bisherige Regelung aus dem Jahr 2021, aus der Zeit als der demokratische Gouverneur Ralph Northam im Amt war, berechtigte Schulen bisher, ihren Schüler:innen zu gestatten, ihre Namen und Pronomen selbst zu wählen. Ein rechtlicher Nachweis war nicht notwendig.
Ranger Balleisen, ein:e 17-jähriger High-School-Schüler:in in Fairfax County, Virginia, erinnert sich, dass dey „Angst“ hatte, als dey zum ersten Mal von den neuen Vorschlägen hörte. „Das ist ein Schritt in die falsche Richtung“, so Balleisen gegenüber BuzzFeed News US. „Das Wissen, dass ich in einer Schule, in einem Schulsystem, in einem Staat, in dem ich dachte, dass ich sicher sein könnte, nicht sicher sein würde, war erschreckend“, ergänzte Ranger. „Also begann ich noch am selben Abend mit der Organisation. Wir fingen an, einen Streik an meiner Schule zu planen.“
Am 27. September verließ Balleisen zusammen mit über 10.000 Schüler:innen im gesamten Bundesstaat Virginia die Schule, um gegen die vorgeschlagenen Einschränkungen zu protestieren. „Es lief wirklich gut“, sagte Ranger und ergänzte, dass Hunderte von Schüler:innen teilgenommen hätten. „Der heutige Streik und die Fotos von den Streiks der anderen Schulen im ganzen Bundesstaat haben mir wirklich gezeigt, dass wir es schaffen können.“

Weil sie immer wieder behauptet, es gibt „nur zwei biologische Geschlechter“, entstand um die Berliner Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht eine Debatte – wir erklären, warum.
Neue Anti-Trans-Richtlinien: „Wie konnten diese Dinge nur beschlossen werden?“
Die Schüler:innen fordern, dass das Bildungsministerium in Virginia die Richtlinien zurücknimmt. Außerdem sollen die einzelnen Schulbezirke die vorgeschlagenen Änderungen ebenfalls ablehnen, so das „Pride Liberation Project“, eine von Schüler:innen geleitete LGBTQIA+-Interessengruppe mit über 500 Mitgliedern, die bei der Organisation des Streiks am Dienstag half.
„Wenn es um Bildung geht, werden Schüler:innen so oft von der Diskussion ausgeschlossen, vor allem queere“, so Casey Calabia, 17 Jahre alt, dey bei der Organisation des Streiks am Dienstag half und daran teilnahm, gegenüber BuzzFeed News US. „Diese Gelegenheit zu bekommen, dass Menschen in ganz Virginia zuhören, was wir zu sagen haben, ist wirklich wichtig, um sicherzustellen, dass wir nicht von Gesprächen ausgeschlossen werden, die buchstäblich unser tägliches Leben verändern.“
Calabia war „ungläubig“, als dey zum ersten Mal von den Maßnahmen hörte. „Wie konnten diese Dinge nur beschlossen werden? Es ist so verheerend für transsexuelle Schüler:innen. Ich war so untröstlich und verängstigt“, sagten sie. „Ich weiß nicht, was diese Maßnahmen für die Menschen, die ich liebe, und für mich selbst bedeuten werden.“
Auch in Deutschland sorgt das Thema Transgender für hitzige Debatten: In einem Gastbeitrag warfen Wissenschaftler:innen der ARD und dem ZDF vor, mit Transgender-Themen „Kinder zu sexualisieren“.
Schüler:innen streiken gegen transfeindliche Richtlinien: „Genug Druck ausüben“
Seitdem hat Calabia zusammen mit vielen anderen Organisator:innen daran gearbeitet, die Streiks zu ermöglichen. „Wir haben bisher so viel positive Resonanz erhalten“, sagt Calabia. „Wir hatten über 1000 Schüler:innen, die aus 100 Schulen hinausliefen. Das sind erstaunliche Zahlen, von denen wir nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Diese große Resonanz und die breite Aufmerksamkeit sind sehr hilfreich. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen auf uns hören werden.“
Was die nächsten Schritte angeht, sagte Natasha Sanghvi, High-School-Oberstufenschülerin und Hauptorganisatorin des „Pride Liberation Project“, gegenüber BuzzFeed News US, dass die Streiks eine großartige Möglichkeit gewesen seien, die Menschen auf die Situation aufmerksam zu machen. Dennoch plane die Gruppe in den nächsten Wochen „bei mehreren Schulausschusssitzungen auszusagen und zu demonstrieren“.
„Unser oberstes Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass wir genug Druck auf diese Vorschriften ausüben, damit sie nicht verabschiedet werden. Und selbst wenn sie verabschiedet werden, werden die Schulträger unter genügend Druck stehen, um sie abzulehnen“, sagte Sanghvi.

