So sollen uns Atomkraftwerke dabei helfen, die Klimakrise zu bekämpfen

Die Debatte schien vorbei, nun flammt sie wieder auf: jene um Energie aus Kernspaltung, besser bekannt als Atomkraft. Doch der Ansatz ist neu: Atomkraftwerke sollen nun klimafreundlichen Strom liefern. In manchen Staaten der EU sprechen sich auch Grüne dafür aus.
Sie waren allgegenwärtig, die gelben Sticker mit einer lachenden roten Sonne und dem Slogan „Atomkraft? Nein danke“. Von den 1970ern bis weit in die 1990er hinein gab es kein Bim-Wartehäuschen, keinen Stromkasten, keinen Laternenpfahl ohne entsprechende Beklebung. Tatsächlich herrschte in Österreich seltene gesellschaftliche und politische Einigkeit, was die Ablehnung von Kernenergie, also Atomkraft betrifft.
Das war freilich nicht immer so. Im November 1978 entschied sich die österreichische Bevölkerung in einer Volksabstimmung mit 50,47 Prozent nur knapp gegen die Inbetriebnahme des damals bereits fertig gestellten Atomkraftwerks Zwentendorf. Immerhin haben wir seitdem das weltweit einzige Modell eines Atomkraftwerks im Maßstab eins zu eins. Die Reaktion folgte mit dem „Bundesgesetz vom 15. Dezember 1978 über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich“, den Österreicher:innen besser als „Atomsperrgesetz“ bekannt.
Unfälle und Katastrophen in Kernkraftwerken
Befürworter:innen des Gesetzes wurden durch den Reaktorunfall im Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg (Pennsylvania) in den USA am 28. März 1979 bestärkt. Und viele Skeptiker:innen wurden von der Sinnhaftigkeit eines atomkraftfreien Österreichs durch die Nachwirkungen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl überzeugt.
Seit 1999 hat eine Erweiterung des ehemaligen Atomsperrgesetzes Verfassungsrang, auf österreichischem Boden darf also nie ein Atomkraftwerk errichtet geschweige denn betrieben werden. In dieser Konsequenz steht das die Alpenrepublik in der Europäischen Union relativ alleine da. Kaum ein Land, das nicht zumindest in der Vergangenheit Kernkraftwerke betrieben hat.
Atomkraft-Aussteiger Deutschland, Hardliner Frankreich
Neben Deutschland ist Belgien der einzige Staat, der konkrete Ausstiegspläne aus der Atomkraft hat, Dänemark, Luxemburg und Spanien hadern mit einem fixen Datum, sagen aber ansonsten laut und deutlich „Atomkraft? Nein danke“. Spanien investiert zudem exzessiv in erneuerbare Energien. Beschleunigt wurde das Vorgehen durch die Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011.
Ganz anders etwa die Situation in Frankreich, das seine Energiekapazitäten zu 70 Prozent der Kernkraft schuldet. Mit 57 sind dort mit Abstand die meisten Reaktoren in Betrieb. Zum Vergleich: Auf Platz zwei sind ex aequo Belgien, Schweden und Spanien mit je sieben noch aktiven Atommeilern.
Kaum CO2-Emissionen durch Atomkraft
Dass Frankreich nun in Flamanville im Nordwesten des Landes ein weiteres Kraftwerk bauen will, wundert angesichts von Frankeirech bekanntesten Atomkraft-Befürworter, Präsident Emmanuel Macron, zunächst einmal wenig. Abgesehen von den Kosten, die sich seit Baustart verdreifacht haben sowie einem ganzen Jahrzehnt Verzögerung lassen allerdings die Beweggründe aufhorchen. Nicht Unabhängigkeit gilt als Hauptargument, sondern Kernenergie als bewährtes Mittel im Kampf gegen den Klimawandel.
Warum? Weil freigesetzte radioaktive Strahlung zwar tödlich für Mensch, Tier und Pflanzenwelt ist, aber kaum CO2-Emissionen in die Luft bläst. Richtig gehandhabt, handelt es sich also um eine verhältnismäßig saubere Art der Energieerzeugung. Dass sehr wohl radioaktiv verseuchter Müll anfällt, der auch irgendwo entsorgt werden muss, steht auf einem anderen Blatt, von der vorhandenen Gefahr tödlicher Unfälle ganz zu schweigen.