Transgender-Politik von Youngkin: „Eltern sollten ein Teil des Lebens ihrer Kinder sein“
Die neuen Richtlinien sind am 26. Oktober, nach einer 30-tägigen öffentlichen Kommentars-Frist der Virginia Regulatory Town Hall, in Kraft getreten.
Das Bildungsministerium von Virginia wird die Stellungnahmen nach Berichten von WHSV3 prüfen. Es liegt in der Hand des Superintendenten, die Richtlinien zu genehmigen. Sollten die Richtlinien genehmigt werden, werden sie im nächsten Monat in den 133 Schulbezirken Virginias eingeführt. Als Reaktion auf die heutigen Streiks sagte Youngkins Sprecher Macaulay Porter in einer Erklärung gegenüber BuzzFeed News US, dass die Richtlinien „deutlich machen, dass die Schulen den Wünschen der Kinder und ihrer Familien entgegenkommen werden, wenn die Eltern Teil des Prozesses sind“.
„Eltern sollten ein Teil des Lebens ihrer Kinder sein. Durch öffentlichen Proteste und Interviews vor der Kamera ist es offensichtlich, dass bei denjenigen, die gegen die Richtlinien protestieren, ihre Eltern bereits Teil des Gesprächs sind“, ergänzte Porter. „Während die Schüler:innen heute ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben, möchten wir darauf hinweisen, dass diese Richtlinien besagen, dass Schüler:innen mit Mitgefühl behandelt werden sollten und dass Schulen frei von Mobbing und Belästigung sein sollten.“

Schüler:innen streiken gegen Anti-Trans-Richtlinien: „Es ist ein gutes Gefühl, etwas zu tun“
Die Streiks vom 27. September fallen in eine Zeit, in der republikanische Gesetzgeber und Gouverneure weiterhin Gesetze gegen LGBTQIA+-Rechte verabschieden. Im Laufe des letzten Jahres haben Schüler:innen im ganzen Land Proteste und Streiks als Reaktion auf mehrere neue restriktive Anti-LGBTQIA+-Gesetze in Schulen, wie das „Don‘t Say Gay“ (dt. Sag nicht schwul)-Gesetz in Florida, durchgeführt. Auch in Deutschland fordert die Community fünf Dinge für mehr Gleichberechtigung von LGBTQIA+-Menschen.
Im März protestierten Schüler:innen in Utah nach Berichten von ParkRecord gegen ein staatliches Gesetz, das Trans* Mädchen die Teilnahme am Schulsport untersagt. Im Mai 2022 organisierten Schüler:innen der Mittelstufe in San Francisco nach Berichten von The Bay Area Reporter einen Protestmarsch gegen Anti-Trans-Gesetze.
Und im August organisierten Jugendliche nach Berichten von Kera News in Texas einen Streik gegen LGBTQIA+-feindliche Maßnahmen, die sich unter anderem gegen die Verwendung von Pronomen und Toiletten richteten. „Es ist ein gutes Gefühl, etwas zu tun“, sagte Sanghvi. „Aber ich bin mir auch sehr bewusst darüber, wie das alles enden könnte. Ich möchte nur, dass Schüler:innen in der Lage sind, frei in den Schulen zu leben.“
Autorin ist Anna Betts. Dieser Artikel erschien am 28. September 2022, zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.