Finnische Mitte-Links-Regierung und Grüne für Atomkraft
In Finnland herrscht eine ähnliche Situation wie in Frankreich. Das in Olkiluoto an der Westküste des Landes der tausend Seen angelegte Kernkraftwerk ist bis dato vor allem durch eine Reihe von Pannen, Bauverzögerungen und absurd gestiegenen Kosten aufgefallen. Mittlerweile sprechen wir von 16 Jahren Verzug bei der Fertigstellung der Reaktoren.
Die finnische Mitte-Links-Regierung, aber auch die Grünen schwören aber auf das Projekt, das auf dem Weg zur Klimaneutralität zumindest eine Übergangslösung sein soll. Besagte Klimaneutralität sei nur mittels einer Kombination aus erneuerbaren Energiequellen und Atomkraft erreichbar, lässt die Regierung von Ministerpräsidentin Sanna Marin verlautbaren.
Keine Atomkraftwerke aus Kostengründen
Finnlands Nachbar Schweden baut aus Kostengründen zwar keine neuen AKWs, hält aber eisern an der Kernkraft fest und bezieht weiterhin 40 Prozent seines Energiebedarfs aus selbsterzeugtem Atomstrom. So oder ähnlich argumentiert auch die italienische Regierung.
Die beiden Atomkraftwerke des südeuropäischen Landes sind zwar schon lange nicht mehr aktiv, aber da man kaum die Klimaziele erreichen wird können, käme für viele eine Rückkehr zur Kernkraft infrage. Allein, an mangelnden finanziellen Ressourcen drohen diese Pläne zu scheitern, gilt Italien ja als chronisch hoch verschuldet.
Atomkraft statt Kohle
Polen deckt 70 Prozent seines Energiebedarfs seit jeher mit Braun- und Schwarzkohle ab - was für nicht wenig Kritik innerhalb der Europäischen Union sorgt. Zumal man erst 2049 als letztes EU-Land aus der Kohle aussteigen will. Um trotzdem seine Klimaziele zu erreichen, haben die Osteuropäer:innen einen Atomkraftplan geschmiedet. Im Zuge dessen sollen bis 2040 in Summe sechs Reaktoren fertiggestellt und in Betrieb genommen werden. Ein weiterer Knackpunkt in der ohnehin bereits angeschlagenen Beziehung zur EU.
Weniger aus Klimaschutz, sondern aus Strommangel, wird seit gefühlten Ewigkeiten am slowakischen Kernkraftwerk Mochovce 100 Kilometer von der österreichischen Grenze gebaut. Nachdem die Bauarbeiten an den Blöcken 1 und 2 bereits 1984 begonnen, 1990 aber aus Geldmangel eingestellt wurden, gingen diese erst 1998 und 2000 ans Netz.
Unsicheres Kernkraftwerk Mochovce
Die beiden Blöcke 3 und 4 sind nach wie vor nicht fertiggestellt, unter anderem wegen akuter Sicherheitsbedenken. Mochovce ist das weltweit einzige AKW-Neubauprojekt, bei dem die Reaktoren über keinen Sicherheitsbehälter verfügen, die bei einem Störfall die Kernschmelze auffangen und so die Umgebung davor schützen, radioaktiv verseucht zu werden.
Ohnehin geht die Rechnung mit dem „sauberen“ Atomstrom abgesehen von berechtigten Sicherheitsbedenken nicht auf. Wie sich zeigt, ziehen sich die Bauarbeiten oft über Jahrzehnte, mit immer günstiger werdenden erneuerbaren Energiequellen können Kernkraftwerken nur konkurrieren, wenn sie staatliche Förderungen erhalten.
Erneuerbare Energien günstiger als Atomkraft
Was letztlich nicht im Sinne des Erfinders ist, weil Strom und Wärme in jedem Fall erzeugt werden müssen. Und dann kommen ohnehin andere billigere Energiequellen ins Spiel. Und die sind im Zweifelsfall - siehe Polen - nicht unbedingt klimafreundlich. Sinnvoller wären also Investitionen in erneuerbare Energiequellen, etwa Wasser- und Solarkraftwerke sowie Windräder.
Ansonsten führen uns Länder wie Großbritannien unter Boris Johnson, die ebenfalls neue Atomkraftwerke bauen und das als „grüne Lösung“ verkaufen wollen, in eine im wahrsten Sinne des Wortes strahlende Zukunft.